Titel der nachfolgenden Texte (Stand: 2013):
1. Presse-Mitteilungen und zivilrechtliche Neuigkeiten
2. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2009 bis zum 31.3.2010
3. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2010 bis zum 31.3.2011
4. Die Unfallflucht als Ordnungswidrigkeit gem. § 34 StVO
5. MPU auch nach Fahrerlaubnis-Entzug wegen Unfallflucht ?
6. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2011 bis zum 31.3.2012
7. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2012 bis zum 31.3.2013
Texte:
1. Presse-Mitteilungen und zivilrechtliche Neuigkeiten
a) Motorrad-Führerschein soll reformiert werden
Einige Bundestagsabgeornete sollen sich - laut Fachzeitschrift "bike und busuness" - für "bürgernahe zweiradmobilität" ausgesprochen haben. Vorbild ist Österreich, wo 4 zusätzliche Fahrstunden
genügen, um parrallel zum Autoführerschein die Fahrerlaubnis für Leichtkrafträder zu erwerben.
b) Akkus für Elektro-Autos
Diese können in den nächsten Jahren deutlich (um 50 %) billiger werden, wie die "Wirtschaftswoche" berichtet. Derzeit kostet eine Lithium-Ionen-Batterie pro Kilowatt-Stunde 1000 Euro.
c) Die dauerhafte Aufbewarung des Kfz-Scheins im Kfz-Handschuh-Fach stellt keine erhebliche Gefahrerhöhung dar, ist daher keine grobe Fahrlässigkeit gem. 61 VVG a.E.;
derDiebstahl eines Kfz ist insoweit bei der Versicherung erstattungspflichtig zu ersetzen: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.9.2009. 1 U 119/09, DAR 2010, 585.
2. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.3.2009 bis zum 31.3.2010
Von Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Wolfgang Halm, Köln*
Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und bußgeldsachen1
– Überblick 1.4.2009 - 31.3.2010 –
I. Strafgesetzbuch
1. StGB §§ 20, 21, 49 Verminderte Schuldfähigkeit und Strafrahmenbestimmung sowie Schuldunfähigkeit
Der BGH (Beschl. v. 20.1.2009 – 3 StR 505/09, NStZ-RR 2009, 230; L) betont, dass ein Absehen von der Strafrahmenverschiebung wegen verschuldeter Trunkenheit voraussetze, dass der
Alkoholkonsum dem Betroffenen uneingeschränkt vorwerfbar ist. An diese Entscheidung seien dann besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn es um die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe
gehe. – Vgl. dazu: Wessels/Beulke, StrafR, AT, 39. Aufl. 2009, Rn. 413.
Weiterhin weist der BGH (Urt. v. 7.5.2009 - 5 StR 64/09, NStZ 2009, 496 =Detter NStZ 2010, 135, 137) darauf hin, dass das Tatgericht hinsichtlich einer Strafrahmenverschiebung bei
einer Tatzeit-BAK von 2,1 ‰ nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auf Grund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände zu entscheiden habe; insbesondere komme es darauf an, ob sich auf Grund
der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht hat. – Zu einer Persönlichkeitsstörung vgl. BGH, Beschl.
v. 29.9.2009 – 3 StR 301/09, NStZ-RR 2010, 74, L.
Zur Verminderung der Steuerungsfähigkeit vgl. die Nw. b. Detter NStZ 2009, 487; 2010, 135 (137).
Zur Schuldunfähigkeit betont das OLG Oldenburg (Beschl. v. 3.11.2009 – 1 Ss 167/09, ADAJUR Dok.Nr. 86340 = BeckRS 2009, 88808), dass bei einer BAK von rund 3 ‰ eine Schuldunfähigkeit
jedenfalls dann nicht ohne Hinzuziehung eines medizinischen SV ausreichend sicher festgestellt werden könne, wenn eine Lebervorschädigung und eine längere Abstinenz vorlagen oder wenn der Betroff.
nicht unerheblich mit einem Betäubungsmittel-Wirkstoff (hier: THC) intoxiert war.
2. StGB §§ 69, 69 a Fahrerlaubnis-Entzug und Sperre
a) Vorzeitiger Wegfall von Entziehung und Sperre und Rückgabe des Führerscheins oder vorzeitige Aufhebung oder Reduzierung der Fahrerlaubnis-Sperre oder Geldstrafen-Ermäßigung bei Trunkenheits- und
Verkehrs-Unfallflucht-Delikten durch Teilnahme an extern überprüften und kontrollierten, mithin qualifizierten Verkehrs-Therapien
Das AG Lüdinghausen hat mit einem sehr gründlichen Urteil v. 2.3.2010 (9 Ds – 82 Js 3375/09 – 111/09, DAR 2010, 280 = NZV 2010, 272 = VA 2010, 118 = BeckRS 2010, 07698 u. 06837 = Jurion-ID
3K53977) ca. 10 Mon. nach einer Trunkenheitsfahrt m. 2,57 ‰ auf Grund einer IVT-Hö-Verkehrstherapie und einer nachgewiesenen Abstinenz keinen Fahrerlaubnis-Entzug ausgesprochen, sondern nur noch ein
dekl. F.verbot v. 3 Mon. verhängt. – Das AG Mönchengladbachhat mit Urteil vom 9.4.2009 (52 Cs – 303 Js 1867/08 – 30/09; unveröff.) nach einer Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,7 ‰ nach
2,5 Mon. auf Grund einer IVT-Hö-Verkehrstherapie „festgestellt, dass die Ungeeignetheit ... durch die erfolgreiche Teilnahme an einer individualpsychologischen Verkehrstherapie nachträglich entfallen
ist. ... Daher lagen die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB für eine Entziehung ... nicht mehr vor.“ Es wurde nur noch ein dekl. Fahrverbot von 3 Mon. verhängt. – Das AG
Tiergarten verhängte durch Urt. v. 12.6.2009 (340 Cs – 3024 PLs 11786/08 – 35/09; unveröff.) nach einer Trunkenheitsfahrt bei einer mehr als 2 St. nach Trinkende festgestellten BAK von 0,94 ‰
mit Unfall auf Grund einer IVT-Hö-Verkehrstherapie 9,5 Mon. nach der Tat ebenso nur noch ein dekl. F.verbot von 3 Mon. – In einem weit. Urt. v. 4.9.2009 (295 Cs – N 14 – 3032 PLs 1600/09 – 51/09;
unveröff.) reduzierte das AG Tiergarten nach einer Trunkenheitsfahrt m. einer BAK von 2,68 ‰ die Sperre im Vergleich zum Strafbefehl um 6 Mon. und verhängte nur noch eine Rest-Sperre von 5
Mon. mit der Begründung: „ ... war zugunsten des Angeklagten dessen vollständige Unbelastetheit und einsichtige Haltung zu berücksichtigen. Für ihn sprach vor allem, dass er
zwischenzeitlich aus eigenem Antrieb heraus ... an einem auf mindestens 6-monatige Dauer angelegten Kurs ... teilgenommen hat und weiterhin teilnimmt. Dieser wird durchgeführt von der IVT-Hö
Berlin/Brandenburg, bei der es sich um eine allgemein anerkannte und seriöse Gesellschaft handelt.“ – Das AG Tiergarten (Beschl. v. 31.8.2009 – 305 Cs – L 15 3022 – PLs 11557/08; unveröff.)
hob gem. § 69 a Abs. 7 StGB bei 2 Trunkenheitsfahrten am 29.8.08 m. 2,31 und 1,87 ‰ in 2-stündigem Abstand gem. § 315 c StGB (einmal m. Fahren ohne Fahrerl.) die im Strafbefehl v. 3.11.08
ausgesprochene Sperre v. 14 Mon. mit sofortiger Wirkung (ohne Begründung) vorzeitig auf, wodurch über 4 Mon. Sperre gespart wurden; die (alkoholabhängige) Betroffene hatte dem Gericht am
29.6.09 eine Bescheinigung über eine 9 ¾-monatige IVT-Hö-Verkehrstherapie und eine ebenso lange Abstinenz vorgelegt. – Das AG Potsdam entzog mit Urt. v. 6.10.2009 (71 Ds 459 Js 30073/09 –
146/09; unveröff.) bei einer Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 2,23 ‰ auf Grund einer IVT-Hö-Verkehrstherapie die Fahrerlaubnis nicht, sondern verhängte nur noch ein (nicht-dekl.) Fahrverbot von 2
Mon. mit folgender Begründung: „Seit dem Tattag hat der Angeklagte erhebliche Anstrengungen unternommen, sich mit seinem Fehlverhalten auseinanderzusetzen; so besuchte er einen
KBS-Langzeitrehabilitationskurs der IVT-Hö. Außerdem absolvierte er drei Urin-Screenings, um seine Alkoholabstinenz zu beweisen“. – Das AG Göttingen(Urt. v. 16.11.2009 – 37 Cs 81 Js 9509/09 –
309/09; unveröff.) sprach bei einer Trunkenheitsfahrt v. 22.3.09 mit einer BAK von 2,05 ‰ auf Grund einer Verkehrstherapie der IVT-Hö Berlin-Brandenburg sowie einem positiven MPU-Gutachten der
PIMA-MPU GmbH keinen Fahrerlaubnis-Entzug aus und gab im Termin den Führerschein zurück; damit war gegenüber dem Strafbefehl zugleich auch eine weitere Sperre von 4,5 Mon. vermieden worden.
– Auch das AG Salzwedel kürzte gem. § 69 a Abs. 7 StGB mit Beschl. v. 20.11.2009 (21 Cs 571 Js 835/09; unveröff.) bei einem Trunkenheitsdelikt gem. § 315 c StGB v. 24.12.08 mit 1,99 ‰
„aufgrund einer Teilnahme an einer ambulanten Alkoholtherapie und des Nachweises einer längeren Abstinenz“ die im Strafbefehl v. 6.5.09 verhängte Sperre von 10 Mon. nachträglich um 2 Mon. und 3
Wochen und stellte fest, „dass der Angeklagte ... nicht mehr ungeeignet ist“; der Betroffene absolvierte hier eine 4-monatige Verkehrstherapie m. 3-mon. therap. Nachsorge b. d. IVT-Hö
Berlin-Brandenburg; die Sperre wurde aber nicht mit Datum des Beschlusses aufgehoben, sondern das Gericht legte – trotz jetzt festgestelltem Wegfall der Ungeeignetheit – fest: „Die
Verwaltungsbehörde darf dem Angeklagten ab dem 15. Dezember 2009 eine neue Fahrerlaubnis erteilen.“ Ein Grund für diese Zeitverzögerung wurde nicht angegeben, wäre auch nicht nachvollziehbar.
– Weitere Urteile, bei denen die IVT-Hö-Therapie pos. Berücksichtigung fand: AG Köln (Urt. v. 4.11.2008 – 710 Cs 219/08 – 66 Js 436/08; unveröff.: Nur 3 Mon. dekl.
F.verbot); AG Köln (Urt. v. 20.7.2005 – 709 Cs 75/05; unveröff.: Weder Sperre noch F.verbot); AG Duisburg (Urt. v. 11.12.2008, 10 Cs – 383 Js 1485/08 – 883/08; bei 2
Unfallflucht-Delikten; unveröff.: Nur 3 Mon. dekl. F.verbot); AG Rheine (Urt. v. 26.2.2008 – 5 Ds 72 Js 5753/07 – 382/07; unveröff.: Nur 3 Mon. dekl. F.verbot); AG Brühl (Urt. v.
14.3.2008 – 50 Ds – 412 Js 174/07 – 285/07; unveröff.: Trotz zweifacher Tr.-Fahrt m. hohem Promillewert, einmal in TE m. vors. FoF sowie Vordelikten weder Sperre noch F.verbot); AG
Lemgo (Urt. v. 25.8.2008 – 25 Cs 35 Js 253/08 – 117/08; unveröff.: 3 Mon. Sperrfrist-Verkürzung); AG Bielefeld (Urt. v. 10.10.2008 – 10 Cs - 33 Js 1025/08 – 553/08; unveröff.: 3 Mon.
Sperrfrist-Verkürzung); AG Neuruppin (Urt. v. 19.6.2008 - 84 Cs 387 Js 41426 – 70/08; unveröff.: Trotz 3. Tr.-Fahrt m. 2,5 ‰ nur 40 TS an Geldstr. statt 90 wie im Strafbef., dadurch 7.200 €
gespart). – Zur Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an ein Strafurteil vgl.: Himmelreich NZV 2005, 337; VGH Mannheim, Beschl. v. 17.4.2010 – 10 S 605/09, NZV 2010, 110;
Beschl. v. 3.5.2010 – 11 S 256/10, ADAJUR Dok.Nr.: 87842 = DAR 2010, 412; Beschl. v. 3.5.2010 – 10 S 256/10, veröff. in: Landes-Rsprg. Baden-Württemberg, Justiz in B.-W. = DAR 2010, 412 = SVR 2010,
235 = zfs 2010, 415 = ADAJUR Dok.Nr. 87842; OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.10.2009 – 3 M 575/08, BA 47 [2010], 43; VG Freiburg i. Br.,Beschl. v. 25.3.2010 - 1 K 280/10, BA 47,
2010, 266; vgl. auch Geiger DAR 2010, 373.
b) Berücksichtigung von – nicht extern evaluierten – psychologischen und nicht-psychologischen Nachschulungen
Das AG Adelsheimhat bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt auf Grund einer Nachschulung nach dem Modell „DEKRA-Mobil“ die Sperrfrist gem. § 69 a StGB um 3 Mon. verkürzt (Beschl. v. 26.3.2009 – 1 Cs
26 Js 8096/08, zfs 2009, 468 = BA 46, 2009, 432). – Das LG Leipzig(Beschl. v. 7.7.2009 – 6 Qs 47/09, VA 2010, 50) hob die Sperre bei einem Trunkenheitsdelikt nach einem
„DEKRA-Gruppenaufbauseminar unter Leitung eines anerkannten Fachpsychologen“ vorzeitig gem. § 69 a Abs. 7 StGB auf. – In seinem Beschl. v. 12.8.2009 (1 Qs 210/09, NZV 2010, 105) kürzte das LG
Leipzig auf Grund einer 2,5-monatigen „verkehrspsychologischen Intensivberatung mit Einzelgesprächen nach dem Modell VIB bei der TÜV Süd GmbH“ die Sperre nachträglich gem. § 69 a Abs. 7 StGB auf
ein Jahr ab. – Das AG Iserlohn (Urt. v. 23.6.2009 – 17 Cs-874 Js 1168/08-110/09, zfs 2010, 48 = DV 2010, 34) verhängte bei einem Trunkenheitstäter m. 1,96 ‰, der seit 5 Mon. in
psychosozialer Betreuung war, sich einer Suchtberatung unterzog und seit der Tat abstinent lebte, 6 Mon. nach der Tat nur noch ein dekl. F.verbot v. 3 Mon.
c) Fahrerlaubnis-Entzug bei „bedeutendem“ Fremd-Sach-Schaden i. R. d. Verkehrsunfallflucht
In der Literatur wird der h.M. (vgl. dazu: Himmelreich/Halm NStZ 2009, 373, 375; 2008, 382 (384); 2009, 373 (375), linke Spalte.) nun verstärkt gefolgt und die Grenze etwa
von 1.300 bis 1.500 € gezogen: AG Frankfurt, Beschl. v. 13.5.2008, 5/9a Qs 5/08, NStZ-RR 2009, 215: 1400; Pflieger, in:Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, NOMOS-Handkommentar, 1.
Aufl. 2008, § 69, Rn. 8 u. 26 (im Selbstwiderspruch zu § 142 StGB, Rn. 58);Blum, Verkehrsstrafrecht, 1. Aufl. 2009, Rn. 153; Buschbell/Utzelmann, Die Fahrerlaubnis in der anwaltlichen Beratung,
4. Aufl. 2009, § 13, Rn. 17, S. 307, u. § 14, Rn. 72, S. 326; Freyschmidt, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 9. Aufl. 2009, Rn. 373; Roth, NomosFormulare VerkR, 2. Aufl. 2009, § 8, Rn.
74 u. 79; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. 2010, § 69 StGB, Rn. 20; SK-Rudolphi/Stein § 69, Rn. 57. – W.Nw. b.: Winkler in: Himmelreich/Halm, Handbuch des
Fachanwalts Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2010, Kap. 33, Rn. 117.
d) Sperrfrist-Abkürzung bei lebenslanger Sperre
Das OLG Celle interpretiert in seinem Beschl. v. 27.11.2008 (VRS 115 [2008], 410 [411] = BA 46 [2009], 102 [103]) unzutreffend das Gesetz mit folgender Behauptung: „§ 69a Abs. 7 StGB ist
eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, die ausnahmsweise aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Rechtskraftdurchbrechung zulässt, wenn der Sicherungszweck erreicht ist (weil die Eignung zum Führen
von Kraftfahrzeugen wieder hergestellt ist)“. Vielmehr ist – entgegen dieser leider noch immer anzutreffenden Ansicht – die Gewissheit, dass der Täter (wieder) geeignet ist, gerade nicht
erforderlich, sondern viel weniger reicht schon aus; es genügt nämlich, wenn das Gericht entsprechende berechtigte „Zweifel“ an einer noch sicher bestehenden Ungeeignetheit hat; mehr wird vom Gesetz
nicht verlangt; vgl. dazu ausführlich m.w.Nw.: Himmelreich SVR 2010, 1 (2 f.);Himmelreich/Karbach SVR 2009, 1 (2).
e) Ausnahme von einer Sperre (§ 69 a Abs. 2)
Das AG Lüdinghausen (Urt. v. 8.12.2009 – 9 Ds – 82 Js 5515/09 – 156/09,NJW 2010, 310 = NZV 2010, 164 = BA 47, 2010, 143 = VA 2010, 30) weist darauf hin, dass hierfür das Vorliegen
einer Gefahrenabschirmung vorliegen müsse (vgl. auch Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis und Alkohol, 5. Aufl. 2010, Rn. 592). Daran fehle es, wenn entweder keinerlei Kontrollen
des Arbeitgebers vor Fahrtantritt mit der auszunehmenden Fahrzeugart stattfinden oder andererseits, wenn bei einer hypothetischen BAK-Berechnung auf den Zeitpunk des üblichen Fahrtantritts mit den
auszunehmenden Fahrzeugarten sich noch ein BAK-Wert von 0,7 ‰ ergibt. – Das AG Alsfeld (Urt. v. 22.10.2009 – 4 Ds – 601 Js 19356/09, zfs 2010, 168) lässt eine Ausnahme von der
Sperre hinsichtlich der Kfz der Klassen T und L zu, wenn es für die Fortführung der Ausbildung zum Landwirt notwendig ist; ebenso ist das AG Gießen (Beschl. v. 2.9.2009 – 5609 Gs – 601 Js
19356/09, zfs 2010, 169) dieser Meinung, wenn der Besch. diese Klassen für die weitere Ausbildung, welche die Führung von landwirtschaftlichen Fahrzeugen beinhaltet, benötigt.
f) Absehen vom Fahrerlaubnis-Entzug (§ 69, Abs.2, Nr. 3) bei freiwilliger Rückkehr zur Unfallstelle.
Das LG Köln (Beschl. v. 20.10.2009 – 103 Qs 86/09, VA 2010, 65 = VRR 2010, 110 = ADAJUR Dok.Nr. 87161) schließt sich der h.M. an (vgl. d.Nw. bei Himmelreich/Staub/Krumm,
Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013, Rn. 270 ff.), wonach die gesetzliche Vermutung einer Ungeeignetheit nach § 69, Abs.2, Nr.3 widerlegt ist, wenn zwar die „Tätige Reue“ nach Abs. 4 ausscheidet,
jedoch der Beschuldigte nachträglich freiwillig zur Unfallstelle zurückkehrt (hier: nach ca. 20 Min.) und dadurch die erforderlichen Fststellungen ermöglicht; dies würde den seiner Natur nach
schweren Verstoß in einem weniger gefährlichen Licht erscheinen lassen.
g) Literatur: Kürti, Mein Führerschein ist weg – was tun ? 7. Aufl. 2009;Brieler/Grunow, Ich will meinen Führerschein zurück, 2. Aufl. 2009, rororo 62236; Himmelreich, Abkürzung oder
Aufhebung einer lebenslangen Fahrerlaubnis-Sperre gem. § 69 a Abs. 7 StGB, SVR 2010, 1; Buschbell, Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis und vom Fahrverbot, SVR 2010, 3.
3. StGB § 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
a) Bagatellgrenze
Seit 2007 hat die h.M. der Rsprg. die Grenze bei ca. 50 € gezogen (vgl. Himmelreich/Halm NStZ 2008, 382, 384 f., m.w.Nw.); Heß/Burmann (NJW 2008, 808, 813: 25 €) sind nun endlich
auch aufgerückt auf 50 € (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, seit 21. Aufl. 2010, § 142 StGB, Rn. 5); jedoch ist deren Hinweis (aaO.), mit 150 € seien nur
„S/S/C/Sternberg-Lieben“ a.A., zu dürftig; schon länger sind nämlich derselben Meinung: Himmelreich, Schild, Wahl, Winkler, Himmelreich/Halm, Himmelreich/Bücken/Krumm; vgl. d. Nw.
b. Himmelreich/Halm NStZ 2008, 382 (385). Leider liegen Roth (NomosFormulare VerkR, 2. Aufl. 2009, § 9, Rn. 9, „bei 25 EUR ... bisweilen ... bis 35 EUR“)
und Fischer (StGB, 57. Aufl. 2010, § 142, Rn. 11, „derzeit überwiegend bei etwa 25 Euro“) noch immer unter der h.M. – W.Nw. b.: Winkler in Himmelreich/Halm, Hdb., aaO, Kap.
33, Rn. 115.
b) Zum Fahrerlaubnis-Entzug bei „bedeutendem“ Fremd-Sach-Schaden vgl. oben unter I 2 c; zum Absehen von einem Fahrerlaubnis-Entzug bei freiwilliger Rückkehr zur
Unfallstelle vgl. oben unter I 2 f.
c) MPU nach einem strafrechtlichen Fahrerlaubnis-Entzug wegen Verkehrsunfallflucht ?
Das OVG Saarlouis (Beschl. v. 27.7.2006 – 1 W 33/06, ADAJUR-Archiv-Dok.-Nr. 73831 = SVR 2007, 113 [gekürzte u. indir. Wiedergabe], m. Anm. Krausesowie m. Anm. v. Haus zfs
2009, 657 [m. wörtl. Zitaten] = LSK 2007, 140540; vgl. dazu auch: Mahlberg in Himmelreich/Halm, Hdb., aaO, Kap. 35, Rn. 208, 211, 212 zu Fn. 302, und 542a zu Fn. 728; angedeutet auch
bei: Gebhardt, Das verkehrsrechtl. Mandat, Bd. 1, 6. Aufl. 2009, § 63, Rn. 34;Himmelreich/Mahlberg DAR 2011, 288, H. 5) betont, dass in einem Fall eines erstmaligen strafrechtlichen
Fahrerlaubnis-Entzugs bei dem schwerwiegenden(vgl. dazu: Hentschel/König/Dauer, SVR, 40. Aufl. 2009, § 11 FeV, Rn. 12 u. § 2 StVG, Rn. 13, m.w.Nw.) Strafdelikt der
Verkehrsunfallflucht die Anordnung einer MPU (Medizin.-Psych. Untersuchung) im Verwaltungsrecht (gem. § 11 Abs. 3, S. 1, Nr. 4, Abs. 1, S. 3 FeV) nicht zulässig sei, da bei der
gebotenen Gesamtschau (z.B. hier 17 Mon. schon zurückliegend, keine erschwerenden Umstände bei der Tat außer „bedeutenden“ Fremdsachschaden und keine weiteren sowie keine Vor-Delikte
vorhanden) keine Eignungszweifel mehrvorhanden seien. – Zu einem entspr. (abgelehnten) Antrag auf vorl. Rechtsschutz vgl. VG Saarlouis zfs 2009, 655). – Zur Lit. s. oben unter I 2
f.
d) Vorsatzloses Sich-Entfernen vom Unfallort
Das OLG Hamburg (Beschl. v. 27.3.2009 – 3-13/09, NJW 2009, 2074 = DAR 2009, 404 = VRS 116 [2009], 269 = Cramer/Berz/Gontard, Straßenverkehrsentscheidungen, Loseblatt, 44. Erg.lfg., 2010, Nr.
145) entschied „gegen OLG Düsseldorf“ (NStZ-RR 2008, 88 = NZV 2008, 107 = StraFo 2008, 83 = VRS 113 [2007], 429 = b. Himmelreich/Halm NStZ 2008, 382 [385]); vgl.
dazu: Gebhardt, Das verkehrsr. Mandat, 6. Aufl. 2009, § 43, Rn. 122; Wessels/Hettinger, StrafR, BT 1, 33. Aufl. 2009, Rn. 1013 ff.; König/SeitzDAR 2010, 361), dass sich der Radius des
Unfallorts nicht abstrakt bestimmen lasse, sondern von Umständen des Einzelfalls abhänge. Der Begriff des Unfallorts sei als Teil des objektiven Tatbestands auch objektiv zu bestimmen; er sei nicht
etwa davon abhängig zu machen, ob der Unfallbeteiligte sogleich Kenntnis vom Unfall hatte oder nicht. Daher mache sich der nicht strafbar, der erst nach Verlassen des Unfallorts etwa 1,5 km vom Ort
des Unfallereignisses von seiner Beteiligung am Unfall Kenntnis erlange und sich gleichwohl weiter vom Unfallort entferne. – Vgl dazu auch: Mitsch NZV 2010, 225.
e)Neue Literatur: Kubatta, Zur Reformbedürftigkeit der Verkehrsunfallflucht, Göttinger Studien zu den Kriminalwissenschaften, Bd. 4, Hrsg.: Institut für Kriminalwissenschaften,
Universitätsverlag, Göttingen 2008. – Zu biomechanischen SV-Gutachten: Buck/Abresch/Hupfauer/Heisig DAR 2009, 373. – Himmelreich, Nichtbemerkbarkeit durch „Ablenkung“ im Rahmen der
Verkehrsunfallflucht, DAR 2010, 45. - Zur OWi-Unfallflucht vgl.Krumm/Himmelreich/Staub DAR 11, 6.
4. StGB § 240 Verkehrs-Nötigung
Das OLG Celle (Beschl. v. 3.12.2008 – 32 Ss 172/08, NZV 2009, 199 = VRS 116 [2009], 110 = zfs 2009, 173) weist noch einmal darauf hin, dass sich ein sog. „Ausbremsen“ als Gewalt darstellen
kann, sofern der nachfolgende Fahrer das ihm aufgezwungene Verhalten nicht durch Ausweichen oder Überholen vermeiden konnte.
Neue Literatur: Zum „Gewaltbegriff“ vgl. Krumm SVR 2009, 179; zur „Verwerflichkeitsprüfung“ vgl. Krumm SVR 2009, 296. – Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen
vgl. Arndt Jus 2009, 577.
5. StGB § 315 b Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
a) §§ 315 b, Abs. 1, 3, 315, Abs. 3, Nr. 1 a, Nr. 3
Das AG Bochum (Beschl. v. 29.10.2008 – 29 Ls – Js 231/08 – 307/08, VRR 2009, 114) befasste sich mit dem Erzwingen einer Notbremsung durch das Einscheren vor ein anderes Fahrzeug. Obiger
Tatbestand sei nicht zwingend erfüllt, wenn eine Person ihr Opfer aus einem Auto heraus unter Drohungen und Beschimpfungen zum Anhalten zwecks eines Meinungsaustauschs bewegen will, sich sodann vor
den Wagen des Opfers setzt und es zu einer Notbremsung bewegt. Ein Wille dahingehend, nicht nur eine Gefährdung sondern einen Schaden in einem zielgerichteten und direkten Vorsatz herbeiführen zu
wollen, könne darin nicht gesehen werden, da sich die vor den Wagen des Opfers setzende Person auch selbst durch einen möglichen Auffahrunfall in Gefahr gebracht hätte.
b) § 315 b, Abs. 1, Nr. 3
Vom BGH (Urt. v. 3.11.2009 – 4 StR 373/09, VA 2010, 29 = NStZ 2010, 216 = ADAJUR Dok. 85953 = BeckRS 2009, 86932 = FD-StrVR 2009, 294661) wird darauf hingewiesen, dass ein solcher
gefährlicher Eingriff nur dann vorliegt, wenn auf Grund der über die Handlung hinausgehenden immanent drohenden Gefahr der Schutz eines konkreten Menschen oder Gegenstandes so erheblich erschwert
wurde, dass es nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus ex-post-Sicht rein zufällig war, ob es zu einer Schädigung des Rechtsguts kam oder nicht.
Der BGH (Beschl. v. 20.10.2009 – 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216 = NZV 2010, 261) betont auch noch einmal, dass bei der Überpüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein
bedeutender Schaden gedroht hat, stets zwei durch entsprechende Feststellungen gestützte Prüfungsschritte erforderlich sind: Zunächst sei zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine
solche von bedeutendem Wert handelte; sei dies der Fall, sei in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat; w. Nw. b.:Himmelreich/Halm NStZ 2009, 173
(175).
Der BGH (a.a.O.) stellt auch fest, dass für eine Verurteilung nicht ausreichend ist, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs durch ein Hindernis-Bereiten beeinträchtigt wurde; vielmehr sei
auch nachzuweisen, dass Leib und Leben eines anderen Menschen oder eine Sache von erheblichem Wert gefährdet war bzw. ihr ein bedeutender Schaden drohte; eine konkrete Gefährdung könne nicht schon
deshalb angenommen werden, wenn Unfälle der betreffenden Art regelmäßig ein Halswirbelsäulen-Trauma verursachen. Erforderlich seien auch Angaben zu den Geschwindigkeiten der Kfz im Zeitpunkt der
Kollsion und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen.
6. StGB § 315 c Gefährdung des Straßenverkehrs
a) Konkrete Gefährdung durch „berauschende Mittel“ gem. Abs. 1, Nr. 1 a
Der BGH (Beschl. v. 7.10.2008 - 4 Str 272/08, StV 2009, 360) weist darauf hin, dass eine Fahruntüchtigkeit nach Konsum von Drogen allein auf Grund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem
gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch nicht zu begründen ist, also z.B. nicht nach einer Btm-Konzentration von 3 ng/ml Tetrahydrocannabinol, 1,5 ng/ml 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol, 19 ng/ml
Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure, weniger als 25 ng/ml Amphetamin sowie 52 ng/ml Meth-Amphetamin.
b) Vorfahrtmissachtung gem. Abs. 1, Nr. 2 a
Der BGH (Beschl. v. 20.1.2009 – 4 StR 396/08, NZV 2009, 350 = VA 2009,134) betont zum „erweiterten Vorfahrtsbegriff“, dass eine Tatbestandsverwirklichung auch dann vorliegt, wenn der
Verkehrsteilnehmer beim Anfahren vom Fahrbahn-Rand und Einfahren in den fließenden Verkehr die Vorfahrt Anderer dort nicht beachtet.
c) Neue Literatur: Zu § 315 c Abs. 1 Nr. 1 b (Einschlafen am Steuer) vgl.Quarch SVR 2009, 215.
7. StGB §§ 315 c, 316 Fahrten unter Alkoholeinfluss
a) Anlass, Dauer und Fahrstrecke als Teil der Urteilsgründe
Das OLG Köln (Beschl. v. 3.7.2009 – 83 Ss 51/09, VA 09, 194 = BeckRS 2009, 21312 = VRR 2009, 390) betont, dass dann, wenn es infolge einer trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem
Verkehrsunfall gekommen ist, der Tatrichter in den Urteilsgründen zwingend Angaben zum Anlass und zur Dauer der Fahrt sowie zur Fahrstrecke machen und mitteilen muss, unter welchen Umständen es zur
Alkoholaufnahme gekommen ist, insbesondere, ob der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch ein Fahrzeug zu führen. Unterbleibe die Angabe dieser näheren Umstände, so
seien die gerichtlichen Feststellungen als derart lückenhaft anzusehen, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Bemessung einer tat– und schuldangemessenen Strafe darstellen.
b) Rück- bzw. Hoch-Rechnung des maßgeblichen BAK-Wertes
Das OLG Hamm (Beschl. v. 17.3.09 – 5 Ss 71/09, ADAJUR-Dok. 83877) weist darauf hin, dass dann, wenn sich das Gericht dem Ergebnis eines SV ohne Angaben eigener Erwägungen anschließen will, in
den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des SV zur Berechnung einer BAK-Höhe (hier: weit über 2 ‰) wiedergegeben werden müssen. – Das OLG
Oldenburg (Beschl. v. 3.11.2009 – 1 Ss 167/09, BA 2010 [Bd. 47], 28) betont noch einmal, dass bei Berechnung des BAK-Wertes bei der Rückrechnung vom Zeitpunkt der Blutentnahme auf die Tatzeit
neben dem stündlichen Abbauwert von 0,2 ‰ zusätzlich ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ anzusetzen ist. – Wenn laut OLG Frankfurt(Urt. v. 14.10.2009 – 1 Ss 310/09, ADAJUR Dok.Nr.
86410) ein Tatrichter einen Nachtrunk berücksichtigen will, muss er zunächst die Tatzeit-BAK ermitteln, die ohne Nachtrunk vorgelegen hätte; von diesem Wert sei sodann die durch den Nachtrunk
maximal verursachte BAK abzuziehen; dabei müsse das tatrichterliche Urteil nachprüfbar erkennen lassen, ob bei der Berechnung der durch den Nachtrunk verursachten maximalen BAK die günstigen
möglichen Werte zu Grunde gelegt worden sind.
c) Vorsatz
Das OLG Brandenburg (Beschl. v. 10.6.2009 – 2 Ss 17/09, VRS 117 [2009], 195 = VA 2010, 8 = VM 2009, 86) wiederholt noch einmal zutreffend, dass bei Trunkenheit im Verkehr die Annahme einer
vorsätzlichen Tat nicht allein auf die Höhe der BAK gestützt werden kann; es gebe keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit
erkennt; um auf eine vorsätzliche Begehungsweise schließen zu können, müssten vielmehr weitere darauf hinweisende Umstände hinzutreten; jedoch nehme derjenige, der eine Stunde vor Fahrtantritt mehr
als vier Liter Bier oder zwei Liter Wein trinke, seine daraus resultierende Fahruntüchtigkeut zumindest billigend in Kauf. – Insoweit wohl a.A.:Wessels/Beulke, aaO, Rn. 412. – Vgl. auch: OLG
Stuttgart v. 45.10 – 5 Ss 198/10, VA 2010, 155 (L).
d) Relative Fahruntüchtigkeit
Das LG Frankfurt (Beschl. v. 15.10.2009 – 21 Qs 152/09; unveröff.) betont, dass ein Ausbrechen des Kfz bei leichtem Kurvenverlauf und feuchter, indess griffiger Fahrbahnoberfläche keinen
typischen alkoholbedingten Fahrfehler darstelle, sondern andere Ursachen wie Übermüdung des Fahrers als mögliche und plausible Unfallursache in Betracht zu ziehen seien.
e) Mitteilung des angewendeten Messverfahrens zur Bestimmung der BAK
Das OLG Hamm (Beschl. v. 25.6.2009 – 2 Ss OWi 376/09, ADAJUR Dok.Nr. 83882 = BeckRS 2009, 25882) betont, dass ein Urteil lückenhaft ist und daher bereits dann aufzuheben sei, wenn der
Tatrichter das angewendete Messverfahren, also den zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration konkret verwendeten Gerätetyp, nicht mitteilt, denn diese Angabe sei erforderlich, um zu überprüfen, ob
überhaupt ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt worden ist; andernfalls müsse das Gericht die Messung im Einzelnen beschreiben; die Angabe des gewonnenen Messwertes allein reiche nicht
aus.
f) Neue Literatur: Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis und Alkohol im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 5. Aufl. 2009; Berg/Glaser/Schubert, Ein Blick auf den ‚Tunnelblick’: Ein
Aufmerksamkeitsdefizit infolge schädlichen Alkoholgenusses, BA 47 [2010], 10.
8. Zur einheitlichen Fahrt ohne Fahrerlaubnis bei kurzer Fahrtunterbrechung vgl. unten unter III, 1, Abs. 4.
II. Strafprozessordnung
1. StPO § 111 a Vorläufiger Fahrerlaubnis-Entzug
a) nur auf Grund von Zeugenaussagen ?
Das AG Ansbach (Beschl. v. 4.3.2009 – Qs 20/2009, Der Verkehrsanwalt [DV] 2009, 83) weist noch einmal darauf hin, dass ein vorläufiger Entzug wegen Nötigungs- und Gefährdungs-Handlungen nur
bei „dringenden“ („im hohen Maße wahrscheinlich“) Gründen erfolgen dürfe, nicht aber bei lediglich „hinreichenden“ Gründen für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis (im Gerichtstermin) endgültig
entzogen wird. Diese „im hohen Maße“ erforderliche Wahrscheinlichkeit sei z.B. gerade nicht gegeben, wenn der Betroffene seinerseits 3 mitfahrende Entlastungs-Zeugen zum Tathergang (bisher nur)
benannt habe und andererseits nur die Belastungs-Zeugen der StA vorhanden wären. Einerseits spräche eine gewisse Erfahrung dafür, dass die Mitfahrer die – nicht von vornherein richtig erscheinende –
Einlassung des Betroffenen stützen werden. Andererseits müssten zum jetzigen Zeitpunkt mangels vorhandener anderweitiger Anhaltspunkte sämtliche Zeugen „als gleichermaßen glaubhaft bewertet werden“.
Dabei falle auch ins Gewicht, dass die Aussagen dieser Zeugen gerade bei diesen Delikten „von ihrer subjektiven Wahrnehmung geprägt sind“.
b) noch nach langer Verfahrensdauer ?
Das OLG Zweibrücken hält in seinem Beschl. v. 23.4.2009 (1 Ws 102/09; unveröff.) eine vorläufige Fahrerlaubnis-Entziehung nach mehr als einem Jahr auch noch für rechtmäßig. – W.Nw.
b. Himmelreich/Halm NStZ 2008, 382 (387); 2009, 373 (377).
2. StPO § 153 Einstellung des Verfahrens bei Fahrerlaubnis-Verzicht
Das AG Lüdinghausen (Beschl. v. 22.4.2009 – 9 Ds – 81 Js 38/09 – 54/09, NJW 2009, 2075 = VA 2009, 134) stellte ein Strafverfahren wegen Unfallflucht mit 302
€ Fremd-Sach-Schaden gegen eine über 80-jährige Autofahrerin nach § 153 Abs. 2 StGB ein, da diese auf ihre Fahrerlaubnis freiwillig verzichtete.
3. StPO § 244 Abs. 4 Gutachten-Überprüfung
Zu einer gerichtlichen Gutachtenüberprüfung sei auf eine etwas zurückliegende, aber dennoch interessante Entscheidung des BGH (NStZ-RR 2008, 70 = StraFo 2008, 120 [121])
hingewiesen, die sich mit einer Entsch. d. LG Köln befasste. Dort heißt es:
„Die vom LG wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen weisen somit erhebliche Widersprüche, Lücken und Unklarheiten auf, die eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen einer möglichen
erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angekl. zum Tatzeitpunkt nicht zulassen. Das LG ist dem Gutachten ohne Einschränkung und ohne erkennbare eigene Prüfung gefolgt. Es hat die
Fehler des Gutachtens in die eigene Bewertung übernommen, so dass sich ein Beruhen des Urteils auf ihnen nicht ausschließen lässt. Dass ein Sachverständiger ‚aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt’
ist, belegt im Übrigen für sich allein weder seine Sachkunde noch eine kritische Überprüfung des Gutachtens durch das Gericht.“ – Vgl. auch: OLG Bamberg, 3 Ss OWi 378/10 – Beschl. v. 6.4.2010,
DAR 2010, 390; OLG Hamm oben unter I 7 b. – W.Nw. b. Himmelreich/Halm NStZ 2009, 373 (377).
4. StPO §§ 261, 267 Wiedererkennen
Zur Beweiswürdigung und den Urteils-Feststellungen auf Grund einer polizeilichen Wahllicht-Bildvorlage sowie zu Urteils-Anforderungen bei anthropologischen SV-Gutachten vgl.: OLG
Hamm (Beschl. v. 30.9.2008 – 3 Ss 178/08, StV 2010, 124; vgl. auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.9.2008 – Ss 324/08, NStZ-RR 2009, 60 = NZV 2009, 52) sowie unten unter IV, 1, Abs. 4. – Zur
Beweiswürdigung beim – wiederholten – Wiedererkennen vgl. OLGBraunschweig, Beschl. v. 4.12.2008 – Ss 99/08, StV 2010, 126.
III. Straßenverkehrsgesetz
1. StVG § 21 Fahren ohne Fahrerlaubnis
Trotz Neuregelung der Fahrerlaubnis-Verordnung wird der „Führerscheintourismus“ (vgl.Winkler in Himmelreich/Halm, Hdb., aaO, Kap. 33, Rn. 233 f.) die Gerichte weiter beschäftigen. Die
Verwaltungsgerichte streiten aktuell über die Vereinbarkeit von § 28 IV Nr. 2 und Nr. 3 FeV n.F. mit dem Gemeinschaftsrecht. Es muss in diesem Zusammenhang als ungeklärt angesehen werden, was gilt,
wenn ohne eine vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet im Ausland eine Fahrerlaubnis erteilt wurde, ohne dass der Betreffende dort seinen Wohnsitz hatte (vgl.
hierzu BVerwG, Urt. v. 11.12.2008 – 3 C 26/07, NJW 2009,1689 = NZV 2009, 307; VGH München, Beschl. v. 19.10.2009 – 11 CS 09.1878, SVR 2010, 32 u. 115; VGH München, Beschl. v.
10.11.2009 – 11 Cs 09.2082, VRS 118 [2010], 51; OVG Koblenz, Beschl. v. 23.1.2009, SVR 2009, 396 = BA 46 [2009], 352; OVG Münster,Beschl. v. 12.1.2009 – 16 B 1610/08, BA
46 [2009], 109 = VRS 116 [2009], 314; VGH Mannheim, Beschl. v. 21.12010 – 10 S 239/09, DAR 2010, 153; VGH Koblenz, Urt. v. 18.3.20010 – 10 A 11244/09, BeckRS 2010, 48366;
zusammenfassend: Pießkalla NZV 2009, 479). Eine Klärung der Streitfrage durch den EuGH steht noch aus, so dass sich die ordentlichen Gerichte zwangsläufig in naher Zukunft mit der Frage zu
beschäftigen haben werden, ob in diesen Fällen bereits der erstmalige Gebrauch der Fahrerlaubnis auf deutschem Bundesgebiet den objektiven Tatbestand des § 21 StVG erfüllt, oder ob eine vorherige
Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verkehrsbehörde notwendig ist.
Keine vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis ist jedenfalls bei einer benutzten EU-Fahrerlaubnis für die Verwirklichung des § 21 StVG erforderlich, wenn von einem deutschen Gericht zuvor eine
Sperrfrist verhängt worden war. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV ist insoweit mit EU-Recht vereinbar (OLG Celle, Beschl. v. 1.12.2008 – 32 Ss 193/08, zfs 2009, 109; vgl.
auch OLG Hamm, Beschl. v. 24.6.2009 – 3 Ss 235/09, NStZ-RR 2010, 59, L = NZV 2010, 162, L; OLG Brandenburg VRS 117 [2009], 212); VG Koblenz, Beschl.
v. 22.9.2009 – 5 L 979/09, DAR 2010, 160). Seit der Entscheidung des OLG München (Beschl. v. 23.3.2009 – 4 St RR 150/08, NZV 2009, 403 = SVR 2009, 313 = VRS 116 [2009], 281) wird
nunmehr in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung auch einheitlich davon ausgegangen, dass dies auch dann gilt, wenn die verfolgte Fahrt zeitlich erst nach Ablauf der Sperrfrist erfolgte (vgl. zu
dieser ehemaligen Streitfrage auch Himmelreich/Halm NStZ 2008, 387, m.w.N.).
Bei der Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf Grund im Vorhinein entzogener EU-Fahrerlaubnis braucht der Tatrichter die verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeit der Entziehung auch dann nicht
zu prüfen, wenn der Betroffene seinen deutschen Führerschein nach einem Umzug in einen anderen EU-Mitgliedsstaat dort nicht neu macht, sondern lediglich umtauscht (OLG Hamm, Beschl. v.
14.4.09 – 3 Ss 105/09, VA 2009, 155 = NStZ-RR 2010, 111). Es genügt nämlich generell, wenn die EU-Fahrerlaubnis im Zeitpunkt des Gebrauchmachens von einer deutschen Verwaltungsbehörde oder einem
deutschen Gericht durch bestandskräftige oder sofort vollziehbare Entscheidung entzogen worden war, sofern diese Entscheidung nicht nichtig ist (OLG Jena, Urt. v. 3.4.2009 – 1 Ss 182/08,
NZV 2009, 467, L = DAR 2009, 406 = VRS 116 [2009], 358).
Durch eine Verkehrskontrolle wird die Dauerstraftat „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ nicht in mehrere Taten aufgespalten, wenn danach die Fahrt - dem anfänglichem Tatentschluss folgend - fortgesetzt wird.
Es bleibt bei tateinheitlicher Begehung (LG Potsdam, Urt. v. 4.12.2008 – 27 Ns 116/08, DAR 2009, 285). Eine neue Tat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis liegt jedoch vor, wenn nach einer
15-minütigen Fahrtunterbrechung aufgrund einer Geschwindigkeitskontrolle mit neu gefasstem Vorsatz weitergefahren wird (AG Lüdinghausen,Urt. v. 2.2.2010 – 9 Ds 82 Js 8979/09 – 186/09;
unveröff.).
2. StVG § 24 a Führen eines Kfz unter Einwirkung von
a) Alkohol
Nachdem sich das BVerfG mehrfach (vgl. Urt. v. 12.12.2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345; Beschl. v. 28.7.2008 – 2 BvR 784/08, NJW 2008, 3053 = DAR 2008, 691) ausführlich zu den
Anforderungen einer Blutprobeentnahme ohne richterliche Anordnung und einem möglichen Beweisverwertungsverbot bei deren Missachtung geäußert hatte, haben sich in den letzten 2 Jahren auch zahlreiche
Obergerichte mit diesem Thema, welches sowohl Verkehrssünder nach §§ 315, 316 StGB als auch solche nach § 24 a StVG betrifft, zu befassen gehabt (vgl. hierzu auch Weinhold SVR 2010, 13
und Winkler in Himmelreich/Halm, aaO, Kap. 33, Rn. 45 ff.). Eine unberechtigte Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz des § 81 a Abs. 2 StPO führt dann zu einem
Beweisverwertungsverbot, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Voraussetzungen von Gefahr in Verzug willkürlich angenommen, der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert
wird oder wenn die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage in gleichgewichtiger Weise gröblich verkannt bzw. fehlerhaft beurteilt wird (OLG Bamberg, Beschl. v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09,
zfs 2009, 349; ebenso: OLG Celle,Beschl. v. 6.8.2009 – 32 Ss 94/09, NZV 2009, 611; OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 14.10.2009 – 1 Ss 310/09, DAR 2010, 145. – Vgl. auch OLG
Bamberg, Beschl. v. 20.11.2009 – 2 Ss OWi 1283/09, zfs 2010, 169 = DAR 2010, 97).
Ein Beweisverwertungsverbot nehmen die Obergerichte im konkreten Fall etwa an, wenn ein Polizeibeamter auch heute noch, ohne dass „Gefahr im Verzug“ vorliegt, die Entnahme einer Blutprobe
„entsprechend der langjährigen Praxis“ anordnet, ohne zuvor einen Richter kontaktiert zu haben (OLG Hamm, Beschl. v. 12.3.2009 – 3 Ss 31/09, zfs 2009, 409 = DAR 2009, 336) oder, falls
Polizeibeamten die generelle Befugnis erteilt worden war, bei der Entnahme von Blutproben gem. § 81 a StPO auf die Einschaltung eines Richters zu verzichten (OLG Oldenburg, Beschl. v.
12.10.2009 – 2 Ss Bs 149/09, zfs 2009, 712 = DAR 2009, 713 = NZV 2010, 101). Das OLG Celle (Beschl. v. 16.6.2009 – 311 Ss Bs 49/09, zfs 2009, 530 = NZV 2009, 463;
ebenso: OLG Schleswig, Urt. v. 26.10.2009 – 1 Ss OWi 92/09 – 129/09, SVR 2010, 28 = VA 2010, 13) bejaht ein Beweisverwertungsverbot, wenn die Annahme von „Gefahr im Verzug“ auf einer
evident fehlerhaften Beurteilung beruht, was dann der Fall sein soll, wenn eine richterliche Entscheidung nur deshalb nicht eingeholt worden war, weil durch den Zeitverzug eine Verfälschung des
Untersuchungsergebnisses befürchtet worden war.
Keine bewusste und willkürliche Verletzung des Gesetzes und damit auch kein Beweisverwertungsverbot liegt vor, wenn sich die Beamten lediglich keine Gedanken über die Anordnungskompetenz gemacht
haben, weil sich der Betroffene nicht gegen die Anordnung gewehrt hatte (KG Berlin, Beschl. v. 1.7.2009 – (3) 1 Sa 204/09 – 71/09, NZV 2009, 571 = DAR 2010, 26).
Das OLG Bamberg (Beschl. v. 20.11.2009 – 2 Ss OWi 1283/2009, DAR 2010, 97 = VA 2010, 46) verneint ein Beweisverwertungsverbot bei einer Blutentnahmeanordnung durch Polizeibeamte
zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr des nachfolgenden Morgens, wenn auf Grund ministerieller Anordnung in dieser Zeit kein richterlicher Eildienst eingerichtet war.
Fehlt es an einer Belehrung über die Freiwilligkeit und Nichterzwingbarkeit der Teilnahme ist das Ergebnis einer Atemalkoholmessung mittels „Draeger Evidential“ allein schon aus diesen Gründen
unverwertbar (LG Freiburg, Urt. v. 21.9.2009 – 9 Ns 550 Js 11375/09 – AK 92/09, NZV 2009, 614).
Der mittels „Draeger Alcotest 7110 Evidential“ gewonnene Atemalkoholmesswert darf für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 a I StVG nur dann herangezogen werden, wenn eine
Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und erster Messung der Alkoholkonzentration eingehalten wurde (OLG Bamberg, Beschl. v. 21.8.2009 – 2 Ss OWi 713/09, DAR 2010, 143; –
a.A: OLG Hamm, v. 15.10.2009 – 2 Ss OWi 737/09, VA 2010, 50). Nach Ansicht des AG Schwerin (Urt. v. 23.6.2009 – 60 OWi 770 Js 464/08 (129/08), BA 47 [2010], 37) kann im
Falle der Nichteinhaltung der Wartezeit zumindest bei einer deutlichen Überschreitung des Gefahrengrenzwertes durch Hinzuziehung eines Sachverständigen geklärt werden, ob und gegebenenfalls in
welchem Umfang sich die Unterschreitung der Wartezeit seit Trinkende ausgewirkt hat.
b) Amphetamin
Auch bei anderen Substanzen als THC insbesondere beim Wirkstoff Amphetamin ist für dieAhndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 und Abs. 3 StVG nicht unbedingt erforderlich, dass der
analytische Grenzwert erreicht wird. Unterhalb des Grenzwertes kommt eine Verurteilung aber nur dann in Betracht, wenn Umstände festgestellt werden, aus denen sich ergibt, dass die Fahrtüchtigkeit
trotz der relativ geringen Betäubungsmittelkonzentration beeinträchtigt sein kann (OLG Celle, Beschl. v. 30.3.2009 – 322 Ss Bs 57/09, NZV 2009, 300 = SVR 2009, 316 = VRS 116 [2009],
369).
c) Cannabis
Aus der Feststellung eines THC-Wertes von 1,4 ng/ml kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass die Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG wenigstens fahrlässig begangen wurde. Es bedarf
stets der Klärung, ob hinreichende Indizien für die Erkennbarkeit der fortdauernden Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt festzustellen sind, oder ob eine zeitnähere als die sich nach dem
Zweifelssatz ergebende Rauschmitteleinnahme in Betracht kommt (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 6.1.2009 – 1 Ss 178/08, BA 46 [2009], 99).
Das KG Berlin (Beschl. v. 5.6.2009 – 2 Ss 131/09 – Ws (B) 323/09, NZV 2009, 572 = VRR 2009, 306 = VA 2009, 195 = VRS 117 [2009], 104 [105]) betont, dass fahrlässiges Handeln jedenfalls
vorliegt, wenn der Fahrer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und sich dennoch an das Steuer setzt, ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelstoff noch nicht
vollständig unter den Grenzwert abgebaut ist. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder messbaren Wirkstoffeffekt vorstellt.
d) Kokain
Eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG kann vorliegen, wenn der auf die Wirkung von Cocain hindeutende Blutanalysewert auf den Genuss des cocainhaltigen Teegetränks „Mate de Coca“
zurückzuführen ist (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.5.2009 – 1 SsRs 11/09, BA 46 [2009], 335 = VRS 117 [2009], 208).
3. StVG § 25 Fahrverbot
Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kann nach gefestigter Rechtsprechung nach wie vor Auswirkungen auf den Bestand, die Dauer oder die konkrete Ausgestaltung eines bußgeldrechtlichen
Fahrverbots haben (vgl. hierzu: OLGe Jena, Beschl. v. 10.10.2007 – 1 Ss 356/07, zfs 2008, 411; Karlsruhe, Beschl. v. 22.6.2007 – 1 Ss 44/07, SVR 2008,
269;Bamberg, Beschl. v. 15.5.2008 – 2 Ss OWI 681/2008, zfs 2008, 469). In diesem Zusammenhang begründet eine Verfahrensverzögerung von sieben Monaten ohne das Hinzutreten sonstiger den
Betroffenen mit der Dauer des Verfahrens besonders belastender Umstände regelmäßig aber noch keinen Konventionsverstoß i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK (OLG Bamberg Beschl. v. 4.12.2008 – 3
Ss OWi 1386/08, NJW 2009, 2468). Nach Ansicht desOLG Rostock (Beschl. v. 12.6.2008 – 2 Ss OWi 271/06, StV 2009, 363) kommt ein Wegfall des Fahrverbots aber in Betracht, wenn der Betroffene
rund 15 Monate länger als bei regelgerechtem Verfahrensgang im Ungewissem geblieben ist, ob und wann es noch zum Vollzug eines Fahrverbots gegen ihn kommt. Für das OLG Hamm (Beschl. v.
17.2.2009 – 3 Ss OWi 941/08, DAR 2009, 405; – a.A.: OLG Koblenz, Urt. v. 2.10.2009 – 2 SsBs 100/09, VA 2010, 13 = BeckRS 2009, 27303) verliert das Fahrverbot seinen Sinn als
Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme jedenfalls nach 2 Jahren. Eine lange Zeitspanne zwischen Tatbegehung und Verurteilung führt grundsätzlich jedoch nicht dazu, dass von der Gewährung der
4-Monatsfrist für die Verbüßung eines Fahrverbots abgesehen werden kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.2.2009 – 2 Ss OWi 9/09, 11/09, NZV 2009, 519 = DAR 2009, 211 = VRS 116 [2009], 126= VM 2009,
Nr. 27 = NStZ-RR 2009, 217).
Beruft sich ein Kraftfahrzeugführer darauf, ein die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkendes Verkehrszeichen übersehen zu haben, und ist ihm diese Einlassung nicht zu widerlegen, so kann die
Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nicht allein darauf gestützt werden, dass das Verkehrszeichen beidseitig aufgestellt war
(OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.7.2009 – 2 Ss Owi 87 B/09, VRS 117 [2009], 310 = ACE-Verkehrsjurist 2010, 29).
Ein Absehen vom Fahrverbot (vgl. hierzu auch Krumm DAR 2009, 416 und Buschbell SVR 2010, 3; vgl. zur Beschränkung des Fahrverbots Krumm SVR 2010, 52) kommt bei
tatsächlicher Gefahr des Arbeitsplatzverlustes in Betracht. Bei offensichtlich rechtswidriger Kündigung ist es dem Betroffenen jedoch zuzumuten, eine Klärung der Rechtmäßigkeit durch die
Arbeitsgerichte herbeizuführen (OLG Bamberg, Beschl. v. 22.1.2009 – 2 Ss OWi 5/09, NZV 2010, 46 = ACE-Verkehrsjurist 2010, 30). Bei einem Präsidenten eines tariffähigen
Arbeitgeberverbandes und Geschäftsführer einer expandierenden Gesellschaft kann das Gericht auch ohne weitere Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen – namentlich: zum
Einkommen – des Betroffenen auf die Möglichkeit der Anstellung eines Fahrers für die Dauer des Fahrverbots zur Abmilderung der Folgen des Fahrverbotes verweisen (AG Lüdinghausen, Urt. v.
22.9.2008 – 19 OWi-89 Js 850/08 – 89/08, NZV 2009, 251). In der Regel ist der Rechtsfolgenausspruch einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung unter Verhängung eines
Fahrverbotes aber aufzuheben, wenn das angefochtene Urteil keine Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen enthält (OLG Hamm, Urt. v. 25.8.2009 – 2 Ss
OWi 593/09, VA 2009, 192 = ADAJUR Dok.Nr. 84301 = BeckRS 2009, 25879).
Das Übermaßverbot steht dem Verweis eines Betroffenen auf die vorübergehende Anmietung eines Zimmers in Arbeitsplatznähe nicht entgegen. Denn die hierfür anfallenden Aufwendungen sind schon deshalb
als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die ersparten Aufwendungen für die private Fahrzeugnutzung gegenüber zu stellen sind (OLGBamberg, Beschl. v. 18. 3.2009 – 3 Ss OWi 196/09,
DAR 2009, 401). Dem Betroffenen ist es grundsätzlich auch zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken (OLG Frankfurt, Beschl. v.
30.10.2009 – 2 Ss OWi 239/09, SVR 2010, 30).
Eine Ausnahme vom Fahrverbot liegt für das OLG Dresden (Beschl. v. 27.8.2009 – Ss OWi 410/09, DAR 2010, 29) jedoch in der Regel vor, wenn das Geschwindigkeitsmessgerät entgegen
der Richtlinien unmittelbar nach der Ortstafel eingesetzt wurde. Trotz Vorliegen etwaiger Härten ist ein Absehen von einem Regelfahrverbot nach einem grob pflichtwidrigem Geschwindigkeitsverstoß
aber dann nicht möglich, wenn zugleich ein Fall der Beharrlichkeit vorlag (AG Lüdinghausen, Urt. v. 23.1.2009 – 19 Owi 89 Js 1585/08-146/08, NZV 2009, 205 = NStZ-RR 2009, 290).
Bei einem qualifiziertem Rotlichtverstoß ist die grobe Verletzung in der Regel indiziert, so dass das Vorliegen eines Ausnahmefalls nur dann zu prüfen ist, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen oder der
Betroffene dies einwendet (OLG Bremen, Beschl. v. 19.10.2009 – 2 SsBs 38/09, NZV 2010, 42). In den sog. „Frühstarterfällen“ kann nach einem Beschl. des OLGBamberg (v.
29.6.2009 – 2 Ss Owi 573/09, NZV 2009, 616 = DAR 2009, 653 = VA 2009, 209)ein Ausnahmefall vorliegen, wenn das missachtete Rotlicht gerade nicht dem Schutz des Querverkehrs dient, sondern
ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion erfüllt und deshalb eine auch abstrakte Gefährdung des Querverkehrs oder anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Eine abstrakte Gefahr
für andere Verkehrsteilnehmer ist an einer Fußgängerampel jedenfalls zur Tageszeit gegeben, wenn der Betroffene zuvor zwei Fußgänger hat passieren lassen (OLG Hamm, Beschl. v. 19.10.2009 –
3 Ss OWi 763/09, DAR 2010, 30 = VA 2010, 49).
Mit der Vorschrift des § 25 Abs. 2a S. 2 StVG hat der Gesetzgeber nach Ansicht des AGEssen (Beschl. v. 15. 9.2009 – 35 EOWi-457/09 u. 458/09, DAR 2009, 658) zum Ausdruck gebracht,
dass Fahrverbote grundsätzlich nacheinander zu vollstrecken sind. Gleichzeitig können mehrere Fahrverbote jedoch dann vollstreckt werden, wenn keines unter den Voraussetzungen der
Ausnahmevorschrift des § 25 Abs. 2a StVG (4-Monatsfrist) ergangen ist (AG Velbert, Beschl.v. 8.1.2009 – 20 OWi 12/08 (b), DAR 2009, 285).
Stehen mehrere Ordnungswidrigkeiten, die jeweils mit einem Fahrverbot von drei Monaten geahndet werden könnten, in Tatmehrheit, so kann in dem diese Ordnungswidrigkeiten gleichzeitig aburteilenden
Urteil nur auf ein Fahrverbot erkannt werden (OLG Hamm,Beschl. v. 27.10.2009 – 3 Ss OWi 451/09,NStZ-RR 2010, 87, L = NZV 2010, 159).
Neue Literatur: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2010.
4. StVG § 25 a Kostentragungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeuges
Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO führt mit Wirkung zum 1.9.2009 zur Bedeutung des Zeichens 270.1 nunmehr aus, dass Kraftfahrzeugführer nicht innerhalb einer Umweltzone ohne Feinstaubplakette am
Verkehr teilnehmen dürfen. Ob damit die Kontroverse (vgl. hierzu JlussiNZV 2009, 483 und Miller DAR 2010, 34), inwieweit das Verbot neben dem fließenden auch den ruhenden
Verkehr betrifft, der Vergangenheit angehört, bleibt abzuwarten. Jedenfalls bei vor dem 1.9.2009 eingeleiteten Ermittlungsverfahren kann ein Kostenbescheid nach § 25 a StVG nicht darauf gestützt
werden, an dem Fahrzeug sei in einer Umweltzone nicht die erforderliche Plakette angebracht gewesen, wenn kein weiterer Verstoß gegen Vorschriften über das Halten oder Parken hinzutritt
(AG Bremen, Beschl. v. 23.6.2009 – 94 OWi 348/09, SVR 2009, 429 = DAR 2010, 33; – a.A.: AG Tiergarten Beschl. v. 21.4.2008 – 295 OWi 330/08, DAR 2008, 409). Auch nach Ansicht
des AG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 15.7.2009 – 994 OWi 5/09 – 2017, NZV 2009, 516 = DAR 2009, 593 = NStZ-RR 2009, 353) wird bislang durch § 41 II Nr. 6 StVO das Parken von nicht mit einer
Feinstaubplakette ausgestatteten Fahrzeugen in Umweltzonen nicht verboten, so dass der Halter des Fahrzeugs bei Nichtfeststellung der Person, die den Verstoß begangen hat, nicht die Kosten des
Verfahrens nach § 25 a StVG zu tragen hat.
IV. Straßenverkehrsordnung
1. StVO § 3 Geschwindigkeitsüberschreitung
Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 11.8.2009 (2 BvR 941/08, DAR 2009, 577 = SVR 2009, 427 = zfs 2009, 589 = NZV 2009, 618 = NJW 2009, 3293 = DÖV 2009, 866, L = ACE-Verkehrsjurist 4/2009, 3
= Wolfgramm DAR 2010, 233; vgl. hierzu auch Lempp ACE-Verkehrsjurist 4/2009, 1) im Zusammenhang mit der Feststellung und Verfolgung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen
ausgeführt, dass eine Überwachung, bei der von einer Autobahnbrücke aus alle durchfahrenden Fahrzeuge verdeckt gefilmt werden, in Ermangelung einer entsprechenden Rechtsgrundlage rechtswidrig ist. Es
hat jedoch offen gelassen, ob aus dem Beweiserhebungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot folgt (vgl. zu dieser Frage Lampe JurisPR-StrafR 26/2009, 62).
Für das OLG Oldenburg (Beschl. v. 27.11.2009 – Ss Bs 186/09, DAR 2010, 32 = VA 2010, 47 = VRS 117 [2010], 13; vgl. auch d. Anm. v. Albrecht/Seidel, JurisPR extra, 4/2010, 83,
Anm. 4) führt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG eine Messung mit dem VKS 3.0 System wegen des damit verbundenen systematisch angelegten Eingriffs in die Grundrechte einer Vielzahl
von Personen zu einem schwerwiegenden Verfahrensverstoß, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (ebenso: AG Coesfeld, Beschl. v. 22.10.2009 – 3 b OWI 89 Js 470/09-97/09, zfs 2010,
109; AG Grimma, Beschl. v. 31.8.2009 – 3 OWi 166 Js 35228/09, DAR 2009, 659; Urt. v. 27.8.2009 – 3 OWi 154 Js 1964/09, NZV 2010, 100; Urt. v. 22.10.2009 – 3 Owi 151 Js 33023/09, VRS
117 [2010], 16; AG Lünen, Beschl. v. 14.10.2009 – 16 OWi-225 Js 1519/09-447/09, DAR 2010, 35 und AG Kamenz, Beschl. v. 18.12.2009 – 3 OWi 210 Js 13895/09 v,
DAR 2010, 101; – a.A.: OLG Bamberg, Beschl. v. 16.11.2009 – 2 Ss OWi 1215/09, DAR 2009, 709, L = zfs 2010, 50 = DAR 2010, 26 = NZV 2010, 98 = SVR 2010, 64 = NJW 2010, 100 und AG
Schweinfurt, Urt. v. 31.08.2009 – 12 OWi 17 Js 7822/09, DAR 2009, 660 (vgl. dazu unten unter IV 2.). Nach einem Beschluss des AG Eilenburg (v. 22.9.2009 – 5 OWi 253 Js 53556/08,
DAR 2009, 657) kann es in diesen Fällen jedenfalls opportun sein, ein Bußgeldverfahren einzustellen, wenn ansonsten im Wege einer kostenintensiven Beweisaufnahme geklärt werden müsste, ob ein
Beweisverwertungsverbot vorliegt.Für dasAG Lübben (Beschl. v. 8.12.2009 – 40 OWi 1911 Js 19757/09 –204/09, DAR 2010, 149) liegt auch bei Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren
mittels „ViDiStA 2006“ ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Fahreridentifizierung bei fehlender Rechtsgrundlage vor.
Bei einer Verurteilung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung darf der Tatrichter keine „doppelte Geldbuße statt einem Punkt“ verhängen. Die Eintragung im Verkehrszentralregister ist keine mit
einem Fahrverbot vergleichbare Nebenfolge, welche neben der Geldbuße als zusätzliche Sanktion zur Einwirkung auf den Betroffenen verhängt werden kann. Der Verkehrszentralregister-Eintrag soll
vielmehr sicherstellen, dass Ordnungswidrigkeiten ab einer gewissen Bedeutung zentral erfasst und bei zukünftigen Entscheidungen berücksichtigt werden können (OLG Hamm, Beschl. v.
27.11.2008 – 2 Ss OWi 803/08, NStZ 2009, 341).
In den Urteilsgründen darf der Tatrichter ausnahmsweise auf die Mitteilung der Messmethode verzichten, wenn der Betroffene den gegen ihn erhobenen Vorwurf uneingeschränkt eingeräumt hat
(OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 29.5.2009 – 2 Ss Owi 254/09, NZV 2009, 404 = VA 2009, 157; ebenso: OLG Bamberg, v. 8.7.2009 – 3 Ss OWi 670/09, VA 2009, 157 = BeckRS 2009,
27680). Hat der Tatrichter den Betroffenen anhand eines bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Lichtbildes als Fahrer identifiziert, so müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass
das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Beweisfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (OLGKoblenz,Beschl. v. 10.9.2009 – 1 Ss Bs 25/09, SVR 2009, 467;
vgl. zur Lichtbildidentifizierung auch Demandt SVR 2009, 379 sowie oben unter II, 4). Hegt der Tatrichter bei der Überprüfung Zweifel an der Eignung des Bildes (etwa bei Papierausdrucken
bzw. Computervergrößerungen, die unscharf und kontrastarm sind) muss er im Urteil nähere Angaben dazu machen, warum er trotz der schlechten Qualität des Lichtbilds den Betroffenen als Fahrer hat
identifizieren können (OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2008 – 2 Ss OWi 700/08, NStZ-RR 2009, 250). Da nach Ansicht des OLG Hamm (Beschl. v. 20.6.2008 – 3 Ss OWi 434/08, SVR 2009,
269) das humanbiologische Identifizierungsgutachten anders als dasdaktyloskopische Gutachten, die Blutalkoholanalyse oder die Bestimmung von Blutgruppen kein standardisiertes Verfahren ist,
reicht in den Urteilsgründen eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung nicht aus. Kommt es zur Verwertung eines anthropologischen
Identitätsgutachtens sind im Urteil Angaben zur Merkmalshäufigkeit erforderlich (OLG Jena, Beschl. v. 30.9.2008 – 1 Ss 187/08, VRS 115 [2008], 424).
Hat der Tatrichter die Feststellung, ob der Betroffene der „Täter“ war, aus der Hand gegeben und einem Sachverständigen überlassen, drängt es sich auf, das der Betroffene die Möglichkeit erhalten
muss, den Sachverständigen in angemessener Weise und ausführlich zu befragen sowie die Richtigkeit des Gutachtens in Zweifel zu ziehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.9.2008 – IV-5 SS-OWi
129/08 – Owi 75/08 I, SVR 2009, 270). Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt
erschöpfend gewürdigt ist. Hat das Gericht zur Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen gehört und sich seinem Gutachten angeschlossen, müssen in den Urteilsgründen auch die wesentlichen
Anknüpfungstatsachen und Sachverständigen-Darlegungen wiedergegeben werden, jedenfalls soweit dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist
(OLGBamberg, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 Ss OWi 153/08, DAR 2009, 402, L). In einem freisprechenden Urteil müssen die vom Gericht als erwiesen angesehenen Tatsachen und die Umstände bezeichnet
werden, aus denen sich die mangelnde Überführbarkeit der Betroffenen ergibt. Bestehen nach den Urteilsgründen Widersprüche zwischen früheren und späteren Aussagen eines Sachverständigen über die
Genauigkeit und Zuverlässigkeit eines eingesetzten Geschwindigkeitsmessgeräts, so stellt es einen Fehler dar, wenn in der Entscheidung keine Feststellungen zu den konkreten Umständen der
verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung mitgeteilt werden (OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 1.3.2010 – 2 Ss OWi 577/09, NStZ-RR 2010, 217).
Die Geschwindigkeitsmessung mittels des Messgerätes ES 3.0 des Herstellers „eso“ ist standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (AG Lüdinghausen,Urt. v. 23.1.2009 – 19
Owi 89 Js 1585/08-146/08, NZV 2009, 205 = NStZ-RR 2009, 290 und Urt. v. 19.1.2009 – 19 OWi 89 Js 1880/08-170/08, VA 2009, 157 = ADAJUR Dok.Nr. 84959; vgl. zur Messanlage
auch: Schmuck/Steinbach SVR 2010, 46; Arzt/Jana NZV 2010, 113), das PoliScanSpeed- Messverfahren hingegen nicht (AG Dillenburg, Beschl. v. 2.10.2009 – 3 OWi 2
Js 5432/09, DAR 2009, 715 = VA 2010, 14; – a.A.: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.1.2010 – IV – 5 Ss OWi 206/09 – OWi 178/09, VA 2010, 64; vgl. hierzu auch Löhe DAR 2009, 422). Ein
standardisiertes Messverfahren, das heißt ein bundesweit einheitliches, korrektes und erprobtes Vorgehen, liegt aber nur dann vor, wenn die Gebrauchsanweisung des Herstellers eines
Geschwindigkeitsmessgerätes (hier: „Riegl FG 21-P“) eingehalten wird (KG Berlin,Beschl. v. 11.3.2009 – 2 Ss 54/08 – 3 Ws (B) 67/08), VRS 116 [2009], 446). Ein ordnungsgemäßes Messverfahren
liegt jedoch nicht mehr vor, wenn das Messgerät im Tatzeitraum mit einer nicht mehr zugelassenen Software ausgestattet war (AG Gießen,Beschl. v. 19.2.2010 – 5214 OWi 104 Js 30766/09;
unveröff.). Erhebt ein Betroffener substanziierte Einwendungen gegen das standardisierte Messergebnis (hier: technische Fehlfunktion) ist der Tatrichter auf einen entsprechenden Beweisantrag des
Betroffenen hin zu weiterer Beweisaufnahme gezwungen bzw. kann den Beweisantrag nicht zurückweisen (OLG Celle, Beschl. v. 16.7.2009 – 311 Ss Bs 67/09, NZV 2009, 575 = zfs 2009, 593 = VA
2009, 195 = VRS 117 [2009], 206).
Die Feststellung der Geschwindigkeit eines Kfz durch Vergleich mit der Geschwindigkeit eines nachfolgenden Polizeifahrzeugs stellt grundsätzlich eine genügende Beweisgrundlage für die Annahme einer
Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit dar. Unter normalen Bedingungen ist in diesem Zusammenhang ein Sicherheitsabschlag von 20 % ausreichend und erforderlich, um alle denkbaren
Fehlerquellen und Ungenauigkeiten auszugleichen (OLG Jena,Beschl. v. 26.5.2009 – 1 Ss 124/09, VRS 117 [2009], 348).
Mehrere im Verlaufe einer Fahrt begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen eines Kraftfahrzeugführers stellen ausnahmsweise eine einzige Tat im materiellen und prozessualen Sinne dar, wenn die
einzelnen Verstöße einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der besagte Vorgang bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten
als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt. Eine solche Ausnahme kann etwa vorliegen, wenn zwischen beiden Geschwindigkeitsverstößen ein Zeitraum von 1 Minute und 11 Sekunden auf einem relativ
kurzen Abschnitt derselben Autobahn liegt. Das später eingeleitete Verfahren ist dann einzustellen (OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2009 – 5 Ss OWi 297/09, zfs 2009, 650).
Der Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die Auslösung des Messfotos nicht für jedes betroffene Fahrzeug durch den Messbeamten gesondert
veranlasst wird, sondern auf einer vorab erfolgten Programmierung des Geschwindigkeitsmessgerätes auf einen bestimmten Grenzwert beruht. Die Herstellung von Messfotos zur Identitätsfeststellung bei
Verkehrsordnungswidrigkeiten verstößt grundsätzlich nicht gegen den Subsidiaritätsgrundsatz, weil die Geschwindigkeitsmessung und lichtbildgestützte Tatfeststellung im standardisierten Verfahren eine
bewährte und besonders zuverlässige Möglichkeit zur Ermittlung der Identität der Tatverdächtigen bietet, die durch andere Maßnahmen nicht gleichermaßen gewährleistet und ersetzt werden kann (OLG
Brandenburg, Beschl. v. 22.2.2010 – 1 Ss OWi 23 Z/10, BeckRS 2010, 06695).
2. StVO § 4 Abstandsmessung
Trotz der Entscheidung des BVerfG v. 11.8.2009 und ihm folgender Fachgerichte (vgl. oben unter IV 1. und Rsprg.-Übersicht zur Videoüberwachung in VA 2010, 14) geht
das OLGBamberg (Beschl. v. 16.11.2009 – 2 Ss OWi 1215/09, DAR 2009, 709, L = zfs 2010, 50 = DAR 2010, 26 = NZV 2010, 98 = SVR 2010, 64) von einer hinreichenden gesetzlichen Rechtsgrundlage
(§ 100 h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) für im Rahmen des sog. Brücken-Abstands-Messverfahrens (VAMA) durchgeführte anlassbezogene Videoaufzeichnungen zur Identifizierung Betroffener
und damit verbundene Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus, so dass die Annahme eines prozessualen Verwertungsverbots unter dem Gesichtspunkt verdachtsunabhängiger
Videoüberwachung nicht in Betracht kommt (ebenso: AG Schweinfurt, Urt. v. 31.8.2009 – 12 OWi 17 Js 7822/09, DAR 2009, 660). Nach Ansicht des OLG Stuttgart (Beschl.
v. 29.1.2010 – 4 Ss 1525/09, DAR 2010, 148 = ACE-Verkehrsjurist 2010, 17) ist das Video-Brücken-Abstands-Messverfahren ViBrAM-BAMAS nicht mit dem vom BVerfG gerügten Messsystem VKS 3.0
vergleichbar, so dass deren Messergebnisse immer noch verwertbar sind. – Vgl. auch: Elsner DAR 2010, 164.
Bei dem „Provida/PPS“-System handelt es sich nicht um ein für Abstandsmessungen anerkanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH. Deshalb müssen
Auswertung und Berechnung in den Urteilsgründen verständlich und widerspruchsfrei dargelegt werden. (OLG Hamm, Beschl. v. 09.2.2009 – 4 Ss OWi 6/09, zfs 2009, 470); vgl. auch OLG
Schleswig, ([neg.] Beschl. v. 29.12.2009 – 2 Ss OWi 135/09 – 102/09, zfs 2010, 171/172) zu einem nachfolgenden Polizeifahrzeug und dem System Provida 2000. – Wird bei einer Abstandsmessung
mittels „Dista 4“ eine andere als die in der Bauartzulassung genannte Videokamera verwendet, liegt ebenfalls kein standardisiertes Messverfahren (mehr) vor (OLGJena, Beschl. v. 31.7.2008 – 1 Ss
103/08, VRS 115 [2008], 431). Auch wenn die Feststellungeines Abstandsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht, muss den Urteilsgründen dennoch regelmäßig zu entnehmen sein, ob
und wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat. Denn auch bei einem
standardisierten Messverfahren besteht die Möglichkeit, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung substantiiert verteidigt hat und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter
die Bedeutung dieser Einlassung verkannt oder rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (OLGBamberg, Beschl. v. 8.7.2009 – 3 Ss OWi 290/09, DAR 2009, 655 = zfs 2009, 594 = VA 2009, 212). Ein
standardisiertes Verfahren (hier: „Riegl LR 90-235/P“) erfordert nach einem Beschl. d.AG Rathenow (v. 2.4.2008 – 9 Owi 63383/08 – 37/08, NZV 2009, 249) eine standardmäßige Verwendung nicht
nur im Rahmen des eigentlichen Messvorgangs, sondern auch bei den vorausgehenden Gerätetests. Kommt es zu Abweichungen von der Gebrauchsanweisung des Herstellers, liegt kein standardisiertes
Messverfahren mehr vor. – Das OLG Oldenburg(Beschl. v. 27.11.2009 – Ss Bs 186/09, zfs 2010, 170) weist auf das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der auf Grund anlassloser Überwachung
ohne gesetzliche Grundlage mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 gewonnenen Abstands-Messergebnisse hin.
3. StVO § 5 Überholen
Das OLG Zweibrücken ( Beschl. v. 16.11.2009 – 1 Ss Rs 45/09, NJW 2010, 885, L = VRS 118[2010], 28 = NZV 2010, 163; L) weist darauf hin, dass ein erlaubtes Überholen mit „wesentlich höherer
Geschwindigkeit als der zu Überholende“ zwischen Lkw’s auf zweispuriger Autobahn grundsätzlich dann noch vorliegt, wenn die Differenz mindetens 10 km/h beträgt.
4. StVO § 23 Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt
Nachdem sich das BVerfG vor etwa 2 Jahren mit der möglichen Verfassungswidrigkeit des Verbots der Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons zu befassen hatte, die
Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen hat (vgl. Beschl. v. 18.4.2008 – 2 BvR 525/08, DAR 2008, 387), hat nunmehr das AG Gummersbach (durch Beschl. v. 8. 7.2009
– 85 OWi 196/09, SVR 2009, 430 = VA 2009, 209) ein Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt, weil es § 23 Abs. 1 a Satz 1 StVO für verfassungswidrig hält.
Unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm, stellt nach Auffassung desOLG Köln (Beschl. v. 12.8.09 – 83 Ss OWi 63/09, VA 2009, 192 = NStZ-RR 2010, 88 = VM
2009 Nr. 85) das Halten eines Mobiltelefons ans Ohr zum Abhören von Musik eine verbotswidrige Benutzung des Mobiltelefons i.S. von § 23 Abs. 1 a StVO dar.
Ebenso liegt ein verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons vor, wenn der Fahrzeugführer das Gerät aufnimmt, um dieses zum Telefonieren einzuschalten, das Einschalten aber am entladenen Akku
scheitert (OLG Köln, Beschl. v. 14.4.2009 – 83 Ss Owi 32/09, NZV 2009, 304) oder der Fahrzeugführer das Mobiltelefon während der Fahrt aufnimmt, um nach Ertönen des Klingeltons auf das
Display zu sehen, um zu prüfen, wer der Anrufer ist (OLG Köln, Beschl. v. 18.2.2009 – 83 Ss OWi 11/09, DAR 2009, 408).
Auch das Telefonieren mit einem Handy auf dem Seitenstreifen einer Autobahn verstößt gegen § 23 Abs. 1 a StVO, wenn der Kraftfahrzeugführer mit laufendem Motor anhält (OLGDüsseldorf, Beschl. v.
3.6.2008 – 2 Ss OWi 84/08 – OWi 39/08 III, SVR 2009, 232).
Als Mobil- oder Autotelefon im Sinne der obigen Vorschrift zählt ebenso ein Funkgerät, wenn hiermit auch eine Kommunikation im öffentlichen Fernsprechnetz möglich ist. Ein Verstoß liegt vor, wenn der
Fahrzeugführer ein solches zur Benutzung aufnimmt oder hält. Die tatsächliche Verwendung im konkreten Fall ist nicht erforderlich (OLG Celle, Beschl. v. 17.6.2009 – 311 Ss Rs 29/09, NZV
2009, 467 = DAR 2009, 655 = VRS 116 [2009], 461). Demgegenüber ist das Mobilteil des – zu einem Festnetzanschluss gehörenden - schnurrlosen Telefons kein Mobiltelefon im Sinne des § 23
Abs.1a StVO (OLG Köln, Beschl. v. 22.10.2009 – 82 Ss OWi 93/09, DAR 2009, 712 = SVR 2010, 26 = VRS 117 [2009], 313).
Besonders erwähnenswert ist, dass der Fahrlehrer, der sich während einer Fahrschulübungsfahrt auf dem Beifahrersitz befindet, – neben dem das Fahrzeug lenkenden Fahrschüler – als
Fahrzeugführer i.S.d. § 23 Abs. 1a StVG gilt und daher eine Ordnungswidrigkeit begeht, wenn er während der Fahrt telefoniert (OLG Bamberg, Beschl. v. 24. 3.2009 – 2 Ss Owi 127/2009,
NZV 2009, 517 = DAR 2009, 402).
Verwendet der Fahrzeugführer ein Mobiltelefon und fährt zeitgleich mit überhöhter Geschwindigkeit i.s.d. § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO, stehen beide Taten in Tateinheit gem. § 19 OWiG zueinander
(OLG Jena, Beschl. v. 15.10.2009 – 1 Ss 230/09, DAR 2010, 31 = VRS 117 [2009], 352).
5. StVO § 37 Rotlichtverstoß
Wird ein stationäres, standardisiertes Messverfahren (hier: „Traffipax Traffiphot III“) verwendet, müssen bei einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes die Nettorotlichtzeit mitgeteilt werden
und Feststellungen zum Überfahren der Fluchtlinie getroffen werden, wozu in der Regel ein Verweis auf in der Akte befindliche Lichtbilder ausreicht. Für die Bestimmung der Rotlichtzeit ist
grundsätzlich das Überfahren der vor dem Lichtsignal befindlichen Haltelinie maßgebend; nur wenn eine solche fehlt, kommt es auf den Beginn des Einfahrens in den durch die Ampel geschützten Bereich
an (OLG Bremen, Beschl. v. 19.10.2009 – 2 Ss Bs 38/09, NZV 2010, 43; vgl. hierzu auch Dronkovic, in Himmelreich/Halm, aaO, Kap. 34, Rn. 89 ff.).
Bei einer gezielten Ampelüberwachung kann die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich auf Grund der Schätzung von Polizeibeamten festgestellt werden, wenn der Polizeibeamte
durch Zählen zu einer Schätzung gelangt, wonach die Rotlichtphase bei Überfahren der Haltelinie schon mindestens zwei Sekunden andauerte (OLGHamm, Beschl. v. 12.3.2009 – 3 Ss OWi 55/09, VA 2009,
156 = NZV 2010, 44 = ACE-Verkehrsjurist 2010, 34).
Beruht die Feststellung der Dauer der Rotlichtphase auf Angaben zufällig anwesender Zeugen, muss die Fehleranfälligkeit solcher Schätzungen bei der Beweiswürdigung im Urteil eingehend anhand
objektiver Anknüpfungstatsachen erörtert werden (OLG Hamm, v. 1.9.2009 – 2 Ss OWi 550/09, VA 2010, 17 = ADAJUR Dok.Nr. 84831 = BeckRS 2009, 86191).
Wegen falscher Verdächtigung nach § 164 Abs. 2 StGB macht sich der tatsächliche Fahrzeugführer strafbar, wenn er im Anhörungsbogen zu einem ihm vorgeworfenen Rotlichtverstoß angibt, der Halter habe
das Fahrzeug geführt, um zu erreichen, dass das bereits eingeleitete Bußgeldverfahren gegen den Halter fortgesetzt wird (OLG Celle, Urt. v. 23.4.2009 – 32 Ss 15/09, VRS 116 [2009],
361).
V. Ordnungswidrigkeitengesetz
1. OWiG § 17 Höhe der Geldbuße
Das OLG Celle (Beschl. v. 16.7.2008 – 311 SsBs 43/08, SVR 2009, 233 = zfs 2009, 111) hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass eine geringfügige
Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG mit der Folge, dass regelmäßig die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen vom Tatrichter nicht aufgeklärt werden
müssen, nunmehr dann anzunehmen ist, wenn die verhängte Geldbuße den Betrag von 250 Euro (früher: 100 Euro) nicht übersteigt. Damit schließt sich der Senat der überwiegenden Ansicht der Bußgeldsenate
an (vgl.: OLG Hamburg NJW 2004, 1813; OLGDüsseldorf DAR 2002, 175).
Bedarf es einer Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ist die bloße Feststellung, der Betroffene habe ein „geregeltes Einkommen“ nichtssagend und führt zur Aufhebung durch das
Beschwerdegericht (OLG Koblenz, Beschl. v. 11.8.2009 – 1 Ss Bs 5/09, NZV 2009, 573 = SVR 2009, 428 = zfs 2010, 113).
Die gesetzliche Höchstgrenze für die Festsetzung einer Geldbuße für fahrlässiges Handeln gilt auch, wenn das Gericht von einem im Bußgeldbescheid festgesetzten Fahrverbot absieht oder dieses
herabsetzt (OLG Köln, Beschl. v. 23.12.2009 – 82 Ss OWi 113/09, VA 2010, 46).
2. OWiG § 33 Unterbrechung der Verfolgungsverjährung
Die Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 S.1 Nr. 1 OWiG tritt nur dann ein, wenn sich die in der Vorschrift genannten Unterbrechungshandlungen gegen eine individuell bestimmte Person richten,
die von der Verwaltungsbehörde als Täter verdächtigt wird (OLG Hamm,Beschl. v. 5.3.2009 – 3 Ss OWi 860/08, SVR 2009, 338).
Eine Unterbrechung der Verjährung durch Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Verteidiger gewährte Akteneinsicht zur Information des
Beschuldigten über Existenz, Inhalt und Umfang des Ermittlungsverfahrens gedient hat, wobei es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (OVG Saarlouis, Beschl. v. 5.6.2009 – Ss (Z) 209/2009 [58/09],
zfs 2009, 532).
3. OWiG § 46 Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren
Es liegt ein Verfahrenshindernis nach § 206 a StPO vor, wenn der Betroffene weder aus dem Bescheid noch aus außerhalb des Bescheids liegenden Umständen erkennen kann, dass die Ortsangabe falsch ist
und wo er stattdessen die Ordnungswidrigkeit begangen haben soll (AGRatzeburg, Beschl. v. 18.6.2008 – 6 OWi 761 Js 54521/07 (12/08), zfs 2009, 228).
Wird der Regelsatz des Bußgeldes, welcher mit dem Bußgeldbescheid verhängt wurde, vom Gericht verdoppelt, ohne dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, liegt eine Verletzung
rechtlichen Gehörs vor (OLG Hamm, Beschl. v. 13.11.2009 – 3 Ss OWi 622/09, DAR 2010, 99).
4. OWIG § 74 Verfahren bei Abwesenheit
Eine Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung i.S.v. § 73 Abs. 2 OWiG wirkt stets nur für die jeweilige Hauptverhandlung und wird mit Aussetzung oder
Verlegung unwirksam, so dass bei unterlassener wiederholter Entbindung von der Anwesenheitspflicht in einem späteren Termin die Vorraussetzungen einer Entscheidung nach § 74 Abs. 1 OWiG nicht
vorliegen (OLG Jena, Beschl. v. 9.6.2009 – 1 Ss 101/09, zfs 2010, 110).
Nach § 74 Abs. 2 OWiG ist, wenn der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in der Hauptverhandlung ausbleibt, die Verwerfung seines Einspruches nur
zulässig, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Das Amtsgericht muss, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht
nachgehen (OLGHamm, Beschl. v. 2.10.2008 – 4 Ss OWI 731/08, SVR 2009, 391). Laut Beschl. d. OLGBamberg (Urt. v. 27.1.2009 – 2 Ss Owi 1613/08, NZV 2009, 355 = NStZ-RR 2009, 149)
muss sich der Richter vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OwiG bei der Geschäftsstelle informieren, ob dort eine Entschuldigungsnachricht des Betroffenen vorliegt. Bei der allgemeinen
gerichtlichen Eingangsstelle hat er jedoch nicht nachzuforschen.
1 Im Anschluss an NStZ 2009, 373. – Dieser Beitrag hier wird veröff. in: NStZ 2010, 492, Heft 9; hier etwas ergänzt.
* www.himmelreich-dr.de und www.halmcollegen.de
3. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2010 bis zum
31.3.2011
Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und -bußgeldsachen1
von Rechtsanwälten Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Wolfgang Halm, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Köln*
–
Überblick 1.4.2010 - 31.3.2011 –
I. Strafgesetzbuch
StGB §§ 20, 21, 49 Verminderte Schuldfähigkeit und Strafrahmenbestimmung sowie Schuldunfähigkeit
Zur Tatzeit-BAK-Berechnung im Hinblick auf § 20 StGB betont der BGH
(Beschl. v. 22.6.10 – 4 StR 211/10, DAR 10, 588 = ADAJUR-Archiv-Dok. Nr. 89492 = BeckRS 2010, 18204), dass dann, wenn das Taturteil hinsichtlich einer um 2.52 Uhr entnommenen Blutprobe mit 1,38 ‰,
woraus vom Gericht eine Tatzeit-BAK in Höhe von 1,88 ‰ errechnet wurde, keine Angaben zur Tatzeit enthält, die Entscheidung aufzuheben ist, da dann die Rückrechnung der stündlichen Abbauwerte sowie
eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 ‰ nicht überprüft werden kann. − In einer weiteren Entscheidung zur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit durch Alkoholeinfluss i. S. des § 21
StGB weist derBGH (Beschl. v. 21.4.10 – 4 StR 64/10, BeckRS 2010, 12073) darauf hin, dass auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Trinkmenge eine Tatzeit-BAK zu errechnen und mit
den psychodiagnostischen Kriterien in die erforderliche Gesamtwürdigung bei der Beurteilung der möglichen erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit einzubeziehen sei. Denn für die Beantwortung
der Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben seien, komme es sowohl auf die Höhe der BAK als auch auf die psychodiagnostischen Kriterien an. Dabei stehe das Fehlen von Ausfallerscheinungen
einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegen; gerade bei alkoholgewohnten Tätern könnten äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit
auseinanderfallen. – Auch an die Beachtlichkeit eines Atemalkoholtests bei der Ermittlung eines Nachtrunks im Rahmen des § 21 StGB erinnert der BGH (Beschl. v. 26.1.10 – 5 StR 520/09,
NStZ-RR 10, 275): Zwar ist eine direkte Konvertierung von Atemalkohol- in BAK-Konzentrationen ausgeschlossen. Indes wird jedem Atemalkohol-Wert eine gewisse Bandbreite von BAK-Werten entsprechen, die
ohne Weiters in die Beweiswürdigung über den Umfang eines Nachtrunks, zumal bei widersprüchlichen Angaben des Betroffenen, einzubeziehen und mit zu bewerten ist. – Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit
i. d. Rsprg. d. BGH vgl. auch: Pfister NStZ-RR 10, 161.
2. StGB §§ 69, 69 a Fahrerlaubnis-Entzug und Sperre
a) Vorzeitiger Wegfall von Entziehung und Sperre und Rückgabe des Führerscheins oder vorzeitige Aufhebung oder Reduzierung der Fahrerlaubnis-Sperre oder Geldstrafen-Ermäßigung bei
Trunkenheits- und Verkehrs-Unfallflucht-Delikten durch Teilnahme an extern überprüften und kontrollierten, mithin qualifizierten Verkehrs-Therapien
Die 33. StrK des LG Berlin (Beschl. v. 2.8.10 – 533 Qs 97/10, DAR 10, 712, m. ausf. Anm.Mahlberg, auch hinsichtl. der „Wiedereignung“) betont, dass auch bei einer so hohen BAK von 2,82
‰ (am 5.12.09) die Sperre vorzeitig gem. § 69a Abs. 7 StGB völlig aufgehoben werden könne, da aufgrund erheblicher neuer Tatsachen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung Grund zur Annahme bestehe, dass
der Täter zum Führen von Kfz nicht mehr ungeeignet ist. Hierbei könne insbesondere Berücksichtigung finden, dass der Verurteilte durch eine Nachschulung/Therapie oder ein Aufbauseminar für
alkoholauffällige Kraftfahrer eine risikobewusstere Einstellung im Straßenverkehr entwickelt habe. Eine solche Entwicklung sei hier belegt, da der Täter an einer
Verkehrstherapie IVT-Hö-Berlin-Brandenburg teilgenommen und eine Bescheinigung vorgelegt habe, dass er weiterhin bis zur Entscheidung des Gerichts bzw. der Fahrerlaubnisbehörde freiwillig
am Abstinenzprogramm teilnehmen wird und für sich darüber hinaus eine therapeutische Nachsorgemaßnahme organisiert hat; abschließend wird betont (insoweit nicht mitabgedruckt): „Die Gesamtwürdigung
aller Tatsachen rechtfertigt somit … die Annahme, dass der Beschwerdeführer wieder als geeignet … anzusehen ist“; – w. Nw. b. Himmelreich/Halm NStZ 10, 492. – Die 6. StrK
des LG Berlin (Beschl. v. 25.1.11 – 506 Qs 8/11, Berliner Anwaltsblatt 11, 86, m. abl. Anm. v. Samimi = VRS 120, 2011, 199) betonte zu einer anderen Therapie, dass nach einem
„10-stündigen Verkehrserziehungskurs“ der DEKRA-Akademie insoweit hier eine Sperrfristabkürzung abzulehnen sei, da diese nicht zu einem Termin in der Zukunft möglich sei, sondern nur eine
komplette Aufhebung der Restsperre genau zum Zeitpunkt des Beschlusses: „Die allgemein gehaltenen Ausführungen über veränderte Trinkregeln und die Erkenntnisse des Eigenanteils an der
alkoholbedingten Auffälligkeit reichen für die Feststellung der Zweckerreichung der verhängten Maßnahme zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus.“ Ähnlich hatte auch schon das LG
Potsdam (s. Himmelreich/HalmNStZ 09, 373, 374 = Himmelreich/Karbach SVR 09, 1, 3) hinsichtlich eines „DEKRA-Mobil-Kurses“ argumentiert. Insofern müssten sich offensichtlich einmal
Verteidiger und DEKRA-Akademie um eine „intensivere Bescheinigungs-Begründung des Kurses“ für ein Strafgericht sowie um eine andere Zeitplanung des Kurses und Vorlage bei Gericht bemühen.
Das AG Berlin-Tiergarten (Urt. v. 19.5.10 – 287 Cs, 3032 PLs 3509/09, 241/09; unveröff.) verhängte aufgrund einer Verkehrstherapie IVT-Hö-Berlin-Brandenburg – mit
Abstinenznachweis bei einer Trunkenheitsfahrt m. 1,33 ‰ und einer ca. 2 Jahre zurückl. OWi-Tr.fahrt mit 0,62 ‰ nach 9 Mon. vorl. F.entzug – nur noch ein dekl. Fahrverbot von 3 Mon. und gab den
Führerschein im Ger.-Termin zurück m. folg. alleiniger strafr. Begründung: „Eine weiter bestehende charakterliche Nichteignung … konnte … nicht mehr festgestellt werden“; ein Eignungs-Gutachten war
hier weder im Strafverfahren noch verwaltungsrechtlich (trotz § 13, S. 1, Nr. 2 b FeV) erforderlich; die FEB hat hier wohl eine Bindungswirkung angenommen, dies aber insoweit nicht
erwähnt.
Die StA Köln (Beschl. v. 15.2.11 – 192 Js 1185/10 A; unveröff.) hat aufgrund der Teilnahme an einem psycholog. AFN-Aufbauseminar („Kurs ALFA“) als Einzel-Seminar m.
„Teilnahmebescheinigung zur Vorlage bei Gericht“ (Vorgespr. v. 30 Min. u. 3 Einzel-Sitzg. v. insges. 270 Min. m. Begr.: „Wir können … eine aktive und erfolgreiche Teilnahme bestätigen“) das
Strafverfahren gegen einen 17jährigen Jugendlichen wegen eines OWi-Trunkenheitsdelikts (0,95 ‰) mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) gem. § 45 Abs. 2 JGG eingestellt m. d. Begr.: “… da mir das
Verschulden verhältnismäßig gering erscheint und ich davon ausgehe, dass es sich um einen einmaligen Verstoß … handelt“.
Zur Bindungswirkung einer strafr. Entscheidung gegenüber der FEB vgl.: VGH Mannheim, Beschl. v. 3.5.10 – 10 S 256/10, SVR 10, 235; VG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 25.3.10
– 1 K 280/10, SVR 10, 278 = ADAJUR-Dok. Nr. 88263 = BeckRS 2010, 47899; Mahlberg, in: Himmelreich/Halm, Hdb. d. FA Verkehrsrecht, 3. Aufl. 10, Kap. 35, Rn. 503
ff.;Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung i. d. Praxis, 4. Aufl. 07, § 15, Rn. 125 ff. u. 190 ff.; Himmelreich NZV 05, 337, 340 ff.; VG Berlin, Beschl. v. 6.10.10 – VG
20 L 277.10, unveröff., i. V. m. AG Zossen, Urt. v. 8.9.10 – 10 Cs 483 Js 22769/08 (420/08), T. i. V. m. 2,13 ‰ (nur dekl. Fahrverbot), unveröff., m. folg. alleiniger strafr. Begründung: „Die
Angekl. ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als ungeeignet … anzusehen. Die Tat ist über 1 Jahr her und die Angekl. ist seitdem verkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten“. – W. Nw.
bei:Himmelreich/Halm NStZ 10, 492, 493.
b) Berücksichtigung von – nicht extern evaluierten – psychologischen und nicht-psychologischen Nachschulungen oder Therapien
Eine erfolgreiche Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Therapie kann das Gericht bei einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses
Überholen überzeugen, dass eine Ungeeignetheit zum Führen von Kfz nicht mehr zu bejahen ist; ein dekl. Fahrverbot reiche dann aus, meint das AG Bremen (Urt. v. 1.12.09 – 82 Cs 600 Js
50024/09 - 455/09, DV 10, 108 = ADAJUR-Dok. Nr. 89842).
Das AG Bochum (Beschl. v. 22.10.10 – 29 AR 16/10, DAR 11,97, m. Anm. Mahlberg = VA 11, 50) geht davon aus, dass eine Aufhebung der Sperre – auch nach (hier) 45 Jahren – nicht in
Betracht komme, wenn der Betroffene erneut verkehrsstrafrechtlich aufgefallen sei und zudem keine Anstrengungen unternommen habe, eine entspr. Nachschulung zu absolvieren.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 12.3.07 – 2 Ws 258/07, b. Cramer/Berz/Gontard, Straßenverkehrs-Entscheidungen, Losebl., Erg.lfg. Nov. 2010, S. 95 = NZV 07, 250 = ADAJUR-Dok. Nr. 73463) weist
darauf hin, dass eine Abkürzung der Sperre einen Ausnahmefall darstelle und deshalb in jedem Einzelfall einer genauen Prüfung der neu hervorgetretenen Tatsachen bedürfe, die auch vorliegen
müssten.
c) Fahrerlaubnis-Entzug i.d.R. bei „wissen oder wissen können“ von einem „bedeutenden“ Fremd- Sach-Schaden gem. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB bei Verkehrsunfallflucht
Der h.M., dass die „Bedeutsamkeits“-Grenze ab ca. 1.300 € zu ziehen sei, haben sich weiterhin angeschlossen: Scheffler/Halecker, in: AnwaltKommentar StGB, 1. Aufl. 11, § 69, Rn.
32; Bücken, ebendort, § 142 StGB, Rn. 36; Lemke-Küch, Verteidigung im Strafverfahren mit OWi-Verfahren, 1. Aufl. 09, Rn. 732; – w. Nw. b.: Hentschel/König/Dauer, SVR, 41. Aufl. 2011,
§ 69 StGB, Rn. 17; Himmelreich/Halm NStZ 10, 492, 493; 09, 373, 375; 08, 382, 384; 07, 389, 390; 06, 380, 382; Himmelreich/Bücken/Krumm, Verkehrsunfallflucht, 5. Aufl. 09, Rn. 261 u.
269; Winkler, in: Himmelreich/Halm, Hdb. d. FA Verkehrsrecht, 3. Aufl. 10, Kap. 33,.Rn. 117. – Weitergehend aber z.B.: AG Saalfeld (DAR 05, 52), Wahl (OStA, in:
Bockemühl, Hdb. d. FA Strafrecht, 4. Aufl. 09, 6. Teil, 4. Kap., III, Rn. 204) u. LG Hamburg (DAR 07, 660), die die Grenze bei 1.500 € ziehen.
Die 34. Kammer des LG Berlin (Beschl. v. 31.3.10 – 534 Qs 40/10, DAR 10, 533 - m. Anm.Staub DAR 11, 156 - = NZV 10, 476 = VRS 119 [2010], 224) weist darüber hinaus darauf
hin, dass bei der Prüfung der Ungeeignetheit aufgrund bedeutendem Fremdschaden keine starre Grenze bei 1.300 € zu ziehen sei; denn auch bei einem Fremdschaden von darunter (hier: 1.220 €)
könne dann eine Ungeeignetheit vorliegen, wenn das konkrete Verhalten des Beschuldigten ein hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen und Rechtsgütern Anderer belege.
Auch d. 3. Gr. StrK d. LG Köln (Beschl. v. 29.10.10 – 103 Qs 70/10; unveröff.) vertritt u.A. diese Ansicht („keine starren Grenzen“) und betont: Es ist „aufgrund der
Reparaturkalkulation des Kfz-Sachverständigen S. ein Sachschaden in Höhe 1.287,52 € sowie Sachverständigenkosten in Höhe von 287,27 € entstanden, so dass auch die Grenze zum bedeutenden
Fremdschaden von 1.300,00 € überschritten ist. Für die Frage, wann ein Schaden im Sinne § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB bedeutend ist, existieren keine starren Schadensgrenzen. Aufgrund gefestigter
Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, werden jedoch Schäden ab 1.300,00 € als bedeutend angesehen, wobei Sachverständigenkosten bei der Berechnung des Schadens zu berücksichtigen
sind.“ Letzteres vertrat früher schon d. 5. Gr. StrK d. LG Köln (Beschl. v. 27.2.91 – 105 Qs 164/91, DAR 91, 271, m. abl. Anm. Bär S. 272): „und die Kosten des Sachverständigen“;
vgl. auch (m. fast nur zivilrechtl. Denkansatz): OLG Stuttgart VRS 62 [1982], 123, 124 („zu den reinen Reparaturkosten auch alle übrigen eventuellen Schadensposten … wie
Sachverständigen- … -kosten“); LG Berlin NStZ-RR 07, 281 = NZV 07, 537 („grundsätzlich sind … auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu ersetzen, soweit sie zu einer
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich sind“); Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 11, § 69, Rn. 7 („Dabei sind alle zur Naturalrestitution erforderlichen Aufwendungen … als
Berechnungsfaktoren einzubeziehen.“); LK-Geppert, Bd. 3, 11. Aufl. 06, § 69 StGB, Rn. 84 (“auch erstattungsfähige … Gutachter- … -gebühren“); Lenhart NJW 04, 191, 192 („warum nicht … , ist
nicht einzusehen“).
Demgegenüber betont jedoch zutreffend die h.M., dass kaum kalkulierbare Kosten, wie z.B. SV-Kosten, nicht hinzugerechnet werden dürfen, zumal diese i.d.R. am Unfallort nicht
erkennbar sind (vgl. z.B.: LG Hamburg MDR 89, 477, 478; DAR 91, 472, i. LS; VRS 76 [1989], 282, 284; VRS 85 [1993], 331, 332; NZV 93, 326, i. LS; 94, 373 = DAR 94, 127,128; NStZ 95, 91
m. abl. Anm. Notthoff; Himmelreich/Bücken/Krumm, a.a.O., Rn. 262 ff.;Burmann/Heß/Jahnke/Janker, SVR, 21. Aufl. 10, § 69, Rn. 20; Hentschel/Bücken, in: Burmann/Heß, Hdb. d. SVR,
Losebl.-Komm., Bd. 2, 26. Aufl. 10, Kap. 16 A, Rn. 62;Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, a.a.O., § 25, Rn. 113; Scheffler/Halecker, a.a.O., § 69, Rn. 32; Hentschel/König/Dauer, a.a.O.,
§ 69, Rn. 17; MK-Athing, Bd. 2/1, 05, § 69 StGB, Rn. 70 („Gutachter- … kosten nicht“); Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl. 10, § 69, Rn. 37 („nicht jedoch ein mittelbarer Schaden … da
er zZ des Unfalls wenig abschätzbar und für den Täter kaum kalkulierbar ist“); Pflieger, in: Dölling/Duttge/Rössner, Ges. Strafr., 2. Aufl. 11, § 69, Rn. 8 („nicht … mittelbare
Schäden“); Burhoff, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis d. Straßenverkehrsrechts, 4. Aufl. 08, Teil 6, Rn. 381 („mittelbare Schäden nicht“); Winkler, a.a.O., Rn. 117 („nicht … dem Grunde
und der Höhe nach kaum kalkulierbare Kosten wie … Gutachter-Kosten“); wohl auch: Fischer, StGB, 57. Aufl. 10, § 69, Rn. 28.
Leider übersieht die 3. Gr. StrK des LG Köln (a.a.O.) hier aber auch noch zusätzlich – in krasser Mindermeinung –, dass die „MwSt auf die Reparaturkosten“
dann, wenn (wie hier)keine Reparatur anfällt, gem. h.M. völlig außer Betracht zu bleiben hat (vgl. z.B. LG GeraNZV 06, 105, 106; Lemke-Küch. a.a.O., Rn.
732; – w. Nw. bei: Himmelreich/Bücken/Krumm, a.a.O. Rn. 263; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 69 StGB, Rn. 17).
d) Zum Fahrerlaubnis-Entzug bei Mitfahrern, Kfz-Haltern oder Tatbeteiligten vgl. Zopfs NZV 10, 179. – Zum Fahrverbot im Rahmen der Ausgestaltung der Führungsaufsicht (§ 68 b I 1 Nr. 6 StGB)
nach Fahrerlaubnis-Entzug oder isolierter Sperre vgl. OLG Frankfurt NStZ 11, 59. – Zur Unzulässigkeit einer Fahrerlaubnis-Entziehung einer nur möglicherweise existierenden ausländischen
Fahrerlaubnis vgl. OLG Stuttgart (Beschl. v. 23.9.10 – 5 Ss 471/10, NJW 10, 3591 = NZV 11, 101 = StraFo 11, 62 = VM 11, 28 = VA 11, 11); so auch: Fischer, a.a.O., § 69, Rn. 3a; –
a.A. AG Lahr NJW 08, 2277, m. abl. Anm. Gübner. – Zur aktuellen obergerichtlichen Rsprg. im Verkehrsstraf- und –ordnungswidrigkeitenrecht vgl. auch: König/Seitz DAR 10, 361
sowie zur Rsprg. im Verkehrsstrafrecht: Burhoff VA 11, 68. – Zu Ausnahmen von Fahrerlaubnis-Entzug und Fahrverbot vgl. Schäpe BA 47 (2010), 194 = VGT 2011 und Uhle BA 47
(2010), 198 = VGT 2011.
3. StGB § 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
a) Bagatellgrenze
Der überwiegenden Meinung, von einem Bagatellschaden sei sicher bei Beträgen von unter 50 € auszugehen (vgl. d. Nw. b.: Himmelreich/Halm NStZ 10, 492, 494), hat sich
auch Bücken(a.a.O.) angeschlossen, auch mit Hinweis auf die neue Literatur, die von ca. 150 € ausgehe (vgl. auch Himmelreich/Halm, a.a.O.)
b) Zum Fahrerlaubnis-Entzug bei „bedeutendem“ Fremd-Sach-Schaden vgl. oben unter I 2 c.
c) Vorsatzloses Sich-Entfernen vom Unfallort
Insoweit hält der BGH (Beschl. v. 15.11.10 – 4 StR 413/10, NStZ 11, 209 = VA 11, 31 = JuS 11, 274 = BeckRS 2010, 29484 = ADAJUR-Dok. Nr. 90930) an seiner bisherigen (nach dem Beschl.
d. BVerfG v. 19.3.06; vgl. dazu näher: Himmelreich/Halm NStZ 08, 382,385; 09, 492, 494) neuen, inzwischen gefestigten Rsprg. weiter fest, wonach der sich nicht strafbar macht, der
sich von einem anderen Ort als dem Unfallort, an dem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, entfernt. – Vgl. dazu auch Blum SVR 10, 210; Winkler, a.a.O., Rn.139 f.
d) Neue Literatur: Zu § 142 StGB bei Unfällen auf der Autobahn vgl.: Mitsch. – Zur „OWi-Unfallflucht“ vgl. Krumm/Himmelreich/Staub DAR 11, 6.
4. StGB § 240 Verkehrs-Nötigung
Das OLG Koblenz (Beschl. v. 28.10.09 – 2 Ss 128/09 = BeckRS 2010, 01174) betont, dass nicht jeder vorsätzliche Regelverstoß im Straßenverkehr, der ein Nötigungselement enthält, eine
Nötigung i. S. d. § 240 StGB ist; Voraussetzung sei, dass die Entwicklung im Hinblick auf den anderen Verkehrsteilnehmer nicht die bloße Folge sondern der Zweck des verbotswidrigen Verhaltens
ist.
Das OLG Frankfurt (Urt. v. 23.11.10 – 2 Ss 274/10, NStZ-RR 11, 110, 111) weist darauf hin, dass eine tatbestandsmäßige Gewalt dann ausscheidet, wenn die Handlung lediglich in körperlicher
Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Betr. nur psychischer Natur ist.
Das BVerfG betont in seinem Beschl. v. 7.3.11 (1 BvR 388/05, NJW-Spezial 11, 249 = BeckRS 11, 49212 = FD-StrafR 11, 11316981), dass eine Sitzblockade mit Stau auf einer Autobahn dann nicht
strafbar sei, wenn die Aktion nur wenige Minuten dauerte, angekündigt war und es Ausweichmöglichkeiten über andere Straßen gab.
Neue Literatur: Krumm, Die Verwerflichkeitsprüfung im Nötigungstatbestand, SVR 10, 177.
5. StGB § 315b Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Nach der neueren Rsprg. des 4. Sen. des BGH (Beschl. v. 9.2.10 – 4 StR 556/09, NStZ 10, 391 = SV 10, 525/6) setzt die Strafbarkeit bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff
voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Kfz in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder
Schadenswerkzeug – missbraucht. Erst dann liegt eine – über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende – verkehrsatypische „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem
gefährlichen Eingriff vor. – Vgl. dazu auch : Winkler, a.a.O., Rn. 19 ff. – Zu den Voraussetzungen der Verurteilung wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs, wenn der Täter dadurch, dass
er von einer Autobahnbrücke einen Stein auf die Fahrbahn wirft, keine konkrete Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers herbeiführt, vgl. BGH, Beschl. v. 23.2.10 – 4 StR 506/09, NStZ 10, 572 =
ADAJUR-Dok. Nr.: 90128 = BeckRS 2010, 08365; vgl. insoweit zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB: BGH, Beschl. v. 5.1.10 – 4 StR 478/09, NStZ 10, 276.
Der BGH (Beschl. v. 16.3.10 – 4 StR 82/10, StraFo 10, 259 = NJW-Spezial 10, 363 = BeckRS 2010, 12075 = ADAJUR-Dok. Nr. 88894) weist noch einmal darauf hin, dass die konkrete Gefährdung
einer Sache von bedeutendem Wert bedeutet, dass der konkret drohende Schaden bedeutend sein muss; dies sei nicht der Fall, wenn - wie hier - ein Streifenwagen mit gleichmäßigem Tempo gezielt an der
hinteren rechten Beifahrertür gerammt wird, mithin nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße gefährdet wird.
Der BGH (Beschl. v. 28.9.10 – 4 StR 245/10, VRR 11, 70, m. Anm. Burhoff = NStZ 11, 215 = VA 11, 47 = BeckRS 2011, 00110) wiederholt noch einmal, dass die Wertgrenze für die
Annahme der Gefährdung einer Sache weiterhin bei 750 € liegt (w. Nw. b. Himmelreich/Halm NStZ 09, 373, 375).
6. StGB § 315 c Abs. 1 Nr. 2 f Gefährdung des Straßenverkehrs durch Befahren einer Kraftfahrtstraße entgegen der Fahrtrichtung
Der BGH (Beschl. v. 10.12.09 – 4 StR 503/09, NZV 10, 261 = StraFo 10 170 = BA 47 [2010], 296 = VA 10, 83, L) weist darauf hin, dass die Tathandlung, um strafbar zu sein, über die ihr
innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt haben muss; in dieser Situation müsse – was nach allgemeiner Lebenserfahrung
aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen sei – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt gewesen sein, dass es nur vom Zufall abgehangen habe, ob
das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. – W. Nw.: DAR 11, H. 3, S. IV.
7. StGB §§ 315 c, 316 Fahrten unter Alkoholeinfluss
a) Inhalt der Urteilsgründe
Nach einem Beschl. d. OLG Köln (v. 3.7.09 – 83 Ss 51/09, SV 10, 527 = BA 47 [2010], 141) hat der Tatrichter hinsichtlich der Urteilsanforderungen beim Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung,
insbesondere hinsichtlich des Schuldumfangs, regelmäßig neben der BAK-Höhe und der Schuldform weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und
einzugrenzen; dazu zählen insbesondere: Die Umstände der Alkoholaufnahme (z.B. Trinken in Fahrbereitschaft) sowie der Anlass und die Gegebenheiten der Fahrt (Fahrweise), Art (z.B.
Verkehrsverhältnisse) sowie Länge und Dauer der zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der private oder beruflich veranlasste Anlass der
Fahrt, ob aus eigenem Antrieb so gehandelt wurde oder ein Verleiten durch Dritte vorlag, ob bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit anzulasten ist und ob der Betroffene sich in ausgeglichener
Gemütsverfassung oder in einer Ausnahmesituation befand. – In einem weiteren Beschl. (v. 5.2.10, III – 1 RVs 25/10, BA 47 [2010], 296/7 = ADAJUR-Dok. Nr. 89615 = BeckRS 2010, 06507 = VA 10, 99, L =
VM 10, 52) hat das OLG Köln ergänzend ausgeführt, dass der Grundsatz, dass der Tatrichter regelmäßig verpflichtet ist, auch Umstände festzustellen, die geeignet sind,
den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen, auch dann gelte, wenn die Tat nicht zu einer Verurteilung nach § 316 StGB sondern zum Schuldspruch wegen Vollrausches (§ 323a StGB)
führt.
b) Maßgeblicher BAK-Wert für eine absolute Fahruntüchtigkeit
Das LG Hamburg (Beschl. v. 6.5.10 – 603 Qs 165/10, BA 47 [2010], 306 = BeckRS 2010, 12815 = ADAJUR-Dok. Nr. 88941 = LSK 2011, 050071) weist noch einmal darauf hin, dass es zur Feststellung
einer BAK von 1,1 ‰ nur darauf ankommt, dass der Fahrer zur Zeit der Fahrt soviel Alkohol im Körper hat, dass der BAK-Gehalt zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beendigung der Fahrt auf diesen
höheren Grenzwert ansteigt.
c) Vorsatz
Das OLG Stuttgart (Beschl. v. 17.4.09 – 2 Ss 159/09, BA 47 [2010], 139 = ADAJUR-Dok. Nr. 87853 = BeckRS 2009, 25407) weist noch einmal darauf hin, dass aus nachträglichen
Ausfallerscheinungen keine Rückschlüsse auf ein vorsätzliches Führen eines Kfz in alkoholbedingt fahrunsicherem Zustand gezogen werden können. Ebensowenig könne insoweit eine mangelnde
Beeinträchtigung hinsichtlich Denkablauf, Bewusstsein und Verhalten als tragender Beweis hierfür gewertet werden. Eine Diskrepanz zwischen dem subjektiven Verhaltensbild und dem Ergebnis der
Atemalkoholmessung – dem insoweit auch nur Indizwirkung zukomme – könne sich nämlich aus dem sog. „Nüchternschock“ ergeben, der besonders naheliege, wenn der Täter einen Unfall verursacht.
In einem Urteil (v. 4.5.10 – 5 Ss 198/10, ADAJUR-Dok. Nr. 89229 = VA 10, 155, L) betont dasOLG Stuttgart noch einmal, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach derjenige, der eine
erhebliche Menge Alkohol getrunken hat, seine Fahrtüchtigkeit kennt; ohne weitere Umstände könne also nicht daraus auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden. – Derselben Meinung sind
auch das OLG Düsseldorf (Urt. v. 30.6.10 – III-1 RVs 59/10, BA 47 [2010], 428 = NJW-Spezial 10, 491 = ADAJUR-Dok. Nr. 90615 = BeckRS 10, 16710] sowie das OLG Brandenburg (Beschl.
v. 13.7.10 – (2) 53 Ss 40/10, zfs 10,587/8 = VA 10, 190, L). – Ergänzend weist das OLG Brandenburg (in seinem Urt. v. 13.8.10 ([2] 53 Ss 40/10 – 21/10, ADAJUR-Dok. Nr. 89599) dann noch
darauf hin, dass der Tatrichter hinsichtlich einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt eine umfassende Prüfungspflicht habe; unter Heranziehung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere
der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs, dessen inneren Zusammenhangs mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters während und nach der Fahrt habe er diesbezüglich zu entscheiden.
d) Grenzwert für Krankenfahrstühle
Das OLG Nürnberg (Beschl. v. 13.12.10 – 2 St OLG Ss 230/10, DAR 11, 152 = NStZ-RR 11, 153 = zfs 11, 228 = BA 120 [2011], 183 = NJW Spezial 11, 43 = BeckRs 2011, 366) weist darauf hin, dass
der Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit von Fahrern motorisierter Krankenfahrstühle 1,1 ‰ betrage.
e) Relative Fahruntüchtigkeit
aa) durch eine Fahrt unter Alkoholeinfluss
Das OLG Köln (Beschl. v. 3.8.10 - III – 1 RVs 142/10, StraFo 10, 501 = VM 10, 75 = ADAJUR.Dok. Nr. 89114 u. 904499 = BeckRS 2010, 19482 = VA 10, 201, L) verneint eine relative
Fahruntüchtigkeit dann, wenn sich das Gericht allein darauf stützt, dass der Kraftfahrzeugführer den Zeichen der Polizei zum Einfahren in eine Verkehrskontrolle nicht Folge leistet und weiterfährt. –
Das LG Hamburg (Beschl. v. 13.1.09 – 603 Qs 10/09, BA 46 [2009], 285 = ADAJUR-Dok. Nr. 82767 = BeckRS 2009, 12842) verneint dies bei Nichtbetätigung des Fahrtrichtungsanzeigers, weil es
sich hierbei nur um eine immer wieder zu beobachtende Nachlässigkeit handelt; je geringer der BAK-Wert (hier: 0,64 ‰) sei, desto strenger seien die Anforderungen an den Nachweis der sonstigen
Umstände. – Das LG Braunschweig (Beschl. v. 3.12.08 – 8 Qs 369/08, NZV 10, 419 = ADAJUR-Dok. Nr. 89369 = BeckRS 2010, 22672) hält den bloßen Rückschluss von Fahrfehlern auf eine relative
Fahruntüchtigkeit für nicht zulässig, weil immer die Möglichkeit bestünde, dass die Fahrfehler auf einer momentanen Unachtsamkeit, auf Ablenkung durch Nebenbeschäftigungen oder aber auf einer
bewussten Missachtung von Verkehrsvorschriften beruhen, um etwa schneller ans Ziel zu gelangen.
bb) infolge einer Drogenfahrt
Das OLG Hamm (Beschl. v. 30.3.10 - III - 3 RVs 7/10, zfs 10, 407/8 = ADAJUR-Dok. Nr. 87888 u. 88217 = BeckRS 2010, 11106) geht zutreffend davon aus, dass eine Fahruntüchtigkeit nach
Konsum von Drogen allein aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch nicht zu begründen ist. Der Nachweis einer relativen Fahruntüchtigkeit
kann nach der gegenwärtigen Gesetzeslage grundsätzlich nur aufgrund des konkreten rauschmittelbedingten Leistungsbildes des Betroffenen im Einzelfall geführt werden. Dazu bedarf es außer des
positiven Blutwirkstoff-Befundes regelmäßig weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen; die hier angegebenen (innerörtlich 64 km/h, 3 – 4 Fahrschlenker, gerötete Bindehäute, trockene Zunge,
Kniezittern, 200,1 ng/ml Amphetamin 20 Min. nach Vorfall) würden allein nicht ausreichen. – Das OLG Saarbrücken (Beschl. v. 28.10.10 – Ss 104/2010 – 141/10, DAR 11, 95 = BA 48 [2011], 41 =
VA 11, 10 = ADAJUR-Dok.Nr. 91179) ist ähnlicher Meinung; bei einer Wirkstoffkonzentration von 0,001 mg/l Tetrahydrocannabinol (THC) seien eine Verlangsamung der Pupillenreaktion, ein schläfriger
Eindruck, Konzentrationsstörungen, verzögerte Reaktionen, verwaschene Aussprache, schleppender Gang sowie ein Schwanken im Stand – jedenfalls ohne weitere Feststellung insbesondere der Intensität
dieses Verhaltens – nicht genügend, um eine relative Fahruntüchtigkeit zu belegen. – Zu den Anforderungen an die Urteilsfeststellungen einer rauschmittelbedingten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit
aufgrund vorangegangenen Kokain-Konsums vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 29.6.10 – 3 RVs 45/10, Strafrechtsreport (StRR) 2010, 394 = ADAJUR-Dok. Nr. 89303 u. 90386 = BeckRS 2010, 19703.
Das AG Berlin-Tiergarten (SVR 10, 227 = BA 47 [2010], 248 = BeckRS 2010, 15351 = LSK 2010, 260246, m. zutreff. abl. Beurteilg. v. König/Seitz DAR 10, 361) weicht von
der h.M. ab und meint: „Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, im Serum zur Tatzeit festgestellt wurde und bei dem der nach der Empfehlung der
Grenzwertekommission für Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6-fache übertroffen ist, ist im Sinne von § 316 StGB fahruntauglich, ohne dass es auf den
Nachweis von Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt“; absolute Fahrunsicherheit sei auch deshalb gegeben, weil die Blutprobe zusätzlich 2,5 ng/ml THC aufgewiesen habe und deshalb
Wechselwirkungen gegeben seien.
II. Strafprozessordnung
1. StPO § 111 a Vorläufiger Fahrerlaubnis-Entzug nach längerem Zeitablauf
Das LG Bonn (Beschl. v. 22.1.10 – 24 Qs 112 Js 376/09-5/10, NZV 10, 214) vertritt die Meinung, dass aufgrund des langen Zeitablaufs Gründe des Vertrauensschutzes einer vorläufigen
Fahrerlaubnis-Entziehung entgegenstehen, wenn die Vorwürfe (hier: Nötigung und Verkehrsunfallflucht) ein Jahr lang bekannt waren, ohne dass eine vorläufige Entziehung beantragt wurde. –
Das OLG Brandenburg (Beschl. v. 2.12.09 – 1 Ws 229/09, BA 47, 2010, 300) betont, dass der bloße bisherige Zeitablauf seit dem Tatvorwurf bis zum Urteil (hier: 2 Jahre u. 2 Mon.) nicht
zwangsläufig die Annahme rechtfertigt, der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel gem. § 69 Abs. 1 StGB sei in dem Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen. – Das LG
Kiel (Beschl. v. 20.7.09 – 45 Qs 64/09, SV 10, 300 = ADAJUR-Dok. Nr. 88223 = LSK 2010, 250388) meint, dass, je länger der Zeitraum ist, der ab dem Anlass gebenden Ereignis ohne Antrag auf
Fahrerlaubnis-Entzug verstreicht (hier: 3 Mon.), desto eher die endgültige Entscheidung eines Fahrerlaubnis-Entzugs abgewartet werden könne. – Das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 23.4.09 – 1 Ws
102/09, BA 46 [2009], 284 = ADAJUR-Dok. Nr. 83822 = BeckRS 2009, 11229) betont dagegen, dass ein Zeitablauf von ca. 14 Mon. seit der Tat einer vorl. F.-Entziehung nicht entgegensteht. – Zu den
Anforderungen an einen Beschluss gem. § 111a StPO vgl.: LG Zweibrücken, Beschl. v. 17.9.10 – Qs 94/10, VRS Bd. 119 (2010), 365.
2. StPO § 244 Abs. 4 Gutachten-Überprüfung
Das KG (Urt. v. 27.8.10 – 3 Ws (B) 434/10 – 2 Ss 231/10, VA 10, 211, L = ADAJUR-Dok. Nr. 90154) weist darauf hin, dass dann, wenn das Tatgericht ein SV-Gutachten eingeholt hat und seine
Überzeugungsbildung hierauf stützt, es die Ausführungen des SV in einer ggf. gestrafften zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungs-Tatsachen und der daraus
gezogenen Schlussfolgerung insoweit wiedergeben muss, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist. – W. Nw.
b. Himmelreich/Halm NStZ 10, 292, 296.
3. StPO §§ 261, 267 Wiedererkennen
Zur ordnungsgemäßen Bezugnahme auf ein Lichtbild vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 17.8.10 – 1 SsBs 97/10, VA 10, 197, L = ADAJUR-Dok. Nr. 90400. – Zur Fahrer-Identifizierung im OWi-Recht
vgl.: OLG Celle, Beschl. v. 31.8.10 – 311 SsRs 54/10, NJW 10, 3794 = NZV 10 634 = NStZ 11, H. 2, S. VI. – Vgl zur Täteridentifizierung durch ein anthropologisches Identitätsgutachten: OLG
Bamberg, Beschl. v. 6.4.10 – 3 Ss OWi 378/10, NJW-Spezial 10, 491 = NJOZ 10, 2388 = FD-StrVR 10, 307191, m. Anm. Kääb = BeckRS 10, 16789 = ADAJUR Dok.-Nr. 88206; vgl. auch Schott SVR 10,
286: Identitätsgutachten – Anthropologische Vergleichsgutachten bei Verkehrsdelikten, Radar-, Rotlicht- und Abstandsmessungen. – Zur Verlässlichkeit von Zeugen-Aussagen im Straßenverkehr
vgl.: Köhnken DAR 10, 628.
III. Straßenverkehrsgesetz
1. StVG § 21 Fahren ohne Fahrerlaubnis
Die Frage, ob eine im EU-Ausland ab dem 19.1.2009 ausgestellte Fahrerlaubnis, wenn dem Betroffenen früher in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen worden war, gültig ist, beschäftigt auch nach der
ab diesem Zeitpunkt geltenden Neuregelung der Fahrerlaubnis-Verordnung weiter die Gerichte (vgl. allg. zum sog. „Führerscheintourismus“ Winkler inHimmelreich/Halm Hdb. des
Fachanwalts VerkehrsR, 3. Aufl., 2009, Kap. 33 Rn. 233 f. undHimmelreich/Halm NStZ 10, 492 sowie Otto Anm. zu OLG Jena Urt. v. 6.3.2007 – Ss 251/06, SVR 10, 187). Unter den
Oberverwaltungsgerichten bzw. Verfassungsgerichtshöfen der Länder besteht bislang Uneinigkeit darüber, ob EU-Fahrerlaubnisse im oben genannten Fall wirksam sind. Nach einem jüngeren Beschluss des
OVG Lüneburg (v. 11.08.2010 – 12 ME 130/10, VA 11, 12; ebenso: OVG Münster Beschl. v. 20.1.2010 – 16 B 814/09, zfs 10, 236 und VGH Baden-Württemberg Beschl. v. 21.1.2010
– 10 S 2391/09, DAR 10, 153; - a. A.:Hessischer VGH Beschl. v. 4.12.2009 – 2 B 2138/09, BA 47 [2010], 154 und OVG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 17.2.2010 – 10 B 11351/09, DAR 10,
406) berechtigt eine nach dem 19.1.2009 im Ausland ausgestellte EU-Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet, falls zuvor die deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden war. Das
OLGStuttgart (Beschl. v. 26.5.2010 – 2 Ss 269/10, NZV 10, 631 = DAR 2010, 481 = NStZ-RR 11, 15) teilt diese Rechtsauffassung und beanstandete die erstinstanzliche Verurteilung wegen fahrlässigen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht.
Mit Beschluss vom 16.8.2010 (11 B 10.1030) legte der Bayerische VGH dem EuGH die eingangs aufgeworfene Frage im Rahmen eines sog. „Vorabentscheidungsersuchens“ vor, um die Auslegung der
„Dritten Führerscheinrichtlinie“ diesbezüglich nun abschließend zu klären. Das offensichtliche Bestehen dieser (verwaltungsrechtlichen) Streitfrage dürfte die ordentlichen Gerichte zukünftig
jedenfalls insoweit bei ihrer Entscheidungsfindung beeinflussen, als dass sie bei der Beurteilung eines Verstoßes nach § 21 StVG über eine Einstellung des Verfahrens wegen Verbotsirrtums nachzudenken
haben werden.
Nach wie vor ungeklärt ist auch, was gilt, wenn ohne eine vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet, d.h. bei Verhängung einer sog. „isolierten“ Sperrfrist, im Ausland eine Fahrerlaubnis
erteilt wird, ohne dass der Betroffene dort seinen Wohnsitz hatte (vgl. dazu bereits Himmelreich/Halm NStZ 10, 492 m.w.N.). Das OLG Oldenburg (Beschl. v. 8.12.2010 – 1 Ss
102/10, DAR 11, 154 m. Anm. Dauer = StraFo 11, 71 = NZV 11, 207 = VRS 120 [2011], 201) hat im Zusammenhang mit dem Erwerb einer ausländischen Fahrerlaubnis während einer in Deutschland
verhängten „isolierten“ Sperrfrist jedenfalls vor kurzem entschieden, dass eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nur dann in Betracht kommt, wenn die Fahrerlaubnissperre im
Verkehrszentralregister eingetragen und nicht getilgt war. Darüber hinaus hat es ausdrücklich hervorgehoben, dass dies auch dann gilt, wenn die Tat vor dem 19.1.2009 begangen worden war. Laut einer
Entscheidung des OLG Köln (Beschl. v. 9.6.2010 – 2 Ws 361/10, NZV 10, 633 = NStZ-RR 10, 342; ebenso: OLG Hamm VA 10, 102) fährt auch ohne Fahrerlaubnis, wer sich während des Laufs
einer „isolierten“ Sperre einerzuvor erworbenen EU-Fahrerlaubnis bedient. Nach Einschätzung des OLG Stuttgart (Beschl. v. 23.9.2010 – 5 Ss 471/10, DAR 10, 710 = VRS 119 [2010], 348)
ist es deshalb auch nicht zulässig, da unnötig, eine ausländische Fahrerlaubnis, die der Angeklagte nur möglicherweise besitzt, aus Verdacht vorsorglich einzuziehen.
Mit einem Sachverhalt zur Rechtslage vor dem 19.01.2009 hatte sich das OLG Oldenburg in seinem Beschluss vom 6.4.2010 (1 Ss 25/10, DAR 10, 338) zu beschäftigen. In Übereinstimmung mit der
diesbezüglichen EuGH-Rechtssprechung (vgl. dazu NJW 08, 2403 undHimmelreich/Halm NStZ 09, 373) hat es entschieden, dass ein nach Ablauf der Sperrfrist ausgestellter EU-Führerschein dann nicht
zum Führen eines Kraftfahrzeug im Bundesgebiet berechtigt, falls sich aus dem fraglichen Führerschein selbst feststellen lässt, dass der Inhaber bei der Ausstellung nicht im ausstellenden Staat
wohnte. Berufe sich der Betroffene (vergeblich) auf einen Verbotsirrtum, müsse das Urteil jedenfalls Feststellungen dazu enthalten, was der Betroffene diesbezüglich vorgebracht hatte und welche
Auskunft ihm eine deutsche Führerscheinbehörde auf Nachfrage erteilt hätte.
Das Dauerdelikt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis wird durch einen Tankaufenthalt nicht unterbrochen; es bleibt bei tateinheitlicher Begehung (BGH Beschl. v. 22.7.2009 – 5 StR 268/09, DAR 10, 273).
Von einer Verwirklichung mehrerer Taten ist jedoch auszugehen, wenn der Fahrer eines Kleinkraftrades nach einer 15 minütigen polizeilichen Kontrolle mit Anzeigenaufnahme sein Kleinkraftrad
weiterschiebt und anschließend nach 350 m mit neu gefasstem Tatvorsatz wieder losfährt. Der innere zeitliche und räumliche Zusammenhang der beiden Teilfahrten ändert an der neuen Tat nichts
(AG Lüdinghausen Urt. v. 2.2.2010 – 9 Ds-82 Js 8979/09-186/09, NZV 10, 365).
Es besteht keine Pflicht für den Inhaber einer rechtswirksam erteilten Fahrerlaubnis, sich bei der Verwaltungsbehörde über deren Fortbestand zu informieren. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene
bereits häufiger verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten war. Der Betroffene ist deshalb solange nicht des fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig bis er konkrete Kenntnisse von
einem verwaltungsrechtlichen Entziehungsverfahren erlangt (KGBerlin Entsch. v. 12.7.2010 – (3) 1 Ss 180/10 (77/10), VA 11, 12).
2. StVG § 24 a Führen eines Kfz unter Einwirkung von
a)Alkohol
Welche Anforderungen an eine Blutprobeentnahme ohne richterliche Anordnung gestellt werden und wann deren Missachtung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, war in den letzten Jahren Gegenstand
zahlreicher obergerichtlicher und sogar verfassungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl. dazu Himmelreich/Halm NStZ 10, 492 m.w.N.). Gleichwohl scheint diese Thematik die Gerichte immer noch
nicht „loszulassen“.
Ordnet die Polizei eine Blutentnahme an, darf sie dies nach einer neueren Entscheidung desBVerfG (Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08, NZV 10, 628) nicht mit einer bloßen abstrakten Begründung
tun. Demgemäß hat das OLG Brandenburg am 13.7.2010 (- (2) 53 Ss 40/10, VA 10, 194) übereinstimmend dazu entschieden, dass die Gefährdung des Untersuchungserfolges mit Tatsachen
begründet werden muss, die auf den Einzelfall bezogen sind.
Unabhängig davon zieht die unberechtigte Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz des § 81 a Abs. 2 StPO nicht zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Ist zur Nachtzeit etwa kein
richterlicher Notdienst eingerichtet, führt dies nach herrschender obergerichtlicher Rechtssprechung nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. etwa OLGeCelle Beschl. v. 15.7.2010 – 322 SsBs
159/10, NZV 11, 46 und Oldenburg Beschl. v. 15.4.2010 – 2 SsBs 59/10, DAR 10, 339). Einzig der 3. Senat des OLG Hamm (Urt. v. 18.8.2009 – 3 Ss 293/08, NZV 09, 514) sieht in der
fehlenden Einrichtung ein sog. „Organisationsverschulden“ der Justizverwaltung und bejaht ein Beweisverwertungsverbot. In einer aktuelleren Entscheidung verneint der 3. Senat des
OLG Hamm (Beschl. v. 30.3.2010 – III-3 RVs 7/10, DAR 10, 396 m. Anm. Brüntrup) zwar ein Beweisverwertungsverbot, jedoch nur für Verstöße, die vor dem Urteil des Senats vom 18.8.2009
begangen worden waren, so dass der Spruchkörper im Ergebnis offensichtlich noch an seiner ursprünglichen Rechtsauffassung festhält.
Umstritten ist ferner, wie sich die fehlende Erreichbarkeit eines Richters für Blutentnahmen am Wochenende zur Tagzeit auf die Verwertung des Untersuchungsergebnisses auswirkt. Während das
OLG Celle (Beschl. v. 11.8.2010 – 32 Ss 101/10, NZV 11, 48) ein Beweisverwertungsverbot für möglich hält, ist das OLG Bamberg in seinem Beschluss vom 20.11.2009 (- 2 Ss OWi
1283/09, BA 47 [2010], 136) gegenteiliger Auffassung.
Keine bewusste und willkürliche Verletzung des Gesetzes und damit auch kein Beweisverwertungsverbot liegt vor, wenn hinreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit zeitnaher Ermittlungen (hier: 0,8
Promille) vorlagen (OLG Bamberg Beschl. v. 16.7.2009 – 2 Ss OWi 755/2009 (rechtskräftig), NZV 10, 583) oder der anordnende Polizist nicht versucht hatte, den staatsanwaltschaftlichen
Bereitschaftsdienst zu erreichen (OLG Celle Beschl. v. 25.1.2010 – 322 SsBs 315/09, DAR 10, 392). Nach Ansicht des OLG Zweibrücken (Beschl. v. 16.8.2010 – 1 SsBs 2/10, zfs 10,
589; ebenso etwa: OLGe Berlin NJW 09, 3527, BambergNJW 09, 2146 und Jena DAR 09, 283) liegt (noch) kein Beweisverwertungsverbot vor, wenn Polizeibeamte an einem Werktag um 15
Uhr 40 eine Blutprobe anordnen, obwohl Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hat. Der Senat deutet jedoch in den Entscheidungsgründen an, dies nach Bekanntwerden dieser Entscheidung in gleichgelagerten
Fällen unter Umständen anders beurteilen zu wollen. Damit würde er in Zukunft beispielsweise auf einer Linie mit den Obergerichten aus Celle (vgl. NJW 09, 3524)
und Schleswig (vgl. StraFo 10, 194) liegen, die in diesen Konstellationen bereits in der Vergangenheit ein Verwertungsverbot bejaht hatten.
Will der Betroffene mit einer Verfahrensrüge die Unverwertbarkeit der Untersuchungsergebnisse seiner unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt entnommenen Blutprobe geltend machen, muss er, um seine
Rüge ausreichend gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu begründen, auch ausführen, wann einer Verwertung erstmals widersprochen worden war (OLG Schleswig Entsch. v. 24.6.2010 – 1 Ss OWi 88/10, VA
10, 193).
Bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 24 a Abs. 1 StVG muss der Tatrichter in den Urteilsgründen Feststellungen über die angewandte AAK-Messmethode, d.h. über den konkret verwendeten
Gerätetyp, treffen (OLG Hamm Beschl. v. 25.6.2009 – 2 Ss OWi 376/09, BA 46 [2009], 413). Bei der Messung mit dem Gerät „Draeger Evidential“ kann in diesem Zusammenhang von einem
standardisierten Messverfahren ausgegangen werden (OLGHamm Beschl. v. 17.9.2009 – 2 Ss OWi 641/09, BA 46 [2009], 412). Bei diesem Gerät ist es grundsätzlich ausreichend, wenn zwischen Trinkende
und erster Messung 20 Minuten gewartet wird (OLG Bamberg Beschl. v. 21.8.2009 – 2 Ss OWi 713/09, BA 47 [2010], 134). Das OLG Stuttgart (Beschl. v. 2.7.2010 – 4 Ss 369/10, VA 10,
189 = VRS 119 [2010], 372 = jurisPR-VerkR 11, 65 m. Anm. Rueber = NStZ-RR 11, 3) hält eine Messung auch dann noch für verwertbar, wenn die Wartezeit (hier: 10 Minuten) nicht eingehalten
wurde, weil sich in der Mundhöhle eine Fremdsubstanz befand, falls der Grenzwert nicht unerheblich überschritten ist und ein Sicherheitsabschlag vorgenommen wird (ebenso etwa:
OLGe Celle NZV 04, 319 undKarlsruhe VA 06, 140). Es weicht damit von dem Beschluss des OLG Hamm vom 24.1.2008 (- 2 Ss OWi 37/08, VA 08, 63) ab, welches – ähnlich wie das
OLG Dresden (Beschl. v. 10.12.2003 – Ss (OWi) 654/03, NStZ 04, 352) - bei Nichteinhaltung der Kontrollzeit die Messung für unverwertbar hält. In einer neueren Entscheidung (vgl. VA 10, 50)
hat sich das OLG Hammnunmehr jedoch der Gegenauffassung angeschlossen. Unverwertbar ist das Ergebnis einer Atemalkoholmessung jedenfalls dann, wenn fehlerhaft über die Freiwilligkeit und
Nichterzwingbarkeit der Teilnahme an der Atemalkoholmessung belehrt worden war (AGFrankfurt a.M. Urt. v. 18.1.2010 – 998 OWi 2022-955 Js-OWi 20697/09, NZV 10, 266).
b) Cannabis/Kokain
Die Obergerichte gehen weiterhin davon aus, dass dem Betroffenen nur dann ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, wenn der Konsum entweder zeitnah erfolgt ist oder im Falle eines länger
zurückliegenden Konsums für den Betroffenen im Tatzeitpunkt erkennbare Umstände vorlagen, die auf eine noch fortdauernde Wirkung vor längerer Zeit genossener Rauschmittel hindeuteten. Das
KG Berlin hat demgemäß in zwei Entscheidungen (Beschl. v. 4.1.2010 - 2 Ss 363/09 – 3 Ws (B) 667/09, DAR 10, 274 m. Anm. König = VA 10, 86 und Beschl. v. 15.1.2010 – 2 Ss 277/09-3
Ws (B) 726/09, BA 47 [2010], 133) bestätigt, dass fahrlässig im Sinne von § 24 a Abs. 2 StVG jedenfalls handelt, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt berauschende Mittel (hier: Cannabis)
konsumiert hat, ohne sich bewusst gemacht zu haben, dass der Rauschmittelstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert abgebaut ist. Das OLG Jena (Beschl. v. 21.1.2010 – 1
Ss 296/09, BA 47 [2010], 247) hält im Regelfall bei hoher Rauschmittelkonzentration im Blut des Betroffenen (hier: 300 prozentige Überschreitung des Grenzwerts bei Kokain) Ausführungen zur inneren
Tatseite und zur Zeitspanne zwischen Drogenaufnahme und Teilnahme am Straßenverkehr für entbehrlich, da dann unter Berücksichtigung der Unberechenbarkeit von Rauschdrogen davon auszugehen sei, dass
von dem potenziellen Vorstellungsbild des Täters der Umstand erfasst ist, dass der Drogenwirkstoff unter Umständen noch nicht bis zur Wirkungslosigkeit abgebaut ist. Fehlt es definitiv an einem
Rauschmittelkonsum in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt, reicht eine bloß geringe Überschreitung des Grenzwerts für die Annahme von Fahrlässigkeit nicht aus (OLGFrankfurt a.M. Beschl. v.
20.8.2010 – 2 Ss OWi 166/10, NZV 2010, 530 = DAR 2010, 652). Es wird vielmehr verlangt, dass der Betroffene die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Haschischkonsums hätte erkennen können und müssen
(OLG Braunschweig Beschl. v. 27.1.2010 – Ss (OWi) 219/09, BA 47 [2010], 298).
Hatte ein Betroffener Betäubungsmittel mit unterschiedlichen Wirkungsqualitäten konsumiert (hier: Cannabis und Amphetamin) und liegen die Blutkonzentrationen für alle Substanzen unter den
Grenzwerten, die einer verfassungskonformen Anwendung des § 24 a Abs. 2 StVG zugrunde zu legen sind, verbietet es sich, die festgestellten Werte zu addieren. Im Ansatz ist dann zugunsten des
Betroffenen davon auszugehen, dass alle Substanzen in Bezug auf die Fahruntüchtigkeit wirkungslos waren (OLG Koblenz Beschl. v. 25.8.2008 – 1 SsBs 19/08, BA 46 [2009], 222).
Enthält der Bußgeldbescheid keine Angaben dazu, in welcher Konzentration berauschende Mittel im Blut des Betroffenen nachgewiesen worden sind, ist eine Beschränkung des Einspruchs auf
den Rechtsfolgenausspruch unwirksam, die angefochtene Entscheidung insgesamt aufzuheben und an das Tatgericht zurückzuverweisen. Denn es konnte dann noch nicht geklärt werden, inwieweit die
Fahrtüchtigkeit des Betroffenen beeinträchtigt war (OLGHamm Beschl. v. 11.2.2010 – 3 Ss OWi 319/09, NZV 2010, 270 = zfs 2010, 351 = BA 47 [2010], 245).
3. StVG § 25 Fahrverbot
Macht der Betroffene gegenüber einem drohenden Fahrverbot eine außergewöhnliche Härte geltend (hier: Einzelunternehmerstellung), ist der Tatrichter verpflichtet, eingehend zu prüfen, ob
außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen vom Regelfahrverbot als verhältnismäßig erscheinen lassen. Im Falle einer Versagung kann er nicht bloß pauschal auf die Möglichkeit
der Einstellung einer Teilzeitkraft oder die Aufnahme eines Kredites verweisen (KG Berlin Entsch. v. 26.2.2010 – 3 Ws (B) 94/10 – 2 Ss 349/09, VA 10, 88; ähnlich auch
OLG Hamm Beschl. v. 19.1.2010 – 2 (6) Ss OWi 987/09, jurisPR-VerkR 10, 180 m. Anm. Rueber). Nach einer Entscheidung des OLG Bamberg vom 29.11.2010 (- 3 Ss OWi 1756/10, VA 11,
33) kann es keinen Ausnahmefall begründen, dass sich der Betroffene noch in der Probezeit befindet und wegen der Ordnungswidrigkeit seitens der Fahrerlaubnisbehörde mit Probezeitmaßnahmen zu rechnen
hat (vgl. zu solchen Maßnahmen im Zshg. mit der Fahrerlaubnis auf Probe: Mahlberg in Himmelreich/Halm Hdb. des Fachanwalts VerkehrsR, 3. Aufl., 2009, Kap. 35 Rn. 353 f.). Damit
bestätigte das OLG Bamberg letztlich seine frühere Entscheidung (vgl. VA 2008, 120), in der der Senat die Auffassung vertreten hatte, die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar könne
einen Wegfall des Fahrverbots nicht begründen. Einige Amtsgerichte haben in der Vergangenheit demgegenüber von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen, wenn der Betroffene nach der Tatbegehung
umgehend und aus freien Stücken an einem Aufbauseminar teilgenommen hatte (zuletzt: AGMiesbach Beschl. v. 4.10.2010 – 1 OWi 57 Js 26159/10, DAR 10, 715; vgl. dazu auch den Aufsatz
von Heinrich in NZV 10, 237 m.w.N.; allgemein zu Fällen, in denen vom Fahrverbot abgesehen werden kann, siehe Dronkovic in Himmelreich/Halm Hdb. des Fachanwalts
VerkehrsR, 3. Aufl., 2009, Kap. 34 Rn. 118 f.).
Will das Gericht ein Fahrverbot verhängen, darf es, obwohl es theoretisch auch gänzlich von einem Fahrverbot hätte absehen können, das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat jedenfalls nicht
unterschreiten (OLG Düsseldorf Beschl. v. 27.12.2010 – IV-3 RBs 210/10, DAR 11, 149 = VRS 120 [2011], 202 = VA 11, 48).
3. StVG § 29 Tilgung der Eintragungen
Als letztes Obergericht hat sich nun auch das OLG Frankfurt a.M. (Entsch. v. 7.1.2010 – Ss OWi 552/09, VA 10, 90; ebenso etwa auch: OLGe Bamberg Beschl. v. 10.2.2010 – 2 Ss OWi
1575/09, zfs 10, 291 = VA 10, 89, Hamm VA 07, 50 und Jena VA 08, 213) dafür entschieden, Voreintragungen nur dann zu verwerten, wenn der neue Verstoß vor Ablauf der Tilgungsfrist
begangen und auch tatrichterlich geahndet worden war. Es kann somit in Zukunft von einer diesbezüglichen einheitlichen obergerichtlichen Rechtssprechung ausgegangen werden; für eine Divergenzvorlage
an den BGH besteht also kein Bedürfnis mehr.
IV. Straßenverkehrsordnung
1. StVO § 3 Geschwindigkeit
Hatte das BVerfG in seinem vielbeachteten Beschluss aus dem Jahre 2009 (2 BvR 941/09, DAR 09, 577 = SVR 09, 427 = zfs 09, 589) noch offen gelassen, auf welche Ermächtigungsgrundlage die Anfertigung
von Messvideos und Messfotos gestützt werden kann und damit in der bußgeldrechtlichen Rechtssprechung eine erhebliche Unsicherheit hervorgerufen (vgl. dazu Himmelreich/Halm NStZ 2010, 492
m.w.N), hat es nun mit seiner Entscheidung vom 5.7.2010 (- 2 BvR 759/10, NZV 2010, 582 = SVR 10, 433 m. Anm. Krumm) für Rechtssicherheit gesorgt, indem es in § 100 h I 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I
OWiG eine hinreichende Rechtsgrundlage für die verdachtsabhängige fotografische Erfassung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen im Straßenverkehr sieht. Die vor diesem Beschluss ergangenen
Entscheidungen der OLGe Jena (Beschl. v. 6.1.2010 – 1 Ss 291/09, NZV 10, 266),Brandenburg (Beschl. v. 22.2.2010 – 1 Ss OWi 23 Z/10, NZV 10, 318 = DAR 10, 280) undCelle (Beschl. v.
5.5.2010 – 311 SsRs 41/10, DAR 10, 476 = NStZ-RR 10 Heft 8 Aktuell V = NStZ-RR 10, 290 = VRS 119 [2010], 47) sowie des AG Meißen (Urt. v. 14.10.2009 – 13 OWi 705 Js 30975/09, NZV 10, 320),
die sich allesamt bei der Entscheidungsfindung ebenfalls auf diese Rechtsgrundlage gestützt hatten, können daher nunmehr als verfassungskonform ergangen bezeichnet werden.
Im Nachgang zu der eben erwähnten aktuellen Entscheidung des BVerfG werden sich die ordentlichen Gerichte in Zukunft nun vermehrt mit der Frage zu befassen haben, wann der für eine Messung nach § 100
h I 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG erforderliche Anfangsverdacht vorliegt bzw. welche Messanlagen (eine Zusammenstellung der verschiedenen Messverfahren findet sich etwa
bei Dronkovic in Himmelreich/Halm Hdb. des Fachanwalts VerkehrsR, 3. Aufl., Kap. 34 Rn. 74 f. -) den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werden. Den diesbezüglichen
Anforderungen genügen - da aufgrund eines konkreten Verdachts nur eine kurzfristige Speicherung vorgenommen wird – jedenfalls die gebräuchlichen Messsysteme „Riegl FG-21 P“
(OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2010 – IV-3 RBs 36/10, NZV 10, 262), „Multanova VR 6F“ und Einheitssensor „ES1.0“ (OLG Bamberg Beschl. v. 25.2.2010 – 3 Ss OWi 206/10, DAR 10, 279)
sowie „eso ES 3.0“ (OLGe Rostock Entsch. v. 6.7.2010 – 2 Ss (OWi) 147/10 I 119/10, VA 10, 192 und Brandenburg Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ss (OWi) 124 B/10, zfs 10, 527; vgl. hierzu
auch Krumm „Lichtschranken und Einheitssensoren des Herstellers ESO“ in SVR 11, 91), so dass kein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot bezüglich damit gewonnener Messergebnisse
besteht. Der Einsatz der Abstands- und Geschwindigkeitsmessanlage „VKS 3.01“ und die Verwertung daraus stammender Videosequenzen begegnet ebenfalls grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken (OLG Jena Beschl. v. 29.10.2010 – 1 Ss Bs 45/10 (287), zfs 2011, 109). Eine Videoaufzeichnung mit „VKS 3.01“ ist jedoch dann unzulässig, wenn es aufgrund lebhafter
Verkehrsverhältnisse zu einer minutenlangen Non-Stop-Aufzeichnung der Identkameras kommt, da dann nicht mehr ermittelt werden kann, welches Fahrzeug von der Selektionskamera im Vorfeld ausgespäht
worden war, so dass keine verdachtsabhängige Aufzeichnung der Identkamera mehr gegeben ist (AG Arnstadt Beschl. v. 31.8.2010 – 982 Js 202376/10 2 OWi, zfs 11, 50). Immer unverwertbar sollen
- in Ermangelung einer konkret verdachtsbezogenen Messung - nach amtsgerichtlicher Rechtssprechung (vgl. AG Cloppenburg Urt. v. 17.9.2010 – 25 OWi 795 Js 28862/10 (484/10), zfs 11,
173 und AG Prenzlau Urt. v. 31.5.2010 – 21 OWi 383 Js-OWi 41493/09 (504/09), VRS 119 [2010], 219 = VA 10, 191) die Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessung mit der
Infrarot-Geschwindigkeitsmessanlage „LEIVTEC XV 2“ sein.
Eine Geschwindigkeitsmessung mittels „Riegl FG 21–P“ ist standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtssprechung des BGH. Dass bei der Messung keine Foto- oder Videoaufnahme erfolgt, steht dem
nicht entgegen (OLG Koblenz Entsch. v. 12.1.2010 – 1 SsBs 127/09, VA 10, 99). Bei standardisierten Messverfahren führt der bloße Verdacht einer Fehlmessung noch nicht zu einer
Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Es besteht dann lediglich ein Anlass zur weiteren Sachaufklärung, etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (OLGBrandenburg Beschl. v. 3.6.2010
– 2 Ss (OWi) 110 B/10, NStZ-RR 10, 386 = NStZ-RR aktuell Heft 9/2010 VI; vgl. hierzu auch Hoger „Knickstrahlreflexion bei Lasermessungen“ in DAR 11, 105). Wird eine Geschwindigkeitsmessung
unter Beteiligung eines Privatunternehmers durchgeführt, hat dies nach einer Entscheidung des AG Bruchsaal (Beschl. v. 12.3.2010 – 5 OWi 410 Js 13889/08 AK 320/08, zfs 10, 472) immer ein
Beweisverwertungsverbot zur Folge. Bei Messungen speziell mit dem Gerät „Riegl FG 21–P“ sind Zweifel an der Korrektheit des Messergebnisses angezeigt, wenn das sog. „Vier-Augen-Prinzip“
missachtet worden war. Gleiches gilt, wenn die Messentfernung sehr groß (hier: 602,2 m) ist (AG Sigmaringen Urt. v. 4.5.2010 – 5 OWi 15 Js 9971/09, zfs 10, 530; vgl. hierzu auch den Aufsatz
von Grün „Der geänderte Visiertest bei Handlasermessgeräten – Auswirkungen auf die sichere Messwertzuordnung am Beispiel Riegl FG 21 P“ in StRR 10, 416). Bei einer mit „ProviDa 2000“
durchgeführten Messung muss das Urteil trotz des Vorliegens eines standardisierten Messverfahrens Feststellungen dazu enthalten, welche Messmethode angewandt worden war. Denn das Gerät lasse
verschiedene Einsatzmöglichkeiten zu und die Kenntnis der konkreten Messmethode besitze etwa Relevanz für die Frage, ob der mitgeteilte Toleranzabzug richtig ermittelt worden war
(OLG Schleswig Entsch. v. 6.1.11 – 1 Ss OWi 209/10 (214/10), VA 11, 64). Wird die Messung mittels „ProviDa 2000“ im Betrieb mit Motorrädern durchgeführt, kann nur bei Geradeausfahrten mit
aufrechter Sitzposition von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden (OLG Hamm Beschl. v. 26.8.2010 – 3 Rbs 226/10, NStZ-RR 11, 26). Das AG Zerbst betont in seinem
Beschluss vom 17.5.2010 (8 OWi 467/10, NZV 10, 475), dass, wenn bei einer Messung mit „ES 3.0“ nicht alle Fahrbahnteile im Beweisbild abgebildet sind, das Verfahren einzustellen ist. Denn dann könne
nicht ausgeschlossen werden, dass sich in dem nicht erfassten Bereich ein Fahrzeug befunden hat, welches den Messwert beeinflusst haben könnte. Ebenso besteht nach einer Entscheidung des
AG Lübben(Beschl. v. 16.3.2010 – 40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10), zfs 10, 470 = VA 10, 98) keine hinreichende Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit des Tatvorwurfs bei der Verwendung des
Geschwindigkeitsmessgerätes „ES 3.0“, wenn die vom Hersteller in der Bedienungsanleitung geforderte „nachvollziehbare“ gekennzeichnete Fotolinie nicht klar erkennbar ist. Die zitierte
Rechtsprechung betrifft allerdings die alte Softwareversion 1.001 und ist auf die neue Version 1.002 nicht mehr zu übetragen. Hier werden die einzelnen Fahrbahnen separat erfasst und Fahrzeuge
gemessen, so dass folglich auf dem Messfoto auch nicht mehr alle Fahrbahnen (z.B. bei 3-spuriger BAB) abgebildet sein müssen. Ob es sich bei „PoliScan Speed“ um ein amtlich anerkanntes und
standardisiertes Messverfahren handelt, ist in der Rechtssprechung noch nicht abschließend geklärt. Während zahlreiche Obergerichte diese Frage bislang offengelassen hatten (zuletzt etwa
OLG Karlsruhe Beschl. v. 17.2.2010 – 1 (8) SsBs 276/09 – AK 79/09, NZV 10, 364), haben sich das KG Berlin (Beschl. v. 26.2.2010 – 3 Ws (B) 94/10, DAR 10, 331 = SVR 10, 274 m.
Anm. Krenberger = VA 10, 82 = NStZ-RR 10, 217) und das OLG Frankfurt a.M. (Entsch. v. 21.4.2010 – 2 Ss-OWi 236/10, VA 10, 138 und Beschl. v. 1.3.2010 – 2 Ss OWi 577/09, NStZ-RR
10, 217) für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens ausgesprochen (explizit a.A.: AG Dillenburg Beschl. v. 2.10.2009 – 3 OWi 2 Js 5432/09, DAR 09, 715; vgl. hierzu
auch Löhle DAR 09, 422).
Wenn der Tatrichter das Tatfoto bei der Abfassung des Urteils nicht durch Verweisung zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht hat, müssen die Urteilsgründe auch Ausführungen zur Bildqualität
insbesondere zur Bildschärfe enthalten und die abgebildete Person, zumindest aber mehrere Identifikationsmerkmale, in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem
Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (OLGBrandenburg Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ss
(OWi) 124 B/10, zfs 10, 527; vgl. hierzu auch Krumm„ Zu (prozessualen) Problemen bei der Verwertung von Messfotos und Messvideos“ in SVR 10, 321). Muss das Tatgericht zur Identifizierung des
Betroffenen auf ein anthropologisches Identitätsgutachten zurückgreifen, welches auf einer nicht standardisierten Untersuchungsmethode beruht, ist es erforderlich, in den Urteilsgründen darzulegen,
auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale sich der Sachverständige bei der Bewertung gestützt hat, wie er diese Übereinstimmungen ermittelt hat und welche
Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeits-berechnung zugrunde gelegt und wie diese ermittelt wurden (OLGBamberg Beschl. v. 6.4.2010 – 3 Ss OWi
378/10, zfs 10, 469 = VA 2010, 138; vgl. zu Wiedererkennungsproblemen bei der Täter-ermittlung auch Dronkovic in Himmelreich/HalmHdb. des Fachanwalts VerkehrsR, 3. Aufl., Kap. 34 Rn.
94 ff).
2. StVO § 4 Abstand
Mit seiner oben dargestellten Entscheidung vom 5.7.2010 (siehe unter IV. 1.) zur fotografischen Erfassung von Geschwindigkeitsverstößen hat das BVerfG auch ausdrücklich klargestellt, dass eine
verdachtsabhängige fotografische Erfassung von Abstandsverstößen auf § 100 h I 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG gestützt werden kann. Zuvor hatten unter anderem schon die OLGe Jena (Beschl.
v. 6.1.2010 – 1 Ss 291/09, NZV 10, 266), Stuttgart (Beschl. v. 29.1.2010 – 4 Ss 1525/09, NZV 10, 317) und Koblenz (Beschl. v. 4.3.2010 – 1 SsBs 23/10, SVR 10, 434 m.
Anm. Demandt) betont, dass mit § 100 h I 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG eine hinreichende Rechtsgrundlage für verdachts-abhängige Videoaufzeichnungen von Abstandsverstößen bestehe. Genauso
sahen dies bereits auch der 4. (Beschl. v. 5.5.2010 – IV-4 RBs 143/09, NZV 10, 474 = DAR 10, 395 = VRS 119 [2010], 43) und der 1. (Beschl. v. 15.3.2010 – IV-1 RBs 23/10, DAR 10, 393) Senat des
OLG Düsseldorf (a. A.: 3. Senat des OLG Düsseldorf Beschl. v. 9.2.10 – IV-3 RBs 8/10, NZV 10, 263 = VA 10, 84; vgl. zur Gegenauffassung auchHimmelreich/Halm NStZ 10,
492).
Der für diese Ermächtigungsgrundlage erforderliche Anfangsverdacht kann bei Verkehrsüber-wachungsmaßnahmen unter Verwendung von „VKS 3.0“ im aufmerksamen Messbetrieb bejaht werden, sobald der
Messbeamte auf dem Monitor der Tat-Videokamera einen Abstandsverstoß auszumachen glaubt, so dass die Auslösung der Videokamera nur verdachtsabhängig erfolgt (OLG Bremen Beschl. v.
28.10.2010 – 2 SsBs 70/10, DAR 11, 35). Bei Abstandsmessungen mit dem Video-Brücken-Abstandsmessverfahren „ViBrAM-Bamas“ liegen die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage regelmäßig vor, so dass
die Messergebnisse verwertbar sind (OLG Karlsruhe Beschl. v. 13.10.2010 – 2 (6) SsBs 404/10, NStZ-RR 11, 61). Auch wenn Messergebnisse unter Verstoß gegen ein straf- bzw.
ordnungsrechtliches Beweisverwertungsverbot gewonnen worden sein sollten, könnte das Ergebnis einer Abstandsmessung nach Ansicht des OVG Lüneburg (Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10, SVR 10,
350) jedenfalls noch zur Grundlage der Anordnung des Führens eines Fahrtenbuches im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO gemacht werden. Denn das erhebliche öffentliche Interesse an der Abwendung von
Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs rechtfertige es, dass die zuständige Verwaltungsbehörde auch verfahrensfehlerhaft ermittelte Verkehrsverstöße zur Grundlage
ordnungsrechtlicher Anordnungen machen kann.
Bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Abstandsunterschreitung muss der Urteilsbegründung auch eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen entnommen werden
können. Ein Verweis auf das Ausmaß der Abstandsunterschreitung genügt regelmäßig nicht (OLG Bamberg Beschl. v. 20.10.2010 – 3 Ss OWi 1704/10, zfs 11, 50 = VA 11, 49).
3. StVO § 22 Ladung
Nach einer Entscheidung des OLG Hamm (Beschl. v. 3.2.2010 – 3 RBs 7/10, SVR 10, 276 m. Anm. Weide) ist eine im Fußraum eines Kraftfahrzeuges (hier: landwirtschaftliche Zugmaschine)
mitgeführte Werkzeugkiste, die dem Fahrzeug dienendes Werkzeug enthält, als Ladung im Sinne von § 22 Abs. 1 StVO zu klassifizieren.
4. StVO § 23 Sonstige Pflichten des Fahrzeugführers
Hinsichtlich der Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt hat sich in den letzten Jahren eine umfassende Judikatur entwickelt (vgl. dazu Himmelreich/Halm NStZ 09, 373 und 10, 492
sowie die Rechtssprechungsübersicht von Herrmann NStZ-RR 11, 65). Aktuell gelangt das AG Sonthofen in seinem Beschluss vom 1.9.2010 (- 144 Js 5270/10, DAR 11, 99 m.
Anm. Miller = VA 11, 13) im Zuge einer weiten Tatbestandsauslegung dazu, dass ein verbotswidriges Benutzen eines „Mobiltelefons“ auch dann vorliegt, wenn ein sog. „Walki-Talki“ benutzt
wird.
5. StVO § 37 Rotlichtverstoß
Das Rotlicht für die Linksabbiegerspur verbietet nicht nur die Einfahrt in die Kreuzung auf ihr, sondern untersagt auch die Benutzung dieser Spur im gesamten Kreuzungsbereich, so dass derjenige
Fahrzeugführer, der erst nach der Einfahrt in den Kreuzungsbereich von der freigegebenen Geradeausspur nach links abbiegt, einen Rotlichtverstoß begeht (KG BerlinBeschl. v. 7.4.2010 – 3 Ws (B)
115/10, VRS 119 [2010], 49).
Bei einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes muss sich aus der Urteilsbegründung ergeben, ob der Verstoß innerorts oder außerorts begangen worden war. Denn bei außerorts begangenen
Verkehrsverstößen müsste das Urteil Feststellungen zur Gelblichtdauer und zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit enthalten, um einen Rotlichtverstoß begründen zu können (OLG Hamm Entsch. v.
2.11.2010 – III – 4 RBs 374/10, VA 11, 34).
V. Ordnungswidrigkeitengesetz
1. OWiG § 33 Unterbrechung der Verfolgungsverjährung
Ist das gesamte Verteidigungsverhalten eines Rechtsanwaltes, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, darauf ausgerichtet, eine wirksame Zustellung eines Bußgeldbescheides an ihn zu vereiteln,
um eine Unterbrechung der Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG zu verhindern (hier: Nennung eines anderen Rechtsanwaltes als Ansprechpartner und Zustellungsbevollmächtigten), liegt ein
rechtsmissbräuchliches Verteidigungsverhalten vor. Dieses führt im Ergebnis dazu, dass der vom Betroffenen behauptete Zustellungsmangel keine Wirkung entfaltet und das Verfahren im Regelfall
fortzusetzen ist (LG Berlin Urt. v. 29.4.2010 – 515 Qs 39/10, NZV 10, 529 = DAR 10, 533; vgl. allgemein zur Problematik der sog. „Verjährungsfalle“ im
Verkehrsordnungswidrigkeiten-recht Bergmann DAR 10, 662).
2. OWiG § 52 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand
Enthalten Familienangehörige einem Betroffenen den zugestellten Bußgeldbescheid vor, ist er ohne Verschulden daran gehindert, die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid
einzuhalten. Mit einem solchen Verhalten braucht er nicht zu rechnen (AGBersenbrück Beschl. v. 9.6.2010 – 7 OWi 135/10, zfs 10, 531).
3. OWiG § 60 Verteidigung
Legt der Verteidiger im Rahmen eines Akteneinsichtsgesuches konkret dar, was er von der Verwaltungsbehörde mit der Verfahrensakte vorgelegt haben möchte, ist die Verwaltungsbehörde nicht berechtigt,
den Verteidiger auf eine mögliche Beiziehung dieser Unterlagen im Gerichtsverfahren zu verweisen, sondern muss ihm entsprechende Akteneinsicht gewähren (AG Erfurt Beschl. v. 25.3.2010 – 64
OWi 624/10, DAR 10, 713 m. Anm. Miller). Das AG Herford (Beschl. v. 20.9.2010 – 11 OWi-34 Js 1453/10-624/10, DAR 10, 715) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass eine Akteneinsicht im
Rahmen eines Bußgeldverfahrens bei Geschwindigkeitsverstößen auch den Einblick in die Bedienungsanleitung des Gerätes, mit dem die Messung erfolgte, erfasst.
4. OWiG Form und Frist
Das AG Lüdinghausen betont in seinem Beschluss vom 19.1.2010 (- 19 OWi-89 Js 1964/09-178/09, NZV 10, 424 = DAR 10, 339), dass das Schriftformerfordernis nicht gewahrt ist, wenn der
Einspruch im Feld „Verwendungszweck“ auf einen Überweisungsträger geschrieben wird und diese Erklärung dann im Rahmen des Buchungsvorgangs elektronisch an die Verwaltungsbehörde gelangt.
5. OWiG § 74 Verfahren bei Abwesenheit
Die angespannte Lage des Dezernates stellt keinen objektiv sachlichen und die berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten verdrängenden Grund für die Ablehnung einer Terminsverlegung dar. Wird dem
Betroffenen durch die Ablehnung der erste Zugang zum Gericht genommen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (OLG Hamm Beschl. v. 22.7.2010 – III-3 RBS 200/10, zfs 10,
649).
Im Abwesenheitsverfahren dürfen dem Betroffenen bislang nicht bekannte Beweismittel nicht verwendet werden. Dies gilt auch für die Vernehmung eines bereits im Bußgeldbescheid benannten Zeugen, sofern
der Betroffene von dessen Ladung keine Kenntnis hatte (OLGBamberg Beschl. v. 19.7.2010 – 2 Ss OWi 1201/10, zfs 10, 648).
1 Im Anschluss an NStZ 2010, 492. – Dieser Text hier ist veröff. in NStZ 2011. Heft 8.
* www.himmelreich-dr.de und
www.halmcollegen.de
4. Die Unfallflucht als Ordnungswidrigkeit gem. § 34 StVO
Die „OWi-Unfallflucht“ – eine
wenig bekannte Vorschrift
Von Richter am Amtsgericht Lüdinghausen, Carsten Krumm,Rechtsanwalt Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Rechtsanwalt Carsten Staub, Fachanwalt für Strafrecht und
Verkehrsrecht, Mettmann
In Kürze:
Nur Wenigen ist die Vorschrift des § 34 StVO bekannt; diese Vorschrift mit
dem unscheinbaren Titel „Unfall“ kommt in der Praxis fast nie eigenständig im
Bußgeldverfahren zur Anwendung. Sie kann aber dann relevant werden, wenn
ein Strafverfahren, welches wegen § 142 StGB geführt wird, kurz vor dem
Freispruch steht, da sie u.a. auch die Verurteilung wegen einer
Ordnungswidrigkeit der „fahrlässigen Unfallflucht“ ermöglicht. Meist sind die
Verfahrensbeteiligten überrascht über das, was in § 34 StVO steht, wenn
ihnen ein – erforderlicher - entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt wird. In
diesem Beitrag sollen einige zentrale Probleme angesprochen werden, um zu
helfen, diese Vorschrift besser einschätzen zu können.
I. Inhalt der Norm
Die sich aus § 34 StVO ergebenden Verpflichtungen enthalten weitgehend die
Gedanken des § 142 StGB. Sie gehen dabei - wie sich bereits aus dem
Gesetzestext ergibt – aber deutlich weiter als die passive
Feststellungsduldungspflicht des § 142 StGB. Der Unfallbeteiligte muss nach
§ 34 StVO über seine Verpflichtungen aus § 142 StGB hinaus zahlreichen
weiteren Pflichten nachkommen, um damit zu helfen, das Unfallgeschehen
aufzuklären. Ansonsten droht ihm eine Geldbuße von 30 Euro (BKat-Nrn. 125,
126). Im Falle des § 34 Abs. 1 Nr. 2 § 1 Abs. 2 StVO droht nach BKat-Nr.
125.1 eine Geldbuße von 35 Euro. Punkte gibt es dafür nicht.
II. Unfall
Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift ist das zentrale Merkmal des
Vorliegens eines Unfalls (im öffentlichen Straßenverkehr[1]), welches erst die
vorgenannten Pflichten auslöst. Erstaunlicherweise erklärt jedoch § 34 StVO
trotz seiner Überschrift ebenso wenig wie § 142 StGB, was ein Unfall im
Rechtssinne ist.
1. Tatsächliches Schadensereignis
Fast alles das, was aus § 142 StGB bekannt ist, gilt auch für § 34 StVO[2]. „Unfall“ im Sinne des § 34 StVO ist mithin auch das plötzliche Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das mit
dessen Gefahren in einem ursächlichen Zusammenhang steht und einen nicht ganz unerheblichen (fremden) Personen- oder Sachschaden zur Folge hat.[3] Die bloß „kritische Situation ist dagegen noch
kein Unfall“ [4]; der „Unfall muss tatsächlich passiert sein. … Ergibt sich, dass rein rechnerisch bei einem Zusammenstoß das bereits vorher beschädigt gewesene Fahrzeug nicht zusätzlich
beschädigt wurde, liegt kein Unfall vor. … Wenn nicht aufklärbar ist, ob eine Vorbeschädigung oder eine Schädigung durch den Unfall vorliegt, ist fraglich, ob das Tatbestandsmerkmal ‚Unfall‘
anzunehmen ist“.[5] In der Praxis werden derartige Zweifelsfälle oftmals Anlass sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Hier stellt sich dann freilich im Rahmen eines Verfahrens, das nur
(noch) § 34 StVO zum Gegenstand hat, die Frage der Verhältnismäßigkeit der entstehenden Kosten, so dass u.U. eine Einstellung nach § 47 OWiG geboten sein kann.
2. Fremdschaden
Der eingetretene Schaden muss ein Fremdschaden sein,[6] was bei Personenschäden anderer Unfallbeteiligter (auch Mitfahrer!) und Fahrzeugen anderer Unfallbeteiligter stets unproblematisch ist.
Doch auch das von dem Beschuldigten geführte beschädigte Fahrzeug kann als Fremdschaden einzustufen sein. Hier wird die Frage der Fremdheit nicht eigentumsrechtlich, sondern wirtschaftlich
betrachtet[7]. Fremd sind hiernach etwa gestohlene (oder sonst unbefugt genutzte) Fahrzeuge[8], geliehene Fahrzeuge (z. B. von Freunden)[9], Firmenfahrzeuge[10], vom Arbeitgeber zur
teilweisen oder dauerhaften Nutzung überlassene Dienstfahrzeuge[11]. Dagegen sind gemietete Fahrzeuge,[12]Leasingfahrzeuge[13], Fahrzeuge in Sicherungseigentum[14] oder unter
Eigentumsvorbehalt[15] nicht fremd.
3. Geplante Unfälle
Verkehrsunfälle geschehen im Übrigen in der Regel ungewollt; ein Verkehrsunfall liegt beispielsweise aber auch dann vor, wenn ein daran beteiligter Verkehrsteilnehmer (oder auch mehrere) den Vorfall
vorsätzlich herbeigeführt hat[16], also z. B. zur Begehung eines Versicherungsbetrugs. Handeln aber alle Beteiligten vorsätzlich i. S. e. Absicht, so fehlt es am Unfall – anders ist
dieses zu beurteilen, wenn nur einer der Beteiligten mit dolus eventualis handelt.[17]
Ein „Unfall“ liegt allerdings nicht mehr vor, wenn das Fahrzeug etwa ausschließlich als Werkzeug zu deliktischem[18] Handeln, also zum Beispiel als Mordwaffe, benutzt wurde. Lediglich bedingter
Vorsatz hinsichtlich des schadensstiftenden Ereignisses lässt jedoch den Unfallbegriff unberührt.[19]
4. Fahrzeugbeteiligung (zu „Unfallbeteiligter“ vgl. unten zu III)
Ein verkehrsbezogener „Unfall“ im Sinne des § 142 StGB bzw. § 34 StVO liegt nur vor, wenn das Fahrzeug auch als Fortbewegungsmittel benutzt wurde und das Ereignis mit dem Verkehr und seinen
typischen Gefahren zumindest zusammenhing.[20] Zumindest ein Fahrzeug muss so an einem Unfall beteiligt sein.[21] Auch ein Fußgänger, der aus Verärgerung über ein entgegenkommendes
Kraftfahrzeug gegen dessen Windschutzscheibe schlägt, diese vorsätzlich beschädigt und dann weggeht, verursacht einen Unfall im Straßenverkehr und unterliegt daher den in § 142 StGB bzw. § 34
Abs. 2 StVO normierten Pflichten.[22] Gleiches gilt für einen PKW-Fahrer, der beim Beladen seines Fahrzeugs den benutzten Einkaufswagen gegen einen anderen PKW rollen lässt oder stößt und diesen
damit beschädigt[23] sowie für einen Fahrradfahrer, Reiter und einen Straßenbahnfahrer.[24]
5. Bagatellschäden/Wildschäden
Bloße Bagatellschäden sind keine Unfälle im Rechtssinne. Der Tatbestand kann nicht verwirklicht werden, wenn lediglich ein „Bagatellschaden“ entstanden ist. Es muss mithin ein (fremder) Sach- oder
Personenschaden entstanden sein, der nicht völlig belanglos ist,[25] ehe man sich strafbar machen kann. Im Bereich der Personenschäden wird die Bagatellschadensgrenze dort zu ziehen sein, wo der
Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 229 StGB beginnt.[26] Daher reichen recht harmlose Verletzungen, wie z. B. geringe Kratzer oder ein paar blaue
Flecken, grundsätzlich nicht aus, auch keine leichten Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens (z. B. Wasserspritzer gegen Körper und Haare bei Fahren durch Pfütze).[27]
Werden Tiere durch Fahrzeuge angefahren, so ist zu unterscheiden zwischen Haustieren und herrenlosem Wild. Letzteres scheidet regelmäßig als „Fremdschaden“ aus.[28] Dagegen ist bei Haustieren,
sofern es sich nicht um Kleinsttiere handelt, davon auszugehen, dass deren Eigentümer Schadensersatzansprüche (z. B. wegen Tierarztkosten) geltend machen wird.[29]
II. Die Pflichten nach einem Unfall
Wie bereits erwähnt wurde, normiert § 34 StVO zahlreiche Pflichten, die deutlich
weiter gehen als diejenigen, die aus § 142 StGB bekannt sind:
Der Unfallbeteiligte muss sich über die Unfallfolgen vergewissern (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 StVO).
Der Unfallbeteiligte muss auf Verlangen nicht nur seinen Namen und seine Anschrift angeben, sondern auch Führerschein und Fahrzeugschein vorweisen und nach bestem Wissen Angaben über seine
Haftpflichtversicherung machen (§ 34 Abs. 1 Nr. 5b StVO).
Unfallspuren dürfen nicht beseitigt werden, bevor nicht die notwendigen Feststellungen getroffen worden sind (§ 34 Abs. 3 StVO).
Zu Ordnungswidrigkeiten hat der Verordnungsgeber aber nicht die Verletzung jede dieser Pflichten gemacht. Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG, § 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO sind nämlich nur Verstöße
gegen nachfolgende Pflichten:
Haltepflicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 1);
Sicherungspflicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO);
Pflicht zur Angabe der Unfallbeteiligung und Ausweispflicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 5 a und b StVO);
Wartepflicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 6b StVO). Insoweit ist von Bedeutung, dass die Vorschrift über § 142 StGB hinaus verlangt, nach Erfüllung der Wartepflicht am Unfallort Name und Anschrift zu
hinterlassen, wenn niemand bereit war, die Feststellungen zu treffen.
Verbot der Beseitigung der Unfallspuren (§ 34 Abs. 3 StVO).
III. Unfallbeteiligter
Nach § 34 StVO ist der Normadressat der Beteiligte; nur dieser hat also die vorstehend dargestellten Pflichten zu erfüllen. Beteiligtin diesem Sinne ist gem. § 34 Abs. 2 StVO an einem
Verkehrsunfall jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zum Unfall „beigetragen haben kann“ (nicht nur „beigetragen hat“).[30]
1. Beteiligungs-Verdacht
Es kommt damit nicht auf die zivilrechtliche Frage eines Verschuldens an.[31] Nicht einmal ist es erforderlich, dass der Verursachungsbeitrag feststeht. Es reicht nämlich der so genannte
„Beteiligungs-Verdacht“ aus. Es genügt, „dass nach dem äußeren Anschein der nicht ganz unbegründete Verdacht einer irgendwie gearteten – nicht notwendig schuldhaften – Mitverursachung des Unfalls
gegen einen zur Unfallzeit am Unfallort Anwesenden erhoben werden kann, mag sich auch bei näherer Prüfung herausstellen, dass sein Verhalten in Wirklichkeit nicht zu dem Unfall beigetragen hat. …
Deshalb kommt als Täter jeder in Betracht, der, sei es auch zu Unrecht, in den – nicht ganz unbegründeten – Verdacht gerät, den Unfall verursacht oder mitverursacht zu haben.“[32] Dieser
Verdachtsbegriff ist nach der ex-ante gegebenen Verdachtslage zu beurteilen:[33] Die reine, nicht fern liegende Möglichkeit der Beteiligung in Bezug auf ein Unfallgeschehen
(„Beteiligungs-Verdacht“) reicht aus.[34]
Der für § 142 StGB und § 34 StVO maßgebliche Kausalitätsbegriff stellt – anders als beim Fahrlässigkeitsdelikt – bei dem unmittelbar Unfallbeteiligten nicht auf die Regelwidrigkeit im Verkehr
ab. Es kommt insoweit mithin nicht darauf an, ob sich der Unfallbeteiligte verkehrswidrig verhalten hat. Wichtig ist natürlich stets: Der Verdacht bezieht sich nur auf die
Unfallbeteiligung, nicht aber für das Stattfinden des Unfallereignisses selbst – dies muss tatsächlich objektiv feststellbar sein![35]
Eine Bestrafung wegen Verkehrsunfallflucht ist auch möglich, wenn eine an der Unfallstelle anwesende Person den nicht von vorneherein unbegründeten Verdacht der Unfallverursachung
äußert.[36] Nur dann, wenn ein „Beteiligungs-Verdacht“ widerlegt wird[37] oder „wenn das Verhalten eines zur Unfallzeit am Unfallort Anwesenden zweifelsfrei nicht zur Verursachung des
Unfalls beigetragen hat, sich dieser also mit Sicherheit auch ohne ihn ereignet hätte“[38], entfällt eine Strafbarkeit.
Der „Beteiligungs-Verdacht“ gilt nach der Rechtsprechung stets für den am Unfallort anwesenden
• Ehegatten des Fahrers[39]
• Halter des Fahrzeugs.[40]
2. Fahrzeugführer und andere Beteiligte
Unfallbeteiligter kann nicht nur ein Fahrzeugführer sein.[41] Als Unfallbeteiligter kommt auch beispielsweise ein Fußgänger in Betracht, der auf einem öffentlichen Parkplatz einen Einkaufswagen
gegen ein Fahrzeug schiebt[42] oder auf einem Volksfest die Brille eines anderen beschädigt.[43] Oft übersehen wird auch die Tatsache, dass der Bei- oder Mitfahrer[44] als
Unfallbeteiligter in Betracht kommen kann, und zwar nicht nur der mitfahrende Halter. Diese Personen können sowohl Täter, Mittäter[45], Gehilfe (§ 27 StGB) oder Anstifter (§ 26 StGB) eines
Deliktes der Verkehrsunfallflucht sein und damit auch Täter des § 34 StVO.
Auch Bei- und Mitfahrer kommen als Unfallbeteiligte in Betracht, wenn sie irgendwie auf die Kfz-Führung Einfluss genommen haben, also einen Verursachungsbeitrag zum Unfall geleistet haben[46],
z. B. ein Beifahrer, der infolge Trunkenheit dem Fahrer ins Lenkrad greift. Derjenige kommt sogar als Täter der Unfallflucht in Betracht, der z. B. auf Grund des äußeren Anscheins der
Mitverursachung – sei es auch zu Unrecht, wie u. U. später festgestellt wird – in den nicht ganz unbegründeten Verdacht gerät, den Unfall selbst verursacht oder durch sein eigenes Verhalten
mitverursacht zu haben.[47] Auch der Beifahrer, der einem anderen nicht fahrtüchtigen Fahrer ein Fahrzeug überlässt, wird zum Unfallbeteiligten, wenn es später zum Unfall kommt.[48]Gleiches gilt
bei der Überlassung eines nicht verkehrssicheren Fahrzeugs.
Eine Verurteilung kommt insbesondere in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte die Möglichkeit eines unmittelbar den Unfall beeinflussenden Verhaltens nahe legen.[49] Dies ist beispielsweise bei
einer Fahrzeuginsassin der Fall, wenn das Kfz dem Freund gehörte, sie vorher Alkohol getrunken hatte, später allein an der Unfallstelle angetroffen wurde und einschlägig vorbelastet ist.[50]
Der mitfahrende Halter[51] kommt auch selbst als Unfallbeteiligter in Betracht, wenn er einen mangels Fahrerlaubnis ungeeigneten Fahrer (vorsätzlich) ans Steuer gelassen hat und dieser gerade
infolge seiner Ungeeignetheit den Unfall verursacht hat – er hat dann nämlich ein zusätzliches Gefahrenmoment gesetzt.[52] Er ist allerdings nicht schon deshalb wartepflichtig, weil er das
Fahrzeug einem anderen überlassen hat, der keine Fahrerlaubnis besitzt.[53]Anders soll dies bei dem am Unfallort anwesenden Fahrzeughalter solange sein, solange noch nicht feststeht, ob er oder ein
Dritter das Fahrzeug geführt hat.[54] Ferner ist ein angetrunkener Ehemann, der zugleich Halter und Beifahrer des Kfz ist, im Falle eines typisch alkoholbedingten Auffahrens selbst in Verdacht
der Beteiligung am Unfall und daher in eigener Person wartepflichtig, wenn er das Kfz seiner nicht minder alkoholisierten Ehefrau überlassen hat und nicht geklärt werden kann, wer den Unfall
verursacht hat.[55] Zutreffend betont Burhoff[56] unter Hinweis auf OLG Frankfurt[57], dass „entscheidend (sei), dass der Halter durch das Überlassen ein zusätzliches Gefahrenmoment
in den Straßenverkehr gebracht“ habe; „dieses Gefahren-moment (werde) aber wohl überdehnt, wenn der Halter wegen des Überlassens eines Wagens mit unfallursächlich vereisten Fahrzeugscheiben … als
Unfall-beteiligter belangt“ werde.[58]
Der Halter oder Eigentümer des Fahrzeuges kann auch, wenn er z. B. zufällig an der Unfallstelle anwesend war, Täter der Verkehrsunfallflucht durch (unechtes) Unterlassen werden, wenn es ihm
möglich und zumutbar war, das Wegfahren des unfallbeteiligten Fahrers seines Fahrzeuges zu verhindern.[59] Bei Unzumutbarkeit kann ein strafbares Verhalten gemäß Absatz 2 in Betracht kommen.
Auch strafbare Beihilfe durch Unterlassen ist möglich.[60]
IV. Vorsatz und Fahrlässigkeit
Die Ordnungswidrigkeit ist vorsätzlich und fahrlässig denkbar. Voraussetzung für eine Ordnungswidrigkeit ist jedoch stets, dass der Kraftfahrer weiß oder in Kauf nimmt, dass ein Unfall geschehen war,
bei dem nicht nur völlig belangloser Fremdschaden entstanden ist. Insoweit genügt Fahrlässigkeit nicht.[61]
V. Verfolgungungsverjährung
Was die Verfolgungsverjährung angeht, so gelten die allgemeinen Regeln wie auch bei anderen Verstößen gegen Vorschriften der StVO: Nach § 26 Abs. 3 StVG besteht die Frist der Verfolgungsverjährung
drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach sechs Monate. Da die Vorschrift gerade im Zusammenhang mit Strafverfahren eine
besondere Bedeutung hat und diese Verfahren in aller Regel länger als Bußgeldverfahren dauern, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung stets für Verteidiger und Richter ein wichtiger
Prüfungspunkt. Die Problematik wird jedoch auch gern übersehen. Hier sind also sorgfältig anhand der Verfahrensakte die einzelnen möglichen Unterbrechungshandlungen des § 33 Abs. 1 OWiG
„abzuprüfen“.
VI. Rechtstatsächlicher Anwendungsbereich
Die Vorschrift führt – wie bereits erwähnt – ein Schattendasein. Sie wird nahezu
nie im eigentlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren angewandt, sondern dient
stets als eine Art „Ersatznorm“ in Verkehrsstrafprozessen, in denen es um den
„großen Bruder“, nämlich § 142 StGB, geht. Neben § 142 StGB ist die
Vorschrift allerdings nicht anwendbar, da sie wegen § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG
subsidiär ist. Der tatsächliche Anwendungsbereich des § 34 StVO ist damit nur
dort zu sehen, wo § 142 StGB scheitert. Dies kann im Bereich des objektiven
Tatbestands der Fall sein, etwa dann, wenn sich in der Hauptverhandlung
herausstellt, dass der Angeklagte seinen Pflichten nach § 142 StGB
nachgekommen ist, aber z.B. nicht der Sicherungspflicht aus § 34 Abs. 1 Nr. 2
StVO. Hier ist dann auch u.U. die Ahndung einer vorsätzlichen Tatbegehung
möglich.
Ansonsten sind vor allem Irrtumslagen der Hauptanwendungsfall der Vorschrift.
Derartige Irrtümer können die Strafbarkeit nach § 142 StGB nehmen und zwar –
je nach Irrtum und auch je nach durch das Gericht vertretener Ansicht zur Folge
des Irrtums – im Bereich des subjektiven Tatbestands, der Rechtfertigung oder der Schuld.[62]
VII. Prozesstaktische Erwägungen und Fragen der Kostentragung
Im Verkehrsstrafverfahren sollten sich die Strafverfahrensbeteiligten immer die
Frage stellen, ob es denn tatsächlich nach dem Scheitern des Strafvorwurfes
des unerlaubten Entfernen vom Unfallort noch einer Verfolgung wegen § 34 StVO bedarf. Hier wird sich oft eine Verständigung[63] mit dem Ziel einer Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153 ff.
StPO anbieten. Für den Beschuldigten bzw.
Angeklagten, der zunächst mit dem Strafvorwurf des unerlaubten Entfernens
vom Unfallort, der sich dann im Verlauf des Strafverfahrens als nicht hinreichend
herausgestellt hat, verfolgt wurde, bedeutet eine Einstellung des Strafverfahrens
aus Opportunitätsgründen sicherlich eine größere Genugtuung als eine weitere
Sanktionierung mit einem Bußgeld. Auch hatte das Strafverfahren auf den im
Ergebnis zu Unrecht Beschuldigten bzw. Angeklagten sicherlich genügend
Eindruck gemacht, so dass es einer weitergehenden Beeindruckung mittels
eines Bußgeldes nicht mehr bedarf.
1. Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft
Bei einer möglichen Anregung zur Verständigung im Ermittlungsverfahren
gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Strafverfahrens muss
aber die Frage des Strafklageverbrauchs bzw. der Rechtskrafterstreckung
beachtet werden. Eine Einstellung des Strafverfahrens durch die
Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO bedeutet, dass kein Strafklageverbrauch eintritt;[64] es gilt § 21 Abs. 2 OWiG. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 Abs. 1 StPO durch die
Staatsanwaltschaft beendet
nicht das Verfahren insgesamt, der Staatsanwalt wird den Vorgang an die zuständige Bußgeldstelle abgeben,[65] wobei dort dann ggf. § 34 StVO auflebt.
Nur eine Einstellung nach § 153 a StPO löst echten Strafklageverbrauch aus.
Das ergibt sich schon aus § 153a Abs. 1 S. 5 StPO. Ob eine solche
Verständigung nach § 153 a StPO z.B. mit Zahlung einer Geldauflage dann
noch angemessen ist, müssen Gericht, Staatsanwaltschaft und Strafverteidiger
von Fall zu Fall besprechen. Sicherlich dürfte jede Einstellung des
Strafverfahrens, die eine Anklage verhindert, vorzugswürdig sein. Gleichwohl
kann es auch durchaus sinnvoll sein – z.B. weil noch zivilrechtliche Ansprüche
durchgesetzt bzw. abgewehrt werden müssen, oder es droht ein möglicher
Regress der eigenen Haftpflichtversicherung wegen einer
Obliegenheitsverletzung – gegenüber der Bußgeldstelle das Verfahren weiter zu
betreiben. Diese teils gegenläufigen Interessen sollte der Verteidiger daher in
jeder Lage des Verfahrens im Blick halten.
2. Einstellung des Strafverfahrens durch das Gericht nach
Anklageerhebung
Die Einstellung des Strafverfahrens durch Gerichtsbeschluss gemäß § 153 Abs.
2 StPO entfaltet – anders als die nach § 153 Abs. 1 StPO – eine beschränkte
Rechtskraftwirkung, über deren Umfang bei Straftaten keine einheitliche
Meinung besteht. In Bezug auf ein tateinheitlich mit dem Strafvorwurf verwirklichtes Bußgeldverfahren tritt jedoch Strafklageverbrauch ein[66]und das Bußgeldverfahren darf nicht weiterverfolgt
werden. Bei einer Einstellung gemäß §
153a StPO durch Gerichtsbeschluss gilt oben Gesagtes.
3. Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen
Auch sind bei einer möglichen Anregung zur Verständigung im Strafverfahren Erwägungen bzgl. der Kosten des Verfahrens und dernotwendigen Auslagen zu beachten. Sollte eine
Rechtsschutzversicherung bestehen, werden die bei dem Beschuldigten bzw. Angeklagten verbleibenden Zahlungsverpflichtungen bei einer Einstellung des Strafverfahrens immer, egal nach welcher
Vorschrift, übernommen. Auch bei einer sich dem Strafverfahren anschließenden Verurteilung zu einem Bußgeld bzw. bei Akzeptanz eines entsprechenden Bußgeldbescheids, stellt die
Rechtsschutzversicherung den Betroffen von einer Zahlungsverpflichtung frei.
Bei einer Einstellung des Strafverfahrens im Hauptverhandlungstermin verbleiben
die Kosten des Verfahrens immer bei der Staatskasse, also auch z.B.
möglicherweise Kosten für ein Sachverständigengutachten, die häufig den
Hauptteil der Kostenlast ausmachen. Die notwendigen Auslagenverbleiben bei
einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO bei dem Angeklagten. Das
ergibt sich schon aus § 467 Abs. 5 StPO. Bei § 153 StPO sollten diese bei der
Staatskasse verbleiben, allerdings sieht die Praxis eher so aus, dass die
Gerichte vielfach von der Vorschrift des § 467 Abs. 4 StPO, diese auch dem
Angeklagte aufzuerlegen, als Regelfall Gebrauch machen. Bei einer Anklage
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und einer Verurteilung zu einem
Bußgeld nach § 34 StVO kommt es zu keinem Teilfreispruch, da die angeklagte
Straftat und das ausgeurteilte Bußgeld nach § 34 StVO nicht in Tatmehrheit zueinander stehen. Vielmehr verbleibt es zunächst bei der Grundregel des § 465 StPO, wonach die Kosten des Verfahrens und
die notwendigen Auslagen als Grundsatz vollständig beim Verurteilten verbleiben. Dabei lohnt sich die genaue Lektüre des § 465 Abs. 2 StPO, wonach alle Mehrkosten des Strafverfahrens[67], die bei der
Feststellung begünstigender Tatsachen angefallen sind, aus Billigkeitserwägungen ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden können.[68] Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn
zunächst Anklage wegen einer Straftat geführt wurde und im Ergebnis nur eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit erfolgt.[69]
4. Einstellung gemäß § 153b StPO
Wird von Strafe abgesehen oder das Verfahren gemäß § 153b StPO eingestellt, so bleibt eine Verurteilung nach anderen Straf- oder Bußgeldvorschriften möglich.[70] Wird die Strafe
lediglich gemildert, so verdrängt der Straftatbestand des § 142 StGB nach wie vor die Ordnungswidrigkeit gemäß § 34 StVO.[71] Dies gilt jedoch nicht in den Fällen des Absehens von Strafe nach § 142 Abs. 4 StGB – hiernach kann der Verstoß gegen § 34 StVO geahndet
werden.[72] Um eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit auf jeden Fall zu vermeiden, sollte der Verteidiger keinesfalls vergessen, dass immer noch die Möglichkeit einer Einstellung des
gesamten Verfahrens unter der Auflage einer Geldbußzahlung gemäß § 153a StPO möglich ist.[73]
[1] Hierzu ausführlich: Rebler, DAR 2005, 65; vgl. auch: Kudlich, in: Heintschel-Heinegg, StGB, Komm., 1. Aufl. 2010, § 142, Rn. 7.1; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 21.
Aufl. 2010, § 1 StVO, Rn. 5 ff.; König in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 40. Aufl. 2009, § 1 StVO Rn. 13 ff.; Deutscher, VRR 2005, 88; Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis und Alkohol, 5. Aufl. 2010, Rn.
224.
[2] Vgl. dazu u.a: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O., § 142 StGB, Rn. 43.
[3] Vgl.: BGHSt 8, 264 = VRS 9, 33; VRS 31, 421; VRS 43, 343; NJW 1963, 1838; OLG Hamm VRS 14, 437; VM 1961, 35; OLG Bremen VRS 52, 423; OLG Schleswig, VM 1976, 28; OLG
Koblenz, VRS 56, 342, 343; BayObLG, VRS 57, 407; NJW 1980, 299; DAR 1985, 326 = VRS 69, 438; OLG Köln, VRS 65, 431; Teigelack in: Karbach, Festschrift für Himmelreich, 2007, 79.
[4] Vgl.: OLG Stuttgart Beschl. v. 2. 6. 1989 – 6 Ss 294/89 (unveröff.); Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013, Rn. 191.
[5] NK-Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Päffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 142, Rn. 43.
6 Vgl. Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 192 u. 404.
[7] Ausführlich hierzu: NK-Schild, a.a.O., § 142, Rn. 44.
[8] Vgl.: BGHSt 9, 267; BayObLG – bei Rüth – DAR 1985, 240; OLG Stuttgart, VRS 16, 190; NK-Schild, a.a.O., Rn. 44.
[9] König, in: Burmann/Heß, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Bd. 2, Loseblatt-Komm., Kap. 13 A, Rn. 48.
[10] Vgl.: König, in: Burmann/Heß, a.a.O., Rn. 47; NK-Schild, a.a.O., Rn. 44.
[11] Vgl.: König, in: Burmann/Heß, a.a.O., Rn. 47; NK-Schild, a.a.O.
[12] Jedenfalls dann, wenn der Fahrer nach den vertraglichen Absprachen für jeden Schaden (und auch für Zufall) haftet, was meist der Fall ist, vgl. etwa: OLG Hamburg, NZV 1991, 33;
Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 142, Rn. 25; König, in: Burmann/Heß, a.a.O.; LK-Geppert, StGB, 12. Aufl. 2009, § 142, Rn. 72; LK-Rudolphi, in:
Rudolphi/Wolter, Systematischer Kommentar zum StGB, Loseblatt-Komm., 4. Aufl. 2010, § 142, Bd. 4, Rn. 19; -– a. A: OLG Celle, JR 1979, 79; LG Darmstadt, MDR 1988, 1072. –
Wird aber ohne besondere Vereinbarungen ein Fahrzeug vermietet, so bleibt es beim Fremdschaden im Falle eines Unfalls des Fahrers.
[13] Vgl.: OLG Hamm, NZV 1990, 197; Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 142 Rn. 12; NK-Schild, a.a.O.; König, in: Burmann/Heß, a.a.O., Rn. 47; Sternberg-Lieben, in:
Schönke/Schröder, StGB, a.a.O.; LK-Geppert, a.a.O.; LK-Rudolphi, a.a.O.
[14] Vgl. König, in Burmann/Heß, a.a.O., Rn. 48.
[15] Vgl.: OLG Nürnberg, NJW 1977, 1543; Fischer, a.a.O.; König in: Burmann/Heß, a.a.O., Rn. 47; LK-Geppert a.a.O.; NK-Schild, a.a.O.; LK-Rudolphi, a.a.O.
[16] Vgl. u. a.: BGHSt 24, 382; OLG Koblenz, VRS 56, 342; OLG Köln, VRS 44, 20; BayObLG, DAR 1985, 326 = VRS 68, 438 – a. A.: Hartmann-Hilter, NZV 1995, 340 (m. Angabe d.
Rsprg. u. Lit. dort i. Fn. 7).
16 Vgl.: NK-Schild, a.a.O., Rn. 39; Himmelreich/Krumm/Staub,Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 193; ähnlich OLG Jena, NZV 2008, 366.
[18] Vgl. u. a.: BGH, DAR 2002, 132 = VersR 2002, 377.
[19] Vgl. LK-Rudolphi, a.a.O., Rn. 14.
[20] Vgl. dazu: OLG Koblenz, VRS 56, 342; LG Frankfurt, NStZ 1981, 303 = VRS 61, 349; OLG Jena, NZV 2008, 366.
[21] Vgl. NK-Schild, a.a.O.
[22] Vgl. für § 142 StGB: BayObLG, VRS 71, 277 = zfs 1986, 380 = MDR 1986, 1046; König in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 26; Fischer, a.a.O. § 142, Rn. 13
(m. w. Nw.); vgl u. a. auch: OLG Koblenz VRS 56, 342; – a. A. z. B.: Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, a.a.O., § 142, Rn. 17, m. w. N.
[23] Vgl. dazu u. a.: OLG Koblenz, MDR 1993, 366.
[24] Vgl. u.a.: Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 195.
[25] Vgl. z. B. Fischer, a.a.O. § 142 StGB, Rn. 11; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 202.
[26] Vgl. LK-Rudolphi, a.a.O., Rn. 8.
[27] So z. B.: Blum, Verkehrsstrafrecht, 1. Aufl. 2009, 8. Kap. Rn. 23; Geppert BA 1991, 31, 34; Rudolphi, a.a.O.; OLG Karlsruhe, DAR 2005, 350 (nicht bei Hautrötung).
[28] So auch für § 142 StGB: Blum, Verkehrsstrafrecht, a.a.O., 6. Kap., Rn. 27; – a.A.: AG Öhringen, NJW 1976, 580 (angefahren wurde ein Reh).
[29] Vgl. u.a.: LK-Geppert, a.a.O., § 142, Rn. 34.
[30] Vgl. Wessels/Hettinger, Strafrecht, Besonderer Teil 1, 33. Aufl. 2009, Rn. 1000; Himmelreich/Staub/Krumm, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 205 ff.
[31] Vgl. auch Kreissl, NJW 1990, 3134.
[32] OLG Koblenz, Urt. v. 3. 12. 1992 - 1 Ss 306/92 (unveröff.). – Vgl. u. a. auch: BayObLG, NZV 2000, 133 = DAR 2000, 79 = VRS 98, 193.
[33] Vgl. LK-Geppert, a.a.O., § 142 Rn. 35.
[34] Vgl.: OLG Hamm, VRS 15, 264; OLG Frankfurt/Main, NZV 1997, 125; BayObLG NZV 1993, 35, 36; Fischer, a.a.O., Rn. 15; Burhoff, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des
Straßenverkehrsrechts, 4. Auflage 2008, Teil 6, Rn. 298; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 206; – vgl. aber auch die Bedenken bei: OLG Zweibrücken, VRS 82, 114,
115; Hentschel, NJW 1992, 1076, 1082.
[35] Vgl.: NK-Schild, a.a.O., Rn. 34 m. w. Nw.; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 207 ff.
[36] Vgl. KG, VRS 50, 39; vgl dazu auch: OLG Frankfurt, NJW 1983, 293 und 2038; OLG Düsseldorf, NZV 1993, 157 = VM 1993, 22, 23.
[37] Vgl. u. a.: Janker, in: Himmelreich, Jahrbuch Verkehrsrecht 1998, 103, 104.
[38] OLG Düsseldorf, NZV 1993, 157 = VM 1993, 22, 23; i. d. S. auch: BGHSt 15, 1, 4; KG, VRS 50, 39; OLG Karlsruhe, VRS 53, 426; OLG Köln, VRS 75, 341; NZV 1992, 80;
BayObLG DAR 2000, 79 = NZV 2000, 133 = VRS 98, 193.
[39] Vgl.: BGHSt 15, 1; OLG Celle, MDR 1966, 432.
[40] Vgl.: BGHSt 15, 1, 4; BayObLG, NJW 1993, 410; OLG Frankfurt, NJW 1983, 2038.
[41] Ausführlich zum Beteiligtenbegriff: Blum, Verkehrsstrafrecht, a.a.O., 8. Kap. Rn. 30 ff.
[42] Vgl. Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 209.
[43] Vgl. OLG Stuttgart, VRS 18, 117; 47, 15; LG Bonn, NJW 75, 178.
[44] Vgl. die zahlreichen positiven und negativen Beispiele bei: Janker in: Himmelreich, Jahrbuch Verkehrsrecht 1998, 103, 104 ff.
[45] Vgl. dazu u. a.: OLG Köln, VRS 82, 113 = NZV 1992, 80.
[46] Vgl. BGHSt 15, 1, 5 = VM 1960, 77; OLG Stuttgart VRS 72, 186, 188 f.; NJW 1981, 2368; BayObLG, Urt. v. 16. 1. 1987 - 1 St 288/86; OLG Karlsruhe VRS 53, 424 =
DAR 1978, 50; OLG Zweibrücken, VRS 63, 53; Burhoff, a.a.O., Rn. 302 f.
[47] Vgl. BGHSt 8, 263; BGH, DAR 1955, 169; BayObLG, VM 1961, 40; BayObLG – bei Bär – DAR 1988, 361, 364 sowie – bei Rüth – DAR 1984, 233, 240.
[48] Vgl.: BGH, DAR 1976, 174; OLG Köln, VRS 86, 279; OLG Frankfurt, NZV 1997, 125; NK-Schild, a.a.O., Rn. 50.
[49] Vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVR, a.a.O., § 142 StGB, Rn. 29; Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, a.a.O., § 142, Rn. 61.
[50] Vgl. OLG Köln, VRS 75, 341, 343 = NZV 1989, 78.
[51] Zum Begriff „Halter“ vgl. u. a.: OLG Köln, NZV 1998, 37; Burhoff, a.a.O., Rn. 303 f.
[52] Vgl.: OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 87; BayObLG – bei Rüth – DAR 1978, 209; NK-Schild, a.a.O., § 142, Rn. 50.
[53] Vgl. OLG Stuttgart, VRS 72, 186; – vgl. dazu auch; BayObLG, DAR 1991, 365.
[54] Vgl.: BGHSt 15, 1, 4 f.; BayObLG – bei Rüth – DAR 1984, 240; BayObLG, NJW 1993, 410 = NZV 1993, 35 = DAR 1993, 31 = VRS 84, 22 = VM 1993, Nr. 11 =
VersR 1993, 70.
[55] Vgl. OLG Köln, VRS 86, 279, 280; – vgl. dazu auch: OLG Frankfurt/Main, NZV 1997, 125.
[56] Burhoff, a.a.O., Rn. 304.
[57] OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 86, 87; NZV 1997, 125.
[58] So: BayObLG, DAR 1978, 208 – bei Rüth.
[59] Vgl.: OLG Karlsruhe, VRS 53, 426; BayObLG, DAR 1972, 204; 1974, 177; 1975, 20; 1976, 203; 1978, 208; NJW 1980, 412; OLG Stuttgart, NJW 1981, 2369; OLG Hamm, BA 1974, 279; OLG
Zweibrücken VRS 75, 292, 295; Fischer, a.a.O., § 142, Rn. 18, m. w. N.; zu den Voraussetzungen einer Beihilfehandlung des Halters vgl. insbes. BayObLG, DAR 1990, 230 = NJW 1990,
1861 = NZV 1990, 398 f. = VM 1990, 75; vgl. auch: Herzberg, NZV 1990, 375; Sielmann, JuS 1991, 290.
[60] Vgl. u. a.: OLG Köln, NZV 1992, 80 = VRS 82, 113; Janker, in: Himmelreich, Jahrbuch Verkehrsrecht 1998, 103, 110.
[61] Vgl.: BGHSt 31, 55; OLG Karlsruhe, VRS 54, 462; König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, a.a.O., § 34 StVO, Rn. 2; – a. A.: OLG Oldenburg, VRS 57, 62; Mitsch, NZV 2008,
217, 220.
[62] Ausführlich zu allen Arten an Irrtümern: Himmelreich, DAR 2007, 44.
[63] Vgl. § 257c StPO.
[64] Vgl.: Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 153 Rn. 37; Schoreit, in: KarlsruherKommentar, StPO, 6. Aufl. 2008, § 153, Rn. 44.
[65] Vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 153, Rn. 6.
[66] Vgl. Beulke, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl.2008, § 153, Rn. 88.
[67] Vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 465, R. 6)
[68] Vgl. dazu den Rechtsbehelf der isolierten sofortigen Kostenbeschwerde im Strafverfahren nach § 464 Abs. 3 StPO.
[69] Vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 1985, 898 bei §§ 316 StGB, 24a StVG.
[70] Vgl. Bönke, NZV 1998, 129, 131 m. w. N.; Böse, StV 1998, 509, 513 m. w. N.
[71] Vgl. Böse, a.a.O.
[72] Vgl. Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, a.a.O., Rn. 432.
[73] So auch: Gebhardt, a.a.O.
5. MPU nach Fahrerlaubnis-Entzug wegen Verkehrs-Unfallflucht ?
MPU nach erstmaliger Entziehung
der Fahrerlaubnis wegen
Verkehrsunfallflucht ?
Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Rechtsanwalt Dr. Lothar Mahlberg, Bonn-Bad Godesberg*
Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 FeV). Die Vorlage eines MPU-Gutachtens einer Begutachtungs-Stelle
für Fahreignung (z.B. durch AVIS oder DEKRA) „kann“ (Ermessen! ) zur Klärung von Eignungszweifeln vor einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet werden, wenn der Entzug
auf einer der folgenden fünf Delikt-Alternativen beruhte:
a) "bei einem erheblichen Verstoß ... gegen verkehrsrechtliche Vorscgriften" (Nr. 4),
b) „bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht“ (Nr. 5, S 1),
c) „bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen“ (Nr. 5, S. 2),
d) „bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht“ (Nr. 6, S. 1),
e) „bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen“ (Nr. 7, S. 1),
und zwar gem. § 11, Abs. 3, S. 1 FeVi.V.m. § 11, Abs. 1, S. 3 FeV u. § 2 StVGAbs. 4, S. 1 u. § 20, Abs. 1 FeV.
Sämtliche fünf Alternativen könnten theoretisch bei einer Fahrerlaubnis-Entziehung im Strafrecht wegen Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB) zum Zuge kommen.
Erheblich (s. Alt. a, b und d) ist, so meinen auch Dauer[1]und Xanke[2], nicht ohne weiteres bzw. nicht unbedingt mitschwerwiegend gleichzusetzen; der Begriff ist bezogen
„auf die Kraftfahreignung“.Xanke[3]vertritt insoweit den Standpunkt, dass Zuwiderhandlungen „kein Einschreiten der Verkehrsbehörde (rechtfertigen), wenn sie keineAuswirkungen auf den
Straßenverkehrhaben und damit ohne Bezug auf den Charakter und die Eignung zum Führen von Kfz sind“.
Geiger[4] definiert den Begriff wie folgt: „Erheblich ist eine Gesetzesüberschreitung, wenn sie nach Art und Schwere eine überdurchschnittliche Beeinträchtigungdes Straßenverkehrs oder der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt.“
Mahlberg[5] spricht davon, dass „Anhaltspunkte dafür ergeben müssen, dass sich der Betroffene auch im Straßenverkehr nicht ordnungsgemäß verhalten wird“.
Erheblich können z.B. ins Gewicht fallende Zuwiderhandlungen sein, die sehr häufig und kurz hintereinander erfolgt sind, aber auch mehrfache beträchtliche Geschwindigkeits-Überschreitungen (auch
ohne konkrete Gefährdung Anderer), nichtaber eine einmalige[6] sehr hohe Geschwindigkeits-Überschreitung, aber auch beharrliche Rotlicht-Missachtungen. Maßgebend für die Beurteilung
ist stets das „Gesamtbild des Geschehens“.[7]
Zu einem Fall einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung wegenVerkehrsunfallflucht gem. § 142 StGBmit Fahrerlaubnis-Entzug hat das OVG Saarlouis[8]einmal in einem Beschluss
Stellung bezogen, der (hier einmal etwas ausführlich bzw. ungekürzt) wiedergegeben werden soll:
„Die von der Antragstellerin begehrte Neuerteilung ihrer am 28.4.2005 durch Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vorläufig und durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Homburg vom 14.11.2005
unter Anordnung einer Sperrfrist von drei Monaten endgültig entzogenen Fahrerlaubnis vom 25.3.1986 scheitert entgegen der Meinung des Antragsgegners mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht daran,
dass die Antragstellerin sich der behördlicherseits geforderten medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht unterzogen hat. Der Antragsgegner ist nämlich mit großer Sicherheit nicht berechtigt,
die Erteilung der Fahrerlaubnis an die Antragstellerin von dem Beibringen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig zu machen.
Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 FeV). Die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten
Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann - soweit im gegebenen Fall relevant - zur Klärung von Eignungszweifeln bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis
angeordnet werden, wenn a) die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war oder b) der Entzug der Fahrerlaubnis auf erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder auf
Straftaten beruhte, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung standen oder bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestanden (§§ 20
Abs. 3, 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i. V. m. Nr. 4 FeV). Dass danach im Falle der Antragstellerin die Gutachtensanforderung rechtmäßig war, liegt fern.
Der Antragstellerin wurde mit Strafbefehl vom 14.11.2005 die Fahrerlaubnis wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) entzogen. Sie hatte am Nachmittag des 28.2.2005 in B. einen
Autounfall mit einem Fremdschaden von ca. 2.000,-- EUR - so der Strafbefehl - bzw. 1.642,34 EUR - so der Vortrag der Antragstellerin - verursacht. Damit beruhte die Entziehung der Fahrerlaubnis auf
einer Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr.
Dies allein begründet jedoch nach dem Dafürhalten des Senats jedenfalls inzwischen keine Zweifel an der Kraftfahreignung der Antragstellerin in einem Maß, das die Forderung einer
medizinisch-psychologischen Begutachtung vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis rechtfertigt
ebenso im Falle eines einmaligem Trunkenheitsdelikt, bei dem die Voraussetzungen des § 13 FeV nicht vorliegen, Hentschel, a.a.O., FeV § 20 Rz. 1, S. 1350, unter Hinweis auf VG Minden, Urteil vom
11.7.1984 - 3 K 1444/83 -.
§ 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV verpflichtet wegen seiner weit reichenden Anordnungsmöglichkeit speziell bei einem nur einmaligen Fehlverhalten zu einer eingehenden Einzelfallprüfung. Nicht jeder sich aus
einer einzelnen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr ergebende noch so geringe Eignungszweifel ist geeignet, das bei Durchführung der medizinisch-psychologischen Begutachtung tangierte
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu überwinden
vgl. Ebner in Ferner (Hrsg), Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2006, S. 861.
Für den Gutachter besteht darüber hinaus die Schwierigkeit, dass sich auf der Grundlage einer einzelnen Tat aus psychologischer Sicht oft nur schwer eine hinreichend sichere Aussage über die
Kraftfahreignung eines ansonsten unauffälligen Probanden treffen lassen wird. Damit kann es der Anordnung in vielen Fällen schon an der Geeignetheit zur Ausräumung von Eignungszweifeln fehlen
so Ebner in Ferner (Hrsg), a.a.O., S. 861; zur (geringen) prognostischen Treffsicherheit der Eignungsgutachten vgl. auch die Nachweise bei Hentschel, a. a. O., FeV § 11 Rz. 14, S. 1330.
Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass das von dem Antragsgegner geforderte Gutachten die Erhebung höchstpersönlicher Befunde, die unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen,
voraussetzt. Das gilt nicht nur für den medizinischen, sondern in gesteigertem Maße für den psychologischen Teil der Untersuchung. Gegenstand des medizinischen Teils einer zur Feststellung der
Fahreignung angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung sind der allgemeine Gesundheitszustand, der Bewegungsapparat, das Nervensystem, unter Umständen auch innere Organe, die
Sinnesfunktionen, die psychische Verfassung, die Reaktionsfähigkeit und die Belastbarkeit. Der Psychologe erforscht zunächst den Lebenslauf: Elternhaus, Ausbildung, Beruf, Familienstand, Kinder,
besondere Krankheiten, Operationen, Alkohol, Rauchen, finanzielle Verhältnisse, Freizeitgestaltung. Sodann werden Ablauf und Ursachen etwaiger Gesetzesverstöße und die vom Betroffenen daraus
gezogenen Lehren erörtert. Diese Befunde stehen dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der geforderten Untersuchung zu
erheben sind. Sie sind deswegen stärker von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Die bei dem psychologischen Teil der Untersuchung ermittelten Befunde zum Charakter des
Betroffenen berühren seine Selbstachtung ebenso wie sein gesellschaftliches Ansehen. Er muss die Einzelheiten in einer verhörähnlichen Situation offen legen. Hinzu kommt, dass die Beurteilung des
Charakters im Wesentlichen auf einer Auswertung von Explorationsgesprächen beruht, einer Methode, die nicht die Stringenz von Laboruntersuchungen aufweist und Unwägbarkeiten nicht ausschließt. Dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird bei der Frage des Vorliegens von Eignungszweifeln unter Berücksichtigung der allgemeinen gesetzlichen Maßstäbe für die Erteilung der Fahrerlaubnis nur dann
angemessen Rechnung getragen, wenn die Anforderung eines Gutachtens sich auf solche Mängel bezieht, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der
Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten wird. Außerdem ist nicht bereits jeder Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines
Eignungsmangels hindeutet, ein hinreichender Grund für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Vielmehr müssen der Entscheidung über die Anforderung tatsächliche Feststellungen
zugrunde gelegt werden, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen
so zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Haschischkonsum es rechtfertigen kann, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern, BVerfG,
Beschlüsse vom 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69, und vom 30.1.2003 - 1 BvR 866/00 -, Blutalkohol (2004) Bd. 41, 459.
Allein die abgeurteilte Unfallflucht der Antragstellerin trägt höchstwahrscheinlich nicht die danach erforderliche gegenwärtige Feststellung begründeter Eignungszweifel.
Aufgrund des Strafbefehls vom 14.11.2005 steht lediglich bezogen auf den Zeitpunkt und die Gründe der strafrechtlichen Entscheidung fest, dass die Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet war. Dazu gibt § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, dass der Unfallflüchtige in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, wenn er u. a. weiß oder wissen kann, dass an
fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. Dies ist nach der Rechtsprechung angesichts der allgemeinen Preis- und Kostenentwicklung ab 1.300,-- EUR anzunehmen
so OLG Dresden, Beschluss vom 12.5.2005 - 2 Ss 278/05 -, DAR 2005, 459 = NJW 2005, 2633, m. w. N..
Inzwischen ist die Eignungsfrage indes neu und - aller Voraussicht nach - anders zu beantworten. Die Unfallflucht liegt bereits 17 Monate zurück. Sie hatte sich nicht durch erschwerende Umstände
ausgezeichnet; insbesondere deutet nichts darauf hin, die Antragstellerin sei damals alkoholbedingt oder sonst fahruntüchtig gewesen. Vielmehr spricht vieles, wenn nicht alles dafür, dass sie unter
dem Schock des Zusammenstoßes den Unfallort verlassen hat. Die verhängte Geldstrafe von 1.250,-- EUR und - vermutlich mehr noch - der Verlust der Fahrerlaubnis für inzwischen 15 Monate haben der
Antragstellerin das Unrecht ihres Tuns klar vor Augen geführt und werden nicht ohne Wirkung für ihr künftiges Verhalten im Straßenverkehr sein. Weiter spricht zu ihren Gunsten, dass die Unfallflucht
ihr einziges Fehlverhalten im Straßenverkehr war, seit sie am 25.3.1986 die Fahrerlaubnis erworben hat. Bei der gebotenen Gesamtschau sieht der Senat - jedenfalls derzeit - keine Tatsachen, die eine
gesteigerte Rückfallwahrscheinlichkeit der 39-jährigen Antragstellerin aufgrund sozial nicht angepasster Verhaltenssteuerung im Straßenverkehr begründen könnten. Etwaige noch verbleibende
Eignungszweifel sind jedenfalls so gering, dass sie eine derart belastende Maßnahme wie die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht rechtfertigen.
Mit dieser Beurteilung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu den in dem vom Antragsgegner in Bezug genommenen Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 9.7.2002 - 3 K 79/02 -
angeführten obergerichtlichen Entscheidungen, denn die jeweils entschiedenen Sachverhalte sind zu unterschiedlich. Dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7.5.2001 - 11 B 99.2527
-
ZfS 2001, 523,
lagen Strafbefehle von 1995 wegen Unfallflucht und von 1996 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie ein Bußgeldbescheid von 1994 wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung
zugrunde; in der Entscheidung heißt es: "Die von der Kl. begangenen drei Verkehrsverstöße haben bereits jeder für sich allein betrachtet nicht unerhebliches Gewicht und sind in ihrer Gesamtheit
geeignet, Zweifel an der Fahreignung der Kl. zu wecken." In dem Beschluss des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.7.2001 - 10 S 614/00 -
ZfS 2002, 103,
gründet die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung und eines daraus abgeleiteten
besonderen Aggressionspotentials.“
Die Ausführungen des Senats sind ebenso überzeugend wie instruktiv; sie liefern hilfreiche Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens im Zusammenhang mit der Anordnung der Beibringung eines
Fahreignungsgutachtens nach vorangegangener Entziehung wegen eines Verkehrsregelverstoßes: In einem Fall einererstmaligen strafrechtlichen Fahrerlaubnis-Entziehung wegen des Strafdelikts
der Verkehrsunfallflucht ist im Regelfall mangels Erheblichkeit die Anordnung einer MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) im Verwaltungsrecht (gem. § 11 Abs. 3, S.
1, Nr. 4, Abs. 1, S. 3 FeV) nicht zulässig.
Die gebotene Gesamtschau lässt Eignungsbedenken nur dann zum Zuge kommen, wenn im konkreten Einzelfall erschwerende, besondere Umstände hinzukommen, die durchgreifende (charakterliche)
Eignungsbedenken in Bezug auf den Betroffenen begründen können.
Fehlen weitere oder frühere Delikte, so liefert der Eignungs-Verstoß allein keinen Anhaltspunkt für eine etwa gesteigerte Rückfallwahrscheinlichkeit. Die einzelne Zuwiderhandlung selbst liefert auch
keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer unangepassten Verhaltenssteuerung oder ein etwa gesteigertes, besonderes Aggressionspotential des Betroffenen.
Nur in derart besonders gelagerten Ausnahmefällen liefert eine einzige schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften mithin hinreichenden Anlass zur Anforderung eines Eignungs-Gutachtens.
Die Behörde hat in einem solchen Fall schon in der Anordnung der Gutachten-Beibringung diese Gesichtspunkte darzulegen und das ihr insoweit eingeräumte Ermessen zu begründen.9 Die Umstände, die
nach ihrer Auffassung Zweifel an der Eignung begründen, sind konkret und einzelfallbezogen darzulegen und zu erörtern; schlagwortartige Kurzbezeichnungen genügen ebenso wenig wie abstrakte
Verdachts-Mutmaßungen.
Die Anforderung eines Fahreignungs-Gutachtens im Anschluss an einenerheblichen Verstoß der in § 11 Abs. 3 Nr. 4-7 FeV aufgelisteten Art ist und bleibt daher die strikte Ausnahme; nur besondere
hinzutretende Tatsachen, die durchgreifende und über die Sperrfrist hinausdauernde Eignungszweifel zu begründen vermögen, können im Wiedererteilungs-Verfahren das Ermessen für jenen gewichtigen
Eingriff zur Gefahrenerforschung eröffnen.
* www.himmelreich-dr.de - Rechtsanwalt@himmelreich-dr.de – mail@.mahlberg-rechtsanwaelte.de - Der Text hier ist veröff. in DAR
2011, 288, H. 5.
[1] Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 11 FeV, Rn. 12, und § 2 StVG, Rn. 13 (m.w.Nw.). -Hervorhebung hier von den Verfassern !.
[2]Xanke, Praxiskommentar zum Straßenverkehrsrecht, ZAP-Verlag, 1. Aufl. 2009, § 11 FeV, E IV Abs. 3, Nr. 1 c, Rn. 108. – Auch z.B. das OVG Lüneburg (NJW 2000, 685) stellt auf
„Zweifel an der charakterlichen Eignung“ ab.
[3] Xanke, a.a.O., § 11 FeV, E, IV Abs.3, Nr. 1, c, Rn. 108. –Hervorhebung hier von den Verfassern !
[4] Geiger DAR 2001, 488 (491). – Hervorhebung hier von den Verfassern ! – Vgl. auch Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 2 StVG, Rn. 15.
[5] Mahlberg, in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2010, Kap. 35, Rn. 209. – Hervorhebung von den Verfassern !
[6] Vgl. z.B. auch: OVG Lüneburg NJW 2000, 685; - a.A. anscheinend: Ludovisy (in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, ZAP-Arbeitsbuch, 4. Aufl.
2008, Teil 9, A IV 2 d, Rn. 98) und Xanke (a.a.O., Rn. 92).
[7] Xanke, a.a.O., Rn. 93; vgl. auch Rn. 101 und 108. – Vgl. auchHaus zfs 2009, 657 (658): „Einzelfallprüfung und Gesamtschau“.
[8] OVG Saarlouis, Beschl. v. 27.7.2006 – 1 W 33/06, ADAJUR-Archiv-Dok.-Nr. 73831 = SVR 2007, 113 [gekürzte u. indir. Wiedergabe], m. Anm. Krause sowie m. Anm.
v. Haus zfs 2009, 657 [m. wörtl. Zitaten] = LSK 2007, 140540; vgl. dazu auch:Mahlberg in Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, a.a.O., Kap. 35, Rn. 208, 211,
212 zu Fn. 302, und 542a zu Fn. 728; Himmelreich/Halm NStZ 2010, 492; angedeutet auch bei: Gebhardt, Das verkehrsrechtiche. Mandat, Bd. 1, 6. Aufl. 2009, § 63, Rn. 34. – Zu einem
entspr. (abgelehnten) Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vgl. auch VG Saarlouis zfs 2009, 655.
9 Vgl. Mahlberg, a. a. O. (Fn. 5), Rn. 212a
6. Rechtsprechungs-Übersicht vom 1.4.2011 bis zum 31.3.2012
Rechtsanwälte Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Wolfgang Halm,
Fachanwalt für Verkehrsrecht, Köln*
Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und
-bußgeldsachen1
– Überblick 1.4.2011 - 31.3.2012 –
I. Strafgesetzbuch
1. StGB §§ 20, 21, 49 Verminderte Schuldfähigkeit und Strafrahmenbestimmung sowie Schuldunfähigkeit.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 20.2.2011, III-3 RVs 104/10), BA Bd. 48, 2011, 178, 180) weist darauf hin, dass die Grenze, bei der deutliche Beeinträchtigungen der Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit i. S. d. 21 StGB nahe liegen, bei 2 ‰ liege; bei einer BAK von mehr als 3 ‰ sei zudem die Frage der Schuldfähigkeit gem. § 20 StGB zu prüfen. –
Ebenso: BGH,
Beschl. v. 7.2.2012 – 5 StR 545/11, FD-StrafR 2012, 329550.
Der BGH (Beschl. v. 13.12.2011, 5 StR 423/11, BeckRS 2012, 00750 = JURION 107 in Nr. 94 der JURION-NEWS v. 23.2 2012) weist darauf hin, dass sich eine Einschränkung der
Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) aus einerphysischen Rauschmittel-Abhängigkeit ergeben kann.
In einer weiteren Entscheidung betont der BGH (Beschl. v. 10.1.2012, 5 StR 517/11, BeckRS 2012, 03228 = FD-StrafR 2012, 329550 = JURION 163 in Nr. 95 der JURION-NEWS v. 1.3.2012, S. 2 =
JURION Online-Fortbildung „Strafrecht“, 2012, Nr. 5, S. 1, v. 9.3.2012), dass es regelmäßig in einem hohen Grad wahrscheinlich ist, dass bei einem Täter mit einer BAK zwischen 2,3 und
2,7 ‰ zur Tatzeit die Hemmungsfähigkeit erheblich herabgesetzt war. – Vgl.
auch: BGH, Beschl. v. 7.2.2012 - 5
StR 545/11, FD-StrafR 2012, 329550.
2. StGB §§ 69, 69 a Fahrerlaubnis-Entzug und Sperre
a) Vorzeitiger Wegfall von Entziehung und Sperre und Rückgabe des
Führerscheins oder vorzeitige Aufhebung oder Reduzierung der
Fahrerlaubnis-Sperre sowie Aussetzung der Strafe zur Bewährung aufgrund extern überprüfter und kontrollierter, mithin qualifizierter Verkehrs-Therapien
Das AG Dortmund (Urt. v. 20.5.2011, 739 Cs-207 Js 2118/10-77/11; unveröff.) verhängte aufgrund einer „impuls-Therapie BASIS–A“ (Einzelgespräch
von 45 Min., 2 Gruppen-Sitz. von je 3 St. und einem anschl. Gespräch von 45
Min.) bei einer Trunkenheitsfahrt mit 2,18 ‰ gem. § 316 StGB nach einer
vorläufigen Vorenthaltung der Fahrerlaubnis von 5 Monaten nur eine Sperre von noch weiteren 4 Monaten.
Zum Absehen von einem Fahrerlaubnis-Entzug bei Vorliegen eines Regelfalls (§ 69, Abs. 2 StGB) vgl. AG Leer (Urt. v. 24.8.2011, 6c Cs 420 Js
27526/10 – 150/11, BA, Bd. 49, 2012, 51 = VRR 2012, 33) bei einer Trunkenheitsfahrt mit 2,21 ‰ auf Grund eines Gutachtens eines Fachpsychologen f. Verkehrspsychologie und einer
nachgewiesenen Abstinenz.
Das AG Düsseldorf (Urt. v. 28.7.2011 – 125 Cs 51 Js 128/11, DAR 2012, 40) betont, dass unter Berücksichtigung verkehrsrechtlicher Seminare, Nachschulungen und Therapienauch bei einer
Trunkenheitsfahrt mit 0,5 ‰(relative Fahrunsicherheit; 6,5 Mon. vorl. F.-Entzug) von einer Regel-Fahrerlaubnis-Entziehung abgesehen werden könne; ein dreimonatiges
deklaratorisches Fahrverbot sei ausreichend.
Das AG Düsseldorf (Urt. v. 20.7.2011 – 125 Cs 51 Js 128/11 – 99/11, JURION-ID 4 k 1841091 = BeckRS 2012, 04994) betont bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m.
Schlangenlinien-Fahren über eine längere Fahrtdauer u. Beschränkung d. Einspr. gegen d. Strafbef. aufs Strafmaß, dass ein Fahrerlaubnis-Entzug hier nicht notwendig sei: „Zwar liegt ein
Regelfall vor, jedoch hat das Gericht auch berücksichtigt, dass lediglich eine relative Fahruntüchtigkeit mit einem BAK-Wert von 0,59 ‰ vorliegt und dass die Angekl. ein entsprechendes
Seminar für im Verkehr durch Alkohol aufgefallene Verkehrsteilnehmer besucht hat. Der Führerschein befindet sich somit bereits ca. 6 ½ Monate in amtlicher Verwahrung. … es war jedoch
ein
(deklaratorisches) Fahrverbot von 3 Monaten zu verhängen.“
Vom AG München (Urt. v. 6.9.2011, 911 Cs 488 Js 105226/11, DAR 2012, 96 = StraFo 2012, 24) wurde aufgrund einer IVT-Hö-Verkehrs-Therapie
(KBS-D-PLUS-KURS) bei einer Trunkenheitsfahrt mit 1,92 ‰
(Vordelikte: 1996: 1,59 ‰; 2002: 1,09 ‰) gem. § 316 StGB mit anschl.
MPU-Gutachten der PIMA-MPU GmbH (mit Abstinenznachweis von 6 Mon.) trotz eines „Regelfalls“ m. ausführl. Begründung und Hinweis auf andere Gerichts-Entsch. sowie m. ausdr. Hinweis, dass „der
Angekl. wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet“ sei, die Fahrerlaubnis − nach einer vorläufigen Vorenthaltung der Fahrerlaubnis von 7 ½ Mon. − nicht entzogen; der Führerschein
wurde im Gerichtstermin zurückgegeben; damit trat auch wohl eine Bindungswirkung gegenüber der Verwaltungs-Behörde ein; zur (zusätzlichen) privaten MPU im strafr. Hauptverfahren vgl.
auch Hillmann
DAR 2012, 231. – Auch das LG Aachen (Urt. v. 24.2.2011 – 71 Ns -
Js 638/10 – 226/10), BA, Bd. 49, 2012, 109) meinte, dass d. Täter nach e.
fahrl. Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m. 1,44 ‰ trotz Regelfall aufgrund e. IVT-Hö-Therapie m. Abstinenz ab Tattag „ausnahmsweise nicht mehr als ungeeignet … eingestuft werden kann“, aber ein
dekl. Fahrverbot. verhängt werden musste; m. sehr ausführl. Begr. u. ausf. Hinweis auf weitere ähnliche Rsprg.; d. Betr. kassiert nun i. Verw.recht 7 Punkte. – Weiterhin konnte auch das AG
Köln (Urt. v. 19.4.1012 – 713 Ds 302/11, unveröff.) nach e. fahrl. Trunkenheitsfahrt gem. §§ 316, 21 StGB m. 2,7 ‰, einer 8-monatigen vorl. Vorenthaltung d. F.erl. aufgrund d. seriösen Therapie
„Starthilfe“ (Hanelt & Hannay), Köln, m. Abstinenz ab Tattag, eine Ungeeignetheit nicht mehr ststellen u. gab d. Führerschein im Gerichtstermin zurück; ein dekl.
Fahrverbot v. 3 Monaten wurde noch verhängt; damit waren auch hier 7 Punkte i. Verw.recht nicht zu vermeiden. − In solchen Fällen muss d. Verteidiger stets
darauf achten, dass die Therapie sehr früh beginnt, dem Gericht dies mitgeteilt wird u. d. Gerichtstermin (unter Berücksichtigung d. Therapie) 3 Monate früher als sonst stattfindet; dann
wird dem MDT. die Fahrerlaubnis letztendlich mit 3 Monaten Sperre entzogen; er erhält wegen d. F.-Entzugs auch keine
Punkte dafür i. Verw.recht.
Zur wichtigen „Bindungswirkung“ gem. § 3 Abs. 4 S. 1 StVG der strafrechtl. Entscheidung (weil MPU z.B. ab 1,6 ‰) gegenüber d. verwaltungsrechtl.
Fahrerlaubnis-Behörde (m. ausf. Begr.) bei einer Verurteilung durch d. AG Regensburg wegen Trunkenheitsfahrt (hier: m. 1,94 ‰) gem. § 316 StGB, m. Herausgabe d. Führerscheins, vgl. VG
Regensburg, Beschl. v. 16.11.2011 – RO 8 S 11.1448, unveröff.; w. Nw. bei: Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440 (441, r.u.); OVG Münster (Urt. v. 24.10.2011 – 16 A 1571/10), VA 2012,
46;Himmelreich NZV 2005, 337 (340 ff.); Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StrVerkR, 21. Aufl. 2012, § 3 StVG, Rn. 12; Kalus, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5.
Aufl. Münster 2011, Teil 9, C, IV, 2, Rn. 521 ff.;Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 69, Rn. 59; Mahlberg, in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl. Köln 2012, Kap.
35, Rn. 503 ff.; Winkler, ebendort, Kap. 33, Rn. 310. – Zu „Nachschulungen“ vgl. z.B.Fischer (a.a.O.), § 69, Rn. 36 u. 46 ff.
b) Das LG München I (Urt. v. 24.10.2011, 24 Ns 464 Js 113904/11; unveröff.) räumte bei einer Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und gefährlicher
Körperverletzung m. 1,8 ‰ (Verurteilung i. d. 1. Inst. zu 9 Mon. Freiheitsstrafe ohne Bewährung; Vordelikt 2010: Gefährliche Körperverletzung)aufgrund
einer „IVT-Hö-Anti-Aggressions-Therapie“ (KBS-PUMA-KURS) nuneine Bewährungszeit v. 4 Jahren ein und verhängte durch Beschl. die Auflage, die „begonnene Aggressionstherapie bei der
IVT-Hö-Bayern fortzusetzen und ferner eine Alkoholtherapie durchzuführen“.
c) Das AG Solingen (Urt. v. 17.10.2011 – 23 Ds – 10 Js 640/11 – 266/11, Der Verkehrsanwalt 2012, 34) meint bei einer Trunkenheitsfahrt gem. 316 Abs. 2 StGB mit 1,17 ‰ und dem
Besitz von Marihuana gem. § 29 Abs. 1 BtMG, dass sich nach bereits mehr als 6 Monaten Vorenthaltung der Fahrerlaubnisnicht feststellen ließe, dass der Betroffene − nach dem Ablauf dieser
verhältnismäßig langen Zeit verbunden mit einer nach dem Tatgeschehenzeitnah erfolgten verkehrstherapeutischen Einzelmaßnahme − noch weiterzum Führen von Kfz ungeeignet sei; ein
deklaratorisches Fahrverbot von 3 Monaten sei ausreichend. Der Führerschein wurde wieder ausgehändigt.
d) Das LG Erfurt (Beschl. v. 25.5.2011 – 7 Qs 135/11, BA, Bd. 48, 2011, 292 = VA 2011, 173, LS = ADAJUR 93922, LS) betont, dass hinsichtlich einer
Trunkenheitsfahrt m. 2,04 ‰ gem. § 316 StGB die verhängte Sperre vorzeitig gem. § 69a, Abs. 7 StGB aufgehoben werden kann, wenn der Täter durch
eineNachschulung oder ein Aufbauseminar für alkoholauffällige Täter − (hier: Teilnahme an einer mehrwöchigen verkehrspsychologischen Intervention der DEKRA m. 3 Sitzungen m. Einzelbesprg. zu jew. 90
Min.; „freiwillig und aus eigenem Antrieb teilgenommen“; „nach alledem besteht [hier] Grund zu der Annahme, dass der Verurteilte … nicht mehr ungeeignet ist“) − eine risikobewusstere
Einstellung im Straßenverkehr entwickelt hat; – w. Nw. bei:Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440 (441 f.); 2010, 492.
e) Zum Fahrerlaubnis-Entzug gem. § 69 Abs. 2, Nr. 3 StGB bei„bedeutendem“ Fremd-Sach-Schaden i.S. d. § 142 StGB weist das OLG Hamm (Beschl. v. 30.9.2010 – III – 3 RVS
72/10, NZV 2011, 356 = VRR 2011, 309 (LS) = FD- StrafR 2011, 322819 = VA 2011, 159 (LS), m. Anm. BurhoffVRR 2011, 310 = ADAJUR Dok.Nr. 94099 = FD-StrafR 2011,
322819), darauf
hin, dass bei der Prüfung, ob ein bedeutender Fremd-Sach-Schaden
vorliegt, „nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die
zivilrechtlich (überhaupt) erstattungsfähig sind. Die Grenze ... liegt bei
1.300,- Euro. ... (Dabei) ist die Höhe des Ersatzanspruchs bei Abrechnung nach
Gutachtenbasis auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts beschränkt.“
Neue Literaturhierzu: Himmelreich/Krumm/Staub, Unfallflucht und Fahrerlaubnis-Entzug (m. Ausf. insbes. zum bedeutenden Fremd-Sach-Schaden und dessen relevanten
Schadens-Teilen), DAR 2012, 49; Krumm,
Bestimmung des „bedeutenden Fremdschadens“ nach Unfallflucht, NJW 2012, 829; w. Nw.: Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440 (442). − Zum „bedeutenden Fremdschaden“ vgl. auch: Burhoff, in:
Ludovisy/Eggert/Burhoff (a.a.O.), Teil 6, F, XIII, 3c, Rn. 384 ff.; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl.
(Jan.) 2013, Rn. 260 ff. (269); Lessing, in: Van Bühren/Lemcke/Jahnke,
Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl. Köln 2012, Teil 11, Rn. 63; Winkler,
in: Himmelreich/Halm (a.a.O.), 4. Aufl. Köln 2012, Kap. 33, Rn. 117;Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 5. Aufl. 2012, 6. Teil, 4. Kap., Rn. 123; Fischer, a.a.O., § 69, Rn.
28; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StrVR, 22. Aufl. 2012, § 69 StGB, Rn. 20.
f) Das LG Traunstein (Urt. v. 22.7.2011, 1 Qs 225/11, zfs 2011, 646 = NZV
2011, 514 = ADAJUR Dok.Nr. 95662 = Verkehrsjurist 2011, 30, LS) betont, dass kein automatischer (vorläufiger) Fahrerlaubnisentzug bei Schlafapnoikern(§ 315 c I Nr. 1 b StGB) gerechtfertigt sei;
nur durch ein rechtsmedizinisches Gutachten sei zu klären, ob es sich um einen solchen Übermüdungszustand handelt, der die für den Besch. erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafs mit sich
bringt. – Vgl. auch: LG Traunstein, Beschl. v. 8.7.2011 – 1 Qs 226/11, VA 2011, 191 = ADAJUR Dok.Nr. 93971.
g) Das AG Bochum (Beschl. v. 22.10.2010, 29 AR 16/10, DAR 2011, 97, m.
Anm. Mahlberg) meint mit weiterer Begründung, dass die Aufhebung einer lebenslangen Fahrerlaubnis-Sperre nach Ablauf von 45 Jahren dann nicht in Betracht komme, wenn der Betr. erneut
verkehrsstrafrechtlich aufgefallen sei (hier: u.a. 2 x Fahren ohne Fahrerlaubnis) und keinerlei Anstrengungen unternommen habe, Nachschulungen zu absolvieren.
h) Hinsichtlich Jugendlicher weist das OLG Nürnberg (Urt. v. 26.8.2011, 1 ST OLG SS 156/11, NSt-RR 2011, 386 = NZV 2012, 48 = VRS, Bd. 121, 2011, 333 = BA, Bd. 48, 2011, 356
= VA 2011, 193, LS = ADAJUR Dok.Nr.
95229, LS = BeckRS 2011, 23057, m. Anm. 6 v. Krenberger, in: jurisPR-VerkR 2012) zutreffend darauf hin, dass es bei einer Fahrerlaubnis-Entziehung
allein auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kfz und nicht auf erzieherische Erwägungen ankommt; die Sperre dürfe auch nicht allein aus erzieherischen Gründen verkürzt
werden; die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB findet auch im Rahmen des § 7 JGG uneingeschränkte Anwendung; so auch:Altenhain, Münchner Kommentar, Bd.-Red.: Hefendehl u. Hohmann, Bd. 4,
1. Aufl. 2006, § 7 JGG, Rn. 20 u. 22; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 69, Rn.
21 (m. w. Nw.); Hentschel/König/Dauer, StrVR, 41. Aufl. 2011, § 69, Rn. 15 (m. zahlr. w. Nw.); − a.A.: Eisenberg, JGG, 15. Aufl., 2012, § 7, Rn. 3 u. 42 ff.;S/S/Stree/Kinzig, StGB, 28.
Aufl. 2010, § 69, Rn. 44a; Winkler, in: Himmelreich/Halm (a.a.O.), 4. Aufl. Köln 2012, Kap. 33, Rn. 293; − vgl.
dazu auch: Wölfl, NZV 1999, 69 (m.w.Nw.). – Unklar: Ludovisy, in:
Ludovisy/Eggert/Burhoff (a.a.O.), Teil 9, B 4, Rn. 331.
Zum Absehen eines Fahrerlaubnis-Entzugs bei einem damals 20 ½ Jahre alten Jugendlichen in einem Regelfall ohne Alkohol- und Drogenkonsum gem. § 315 c Abs. 1, Nr. 2 d, Abs. 3, Nr.1
StGB mit Vorwurf einer stark überhöhten Geschwindigkeit und Unfall − aufgrundgeständiger und einsichtiger Einlassung,
Beschränkung des RM auf d. Rechtsfolgenausspruch, verkehrsrechtlicher
Unauffälligkeit, Beruf (Monteur im Außendienst), Kündigung d. Arb.verh. drohte,
6 Mon. bisherige Vorenthaltung der Fahrerlaubnis, jetzt noch zusätzlich 3 Mon.
Fahrverbot u. Erhöhung d. Tagessätze auf 50 zu je 40 € − vgl. AG Gemünden,
Urt. v. 1.8.2011, 1 Cs 952 Js 6185/11, BA, Bd. 49, 2012, 50 = VA 2012, 29, LS = VRR 2012, 32 = ADAJUR 96174, LS = ADAJUR 96174, LS = StRR 2012, 34; − als Verteidiger hätte man wohl d. Mdt. geraten,
eher einen F.-Entzug mit noch 3 Monaten Sperre zu akzeptieren, als nun noch 7 Punkte zusätzlich wegen d.
Nichtentzugs zu kassieren.
i) Zur nicht zulässigen vorsorglichen Fahrerlaubnis-Entziehung bei Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.9.2010- 5
Ss 471/10, bei: Cramer/Gontard, StVE, § 69 StGB, Nr. 3.
j) Einem Motorradfahrer kann bei Fahren ohne Fahrerlaubnis auf Grund
von technischen Veränderungen die Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit entzogen werden (AG Lübeck, Beschl. v. 9.12.2011 – 61 Gs 125/11, VA 2012, 66 = BeckRS 2011, 29818 = JURION-ID 4 K 1221081).
k) Zum Begründungs-Erfordernis im Urteil, wenn eine Maßregel an
Zusammenhangstaten anknüpft, vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 - 4 StR
459/10, NStZ-RR 2011, 255 = bei: Ernemann DAR 2011, 617.
l) Literatur: Zur „bedingten Eignung“ im Strafrecht (§ 69a, Abs. 2
StGB) vgl. StA Krismann NZV 2011, 17. – Zu Gnadenanträgen bei Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot vgl. Fromm, NZV 2011, 329. – Molketin, Praxis des Straßenverkehrsrechts,
NZV 2011, 591. – Burmann, Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahr 2011, NJW 2012, 1042. – Vgl.
auch d. Rsprgs.-Übersicht von Burhoff VA 2012, 69 und König/Seitz DAR 2011, 361.
3. StGB § 142 Unerlaubtes Entfernen
vom Unfallort
a) Unfall im Straßenverkehr
Das LG Düsseldorf (Urt. v. 6.5.2011 – 29 NS 3/11, NStZ-RR 2011, 355 = VA 2011, 212, LS = BeckRS 2011, 18498 = LSK 2011, 470333 = ADAJUR Dok.Nr. 94352 = JURION-NEWS, Dok. 39, 892, m.
Anm. Kääb FD-StrafR 2011, 322074 u. Anm. Holch FD-StrafR 2011, 321187) weist (m. ausf. Angaben v. Fundstellen zur h.M. und Gegenmeinung) darauf hin, dass kein
„Unfall“ i. S. v. § 142 StGBvorliegt, wenn ein Einkaufswagen während des Ausladens von Gegenständen in das Kfz rollt und dabei ein anderes Kfz beschädigt. Es fehlt dann an dem
erforderlichen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang und somit an einem Unfall. Denn das Wegrollen eines Einkaufswagens auf einem Parkplatz hat mit der besonderen Schadensträchtigkeit und
Typizität gerade des öffentl. Straßenverkehrs nichts zu tun; − a.A.: OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.11.2011 – 111-1 RVs 62/11, in: FD-StrVR 2012, Ausg. v. 2.2.2012, Nr. 327621, m.
Anm. Kääb in: FD-StrVR 2012, 327621 = JURION-ID 4 K 1361095; Himmelreich/ Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. (Jan.) 2013, Rn. 145; Zopfs, in: Münchner
Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2012, Rn. 33 (m. w. Hinw. auf ältere Rsprg.). – Vgl. dazu (m. w. Nw.) u.a.: Fischer (a.a.O.), § 142, Rn. 9. - Unklar: Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl.
2011, § 142, Rn. 6.
Das OLG Köln (Urt. v. 19.7.2011 – III -1 RVs 138/11, DAR 2011, 541 = zfs 2011, 588 = NJW-Spezial 2011, 554 = zfs 2011, 588 = JuS 2011, 1038, m. Anm. Hecker = NZV 2011, 619 =
NStZ-RR 2011, 354 = VA 2011, 172, LS = VM 2011, 78 = VD 2011, 258, LS, m. Anm. Ternig = ADAJUR Dok.Nr. 96269, LS = BeckRS 2011, 21092 = FD-StrVR 2011, 322058 = Transport-Recht 2011, 451)
betont aber, dass ein „Unfall“ dann vorliege, wenn der Führer eines auf öffentlicher Straße geparkten LKW beim Ladevorgang ein Blech statt auf die Ladefläche versehentlich gegen die Seitenwand des
LKW wirft und ein anderes Kfz durch das abprallende Metallteil beschädigt wird. – Vgl. dazu auch:Winkler, in: Himmelreich/Halm (a.a.O.), Kap. 33, Rn. 112; Zopfs (a.a.O.).
b) Vorsatz
Das OLG Köln (Beschl. v. 3.5. 2011 – III-1 RVs 80/11, DAR 2011, 478, m. Anm. Krumm, S. 479 = NStZ-RR 2011, 285 = NZV 2011, 510 = VA 2011, 156, LS = VM 2011, Nr. 70, S.
82 = VRR 2011, 311 = NJW-Spezial 2011, 683 = BeckRS
2011, 21785 u. 16833 = ADAJUR Dok.Nr. 93550, m. Anm. Lorenz in: ADAJUR
Dok.Nr. 94078 = LSK 2011, 360886, LS = FD-StrafR 2011, 320152, m. Besprg. v. Smok in: FD-StrafR 2011, 323244), m. Anm. Krenberger in: jurisPR-VerkR 2011, Anm. 5 = LSK 2011,
360886, LS) betont, dass bei „kleineren“ Schäden(hier: 634,98 €) in den Urteilsgründen die Mitteilung des genauen Schadenbildes erforderlich sei und nicht nur auf einen Kostenvoranschlag
verwiesen werden dürfe. Nur so könne die Fallgestaltung ausgeschlossen werden, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat,
ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten ist.
Andererseits könne das Nichterkennen eines Fremd-Sach-Schadens infolge
nachlässiger Nachschau die Annahme eines bedingten Vorsatzes nicht
ausschließen.
Das OLG Stuttgart (Beschl. v. 4.5.2010 – 5 Ss 198/10, NStZ-RR 2011, 187 = ADAJUR Dok.Nr. 89229 = BeckRS 2011, 04236 = LSK 2011, 230154) betont noch einmal, dass das Vorliegen des Vorsatzes
nicht allein aus einer hohen BAK geschlossen werden kann.
c) Vorsatzloses Sich-Entfernen vom Unfallort
Vgl. hierzu m. w. Nw.: Ernemann DAR 2011, 617; Kraatz NZV 2011, 321;Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440 (443); 2010, 292 (494).
d) Zum "bedeutenden" Fremd-Sach-Schaden (§ 69a, Abs. 2, Nr. 3 StGB) vgl oben unter I 2 e.
e) Strafzumessung
Das OLG Frankfurt (Urt. v. 22.11.2011 – 3 Ss 356/11, SVR 2012, 146 = VA 2012, 46 = NJW-Spezial 2012, 43 = BeckRS 2011, 27341) betont, dass die Schwere des Unfalls und seine Folgen weiterhin
bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters berücksichtigt werden können.
f) Weitere verkehrsrechtliche Literatur:
Himmelreich/Mahlberg, Unfallflucht und Fahreignungsgutachten, DAR 2011, 288. – Blum, Rechtfertigungsgründe bei Verkehrsstrafsachen und Verkehrsordnungswidrigkeiten, NZV 2011, 378.
− Schmedding, Leichtkollisionen – Wahrnehmbarkeit und Nachweis von PKW-Kollisionen, Vieweg+Teubner-Verlag, 2011; vgl. denselben auch in: VRR 2011, 297, m. Besprg. in: ADAJUR
Dok.Nr. 95326 u. Rez. in: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 2011, 86. – Bosch, Grundprobleme des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort …, Jura 2011, 593, m. Bericht in: LSK 2011, 360927;Roth,
Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2012;Buck/Krumbholz, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, Unfallrekonstruktion, Unfallflucht, Biomechanik,
Messtechnik, Bildidentifikation, Alkohol und Drogen, NOMOS, 2. Aufl.
München, 2012.
4. § 222 StGB Fahrlässige Tötung
Zu einem nicht vorhersehbaren oder sonst vermeidbarem Auftreten einer unfallursächlichen „Synkope“ i. S. e. kurzen, spontan reversiblen Bewusstseinsverlustes (Aufhebung eines Freispruchs m.
Zurückverweisung)
vgl. OLG Bamberg, Urt. v. 30.3.2010, 3 Ss 100/09, DAR 2011, 147.
5. StGB § 240 Verkehrs-Nötigung
Das OLG Frankfurt (Urt. v. 23.11.2010 – 2 Ss 274/10, NStZ-RR 2011, 10 = VA 2011, 119 = BeckRS 2011, 00210) weist darauf hin, dass dann, wenn sich der Täter dem herannahenden Kraftfahrer
lediglich für 30 Sekunden in den Weg stellt und ihn allein durch seine körperliche Anwesenheit zum Anhalten zwingt, keine Gewalt i. S. d. § 240 Abs. 1 StGB vorliegt.
Literatur: Rehler, Nötigung im Straßenverkehr, DAR 2011, 372.
6. StGB § 315b Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
a) Ein Verstoß gegen § 315b Abs. Nr.1, Abs. 3 StGB erfordert eine über
eine abstrakte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs
hinausreichende konkrete Gefährdung eines der dort bezeichneten Individualrechtsgüter; das ist nach einem Urteil des BGH (v. 26.7.2011 – 4 StR 340/11, VA 2011, 190 = ADAJUR 2011, 94655 =
BeckRs 2011, 21185 = StV 2012, 217 = LSK 2012, 140006) nicht der Fall, wenn der Täter den Bremsschlauch eines PKW angeschnitten hat, die Bremswirkung dieses PKW bei scharfer Bremsung um bis zu 50 %
vermindert sowie der Bremspedalweg verlängert wurde und der Fahrer (das Opfer) bei der Betätigung seines Bremspedals anfänglich keine Bremswirkung verspürt, dann aber sein Kfz doch noch mit der
eigenen Bremsanlage rechtzeitig zum Stehen bringt.
b) Der BGH (Beschl. v. 22.11.2011 – 4 StR 522/11, VA 2012, 65 = BeckRS 2012, 01005 = JURION-NEWS Nr. 94 v. 23.2.2012 = ADAJUR Dok.Nr. 93295, m. Anm. Burhoff VRR 2011, 309
u. Beitrag dazu in: ADAJUR Dok.Nr. 94707 u. Anm. v. Zimmermann in: FD-StrafR 2012, 327067) weist weiter darauf hin, dass bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff zu dem bewusst
zweck-widrigen Einsatz des Kfz der Täter diese zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht; das sei nicht der Fall, wenn der Täter mit Vollgas anfährt, jedoch in einer Entfernung von
eineinhalb bis zwei Meter vor dem Opfer anhält, noch einmal Vollgas gibt, aber dabei die Kupplung schleifen lässt und sich ruckelnd auf das Opfer zu bewegt, um ihn zu bewegen, aus dem Weg zu gehen;
als das Kfz nur noch eineinhalb Meter entfernt war, machte das Opfer einen Ausfall-Schritt zur Seite und ließ das Kfz passieren.
c) Zur Annahme konkreter Gefährdung von Leib und Leben gem. § 315b Abs. 1, Nr. 2 StGB verlangt der BGH (Beschl. v. 25.1.2012 – 4 StR 507/11, BeckRS 2012, 05509 = FD-StrVR 2012, 330062
= JURION-ID: 4 k 3021091 = JURION Online-Fortbildung „Verkehrsrecht“, Nr. 7, 2012, S. 3) bei absichtlicher Herbeiführung eines Auffahrunfalls konkrete individuelle Feststellungen insbes. zu den
Geschwindigkeiten d. Kfz im Zeitpunkt d. Kollision und Intensität d. Aufpralls zwischen d. beteiligten Kfz.
d) Die Wertgrenze für den drohenden bedeutenden Schaden i. S. d. §§ 315b, 315c StGB liegt laut BGH (Beschl. v. 28.9.2010 - 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215 = JuS 2011, 660, m.
Anm. Jahn = BeckRs 2011, 00110 = ADAJUR Dok.Nr.
91402) weiterhin bei 750 €; ebenso: OLG Celle, Beschl. v. 17.8.2011 – 32 Ss 86/11, DAR 2011, 646, LS = zfs 2012, 707, LS = NZV 2011, 622, LS = ADAJUR Dok.Nr. 94995 = BeckRS 2011, 23416 =
LSK 2011, 460418.
e) Zum öffentlichen Verkehrsraum i. S. d. § 315b StGB vgl. BGH, Beschl. v. 5.10.2011 – 4StR 401/11, VRR 2011, 31/32.
f) Literatur: Zum Verdacht des § 315b StGB bei verlorenen und liegen gelassenen Gegenständen auf der BAB vgl. Ternig, zfs 2011, 189. – Zum provozierten Auffahrunfall durch
äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten vgl.Hecker, DAR 2011, 186.
7. StGB §§ 315 c, 316 Fahrten unter Alkoholeinfluss und Drogen
a) BAK-Rückrechnung bei
fehlenden Angaben zur Tatzeit
Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 22.6.2010 - 4 StR 211/10, bei: Cramer/Gontard, StVE § 316 StGB, Nr. 160.
b) Relative Fahruntüchtigkeit
aa) durch eine Fahrt unter Alkoholeinfluss
Das OLG Köln (Beschl. v. 3.8.2010 – III-1RVs 12/10, BeckRS 2010, 19482 = ADAJUR Dok.Nr. 89114, LS) betont, dass bei dem Vorwurf - dem Angekl. sei es nicht gelungen, m. 0,67 ‰ auf die
Einweisung d. mit einem neonfarbenen Anorak und weißer Mütze bekleideten Pol.beamten mit Kelle rechtzeitig zu reagieren und in die Kontrollstelle einzufahren – nicht die nahegelegene Fragestellung
erörtert worden sei, ob der Angekl. die Kontrollstelle nicht bewusst „umfahren“ wollte, um dadurch etwaigen Fragen und Tests hinsichtl. e. Alkoholisierung zu entgehen. „Das Verhalten eines
durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung. Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von
alkoholisierten Fahrern begangen wird, desto eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre dem Angekl. im nüchternen Zustand nicht unterlaufen … Andererseits haben Fehlleistungen, die
erfahrungsgemäß auch nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert.“
Literatur: Zur vergleichenden Betrachtung der Schätz- und Widmark-Formel zur Bestimmung der BAK vgl. Brieler/Kollra/Püschel/Zentgraf, BA, Bd. 48, 2011, 324, m. Beitrag in: ADAJUR Dok.Nr.
95897. – Zu Richtlinien zur Ermittlung der BAK-Konzentration für Zwecke der Gerichtsmedizin vgl. Dittmann/Musshoff/ Pollak, ebendort, S. 137, m. Beitrag in: ADAJUR Dok.Nr. 93533. – Zur
Atemalkohol- und Blutalkoholmessung in der Praxis (Fallbericht: Ersttest 0,86‰ ; BAK später 1,13 ‰) vgl. Birngruber/Roiu/Wollersen/Dettmeyer/Verhoff, BA, Bd.49, 2012, 1. – Vgl.
auch Zentgraf/Kollra/Heinemann/ Seifert/
Püschel/Brieler zu extremen Ergebnissen e. deutsch-russischen Trinktests,
BA, Bd. 49, 2012, 7. – Zur absoluten Fahruntüchtigkeit im Bahnverkehr vgl.Meyer NZV 2011, 374.
bb) durch eine Fahrt unter Alkoholeinfluss und Drogen
Das KG (Beschl. v. 15.9.2011 – [3] - 1 Ss 192/11 [73/11], BA, Bd. 49, 2012, 46 = VA 2012, 71 = VRR 2012, 3 = VA 2012, 28, LS = StRR 2012, 3, LS = ADAJUR Dok.Nr. 96147 =
JURION-ID 4 k 253 1080) weist auf Folgendes hin: „Wirken auf einen Angeklagten lediglich 0,95 % Promille Alkohol und 3,8 ng/ml Kokain und 429 ng/ml Benzoylecgonin sowie 65 ng/ml Ecgoninmethylester
... ein, ...müssen weitere Tatsachen hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass die
Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie
geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so erheblich herabgesetzt
ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über
eine längere Strecke ... sicher zu führen. ... Das Urteil muss daher Feststellungen zum äußeren Verhalten des Fahrzeugführers enthalten, die auf seine Fahruntüchtigkeit hindeuten ... Dass der
Angeklagte über eine Fahrstrecke von ca. 500 m mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h gefahren
ist“ und mit geröteten Augen, schleppendem Gang sowie zeitweiligem Lallen
aufgefallen ist, reicht nicht aus.
cc) infolge einer Drogenfahrt
Das AG Tiergarten (Urt. v. 6.4.2011 - [310 Ds] 3012 PLs 11869/10 [32/10] BA, Bd. 49, 2012, 48 = BeckRS 2011, 25857) sieht bei 20 ng/ml THC eine absolute
Fahruntauglichkeit.
Der BGH (Beschl. v. 21.12.2011 – 4 StR 477/11, BeckRS 2012, 02532 = JURION-NEWS Nr. 93 v. 16.2.2012, S. 3) weist darauf hin, dass „anders als bei Alkohol ... der Nachweis einer
rauschmittelbedingten (hier aufgrund von Kokain)
Fahrunsicherheit auch weiterhin nicht allein durch einen bestimmten
Blutwirkstoffbefund geführt werden“ kann. Es bedürfe daneben „noch weiterer
aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit ... soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im
Straßenverkehr eine längere Strecke ... sicher zu steuern“. Eine 5-fache Überschreitung des von der Grenzwertekommission empfohlenen Grenzwerts für Benzoylecgonin von 75 ng/ml reiche allein nicht
aus.
c) Zur Fahrerlaubnis-Entziehung bei Alkohol-Missbrauch außerhalb der
Teilnahme am Straßenverkehr vgl. (m. w. Nw.) OVG Bremen, Beschl. v.
19.10.2011 – 2 B 148/11, NJW 2012, 473; vgl. dazu auch: Himmelreich DAR 2002, 60; VGH Mannheim DAR 2002, 523 (525). – Zur erforderlichen MPU
nach 2 Jahren und 4 Monaten für einen Radfahrer nach einer Trunkenheitsfahrt mit 1,93 ‰ vgl. VG Münster, Beschl. v. 5.5.2011 – 10 L 222/11, NZV 2012, 56 = BeckRS 2012, 45970; vgl. dazu
auch: OVG Lüneburg, Urt. v. 26.10.2011 – 12 ME 181/11, DAR 2011, 716 = NZV 2012, 149 = BeckRS 2011, 55406 = ADAJUR Dok.Nr. 95321, LS = NJOZ 2012, 430. – Zur Frage, ob im verwaltungsrechtl.
Verfahren noch berücksichtigt werden kann, dass im Strafverfahren fehlerhaft ein „Führen“ des Fahrrads statt einem „Schieben“ festgestellt wurde, vgl. VGH München, Urt. v. 31.8.2010 –
11 CS 10.1821, ADAJUR Dok.Nr. 92504, LS = VD 2011, 78, m. Anm. Koehl, S. 80 dort.
II. Strafprozessordnung
1.StPO § 111 a Vorläufiger Fahrerlaubnis-Entzug nach längerem Zeitablauf/
Beschleunigungsgrundsatz
Das KG (Urt. v. 1.4.2011 – 3 WS 153/11, NJW-aktuell 2012, 183 = StraFo 2011, 353 = BA, Bd. 48, 2011, 291 = VA 2011, 193, LS = VRR 2011, 388, LS = FD-StrafR 2011, 321785 = ADAJUR Dok.Nr.
93972 = BeckRS 2011, 20095, m. Anm. Kääb, in: FD-StrVR 2011, 321550, m. Anm. v. Burhoff in: ADAJUR Dok.Nr. 96030) hält eine vorläufige Fahrerlaubnis-Entziehung nicht mehr
rechtlich vertretbar, wenn die Tat über 2 Jahre zurückliegt, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der StA gestellt wird und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere 5 Monate
vergehen lässt. − Dagegen
rechtfertige laut KG (Urt. v. 1.11.2010 - [3] 1 Ss 317/10 [18/10], VA 2011, 85) der bloße Zeitablauf während des Berufungs- u. Revisionsverfahrens kein Absehen von der Maßregel.
Das LG Kleve weist darauf hin, dass dann, wenn der vorgeworfene Verkehrsverstoß bereits längere Zeit (hier: über 7 Monate) zurückliege, kein Absehen von der Maßregel gerechtfertigt sei; w.
Nw. b.: Himmelreich/HalmNStZ 2008, 382 (387); 2009, 373 (377); 2010, 492 (495); 2011, 440 (444);Bockemühl (a.a.O.), 5. Aufl. 2012, Rn. 75.
2. StPO §§ 261, 267 Wiedererkennen/Täteridentifizierung, sequentielle Wahllichtbildvorlage, anthropologisches Identitäts-Gutachten – im Straf- u. OWi-Verfahren
Vgl. dazu: BGH, Beschl. v. 9.11.2011 – 1 StR 524/11, VA 2012, 64, LS = NJW-Spezial 2012, 58 = NStZ 2012, 172 = BeckRS 2011, 29261; Urt. v. 14.4.2011 – 4 StR 501/10, BeckRS 2011, 13859 = LSK
2011, 440145; OLG Brandenburg, Urt. v. 9.8.2011 –(2 B) 53 Ss-OWi 186/11, VA 2012, 65; OLG Bamberg, Beschl. v. 8.6.2011 – 2 Ss OWi 757/10, SVR 2012, 2930; Beschl. v. 1.9.2011 - 2 Ss OWi
106311, DAR 2011, 596; Beschl. v. 22.2.2012 – 2 Ss OWi 143/12, DAR 2012, 215; BGH, Urt. v. 1.12. 2011 – 3 StR 284/11, JuS 2011, 1038 =
JURION-ID 4 k 3051081 = BeckRS 2012, 00383 = JURION-NEWS Nr. 94 v. 2.3.2012, m. Anm. Lilie, in: FD-StrafR 2012, 327083; OLG Thüringen, Beschl. v. 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11, zfs 2012, 108 =
JURION-ID 4 k 341084; − w. Nw. b.: Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440 (445); 2010, 492 (496); Winkler, in: Himmelreich/Halm (a.a.O.), Kap. 33, Rn. 377c.
Nimmt der Tatrichter bei der Abfassung des Urteils nicht ausdrücklich auf ein in der Akte befindliches Lichtbild des Betr. Bezug, ist es, um eine erfolgsversprechende Rechtsbeschwerdeeinlegung zu
verhindern, erforderlich, die Identifizierungs-merkmale so präzise zu beschreiben, wie sie bei Betrachtung eines Fotos wahrgenommen werden würden. Demnach muss das Urteil auch Ausführungen zur
Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten (OLG Bamberg, Beschl. v. 8.6.2011 – 2 Ss OWi 757/10, SVR 2012, 30, m. Anm.Krumm = DAR 2011, 401). Erst recht sind im Rahmen der
Beweiswürdigung Ausführungen zur Bildqualität und den auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmalen der abgelichteten Person erforderlich, wenn Zweifel an der Identität des Betroffenen
bestehen (OLGDüsseldorf, Beschl. v. 28.2.2011 – IV-4 RBs 29/11, DAR 2011, 408). Das OLG Jena (Beschl. v. 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11, zfs 2012, 10 = VRS 122 [2012], 143) hat übrigens
für den Fall, dass das Tatgericht zur Identifizierung des Betr. auf ein
anthropologisches Identitätsgutachten zurückgreifen muss, seine bisherige
Rechtsprechung aufgegeben, wonach im Urteil des Tatgerichts in jedem Falle der
Verwertung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens Aussagen zur
Häufigkeit des Vorkommens der zur Identifikation des Täters herangezogenen
morphologischen Merkmale in der Bevölkerung enthalten müssen (vgl. etwa d.
Beschl. v. 30.9.2008 – 1 Ss 187/08, NZV 2009, 246 = zfs 2009, 228) und hält
Angaben zum Verbreitungsgrad der der Beurteilung der Identität zugrunde
gelegten morphologischen Merkmale im Urteil nunmehr nur noch dann für geboten,
wenn der Sachverständige eine Wahrscheinlichkeitsberechnung angestellt und
daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens abgeleitet hatte, da es nur in
diesem Fall der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen
bedarf, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung
nachvollziehen zu können.
Literatur: Niemitz DAR 2011, 768; Schott NZV 2011, 169; vgl. aber auch: DiezelStRR 2007, 335.
III. Straßenverkehrsgesetz
1. StVG § 21 Fahren ohne Fahrerlaubnis
Auch in diesem Berichtzeitraum wurden wieder zahlreiche gerichtliche Entscheidungen veröffentlicht, die den „Führerscheintourismus“ zum Gegenstand hatten (vgl. zu dieser Thematik
bereits Himmelreich/Halm NStZ 2010, 492 und 2011, 445). Brandaktuell hat derEuGH (Urt. v. 26.4.2012 – C-419/10, noch unveröff.) zu der wichtigen verwaltungsgerichtlichen Streitfrage
Stellung genommen, inwieweit eine im EU-Ausland ab dem 19.1.2009 ausgestellte Fahrerlaubnis gültig ist, wenn dem Betr. früher in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen worden war (vgl. zu dem
entsprechenden Vorabentscheidungsersuchen des Bayerischen VGH und den divergierenden Entscheidungen der einzelnen Oberverwaltungsgerichte bzw. Verfassungsgerichtshöfe der Länder die Übersicht
bei Himmelreich/Halm NStZ 2011, 445 und den Beitrag von Scheidler NZV 2012, 66). Die Kammer hat nun klargestellt, dass die Voraussetzungen, unter denen nach der 2.
Führerscheinrichtlinie die Anerkennung einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis versagt werden kann (vgl. hierzu Winkler, in: Himmelreich/Halm Hdb. des Fachanwalts VerkehrsR, 4.
Aufl., 2012, Kap. 33, Rn. 233 f.), auch anzuwenden sind, wenn von einem anderem Mitgliedstaat eine Fahrerlaubnis unter Geltung der 3. Führerscheinrichtlinie ausgestellt wurde und hat dadurch
letztlich die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 22.9.2011 – 2 BvR 947/11, SVR 2011, 468, m. nm. Koehl = zfs 2012, 52 = DAR 2012, 14 = BA 49 [2012] 30) zu dieser
Frage, die aufgrund des schwebenden Vorlageverfahrens für die Praxis noch geringe Bedeutung hatte, bestätigt. Damit dürfte sich letztlich trotz der neuen Richtlinie bei der Beurteilung des
"Führerscheintourismus"
nichts ändern. Gleichwohl bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Fachgerichte mit
dieser europarechtlichen Entscheidung umgehen werden.
Eine Auseinandersetzung mit den weiteren neueren Entscheidungen des EuGH (vgl. etwa Urt. v. 19.5.2011 – C-184/10, NZV 2012, 49 = DAR 2011, 385 m. Anm. Geiger = zfs 2011,
413; Urt. v.
13.10.2011 – C – 224/10, DAR 2011, 629 = BA 49 [2012], 27; Beschl. v. 22.11.2011 – RC-590/10, zfs 2012, 173) und des BVerwG (Urt. v. 25.8.2011 – 3 C 25/10, NZV 2012, 51 = zfs
2011, 710 = DAR 2012, 98 = BA 49 [2012], 53 = VRS 121 [2011], 57; Urt. v. 25.8.2011 – 3 C 28/10, BA 49 [2012], 58 = DAR 2012, 102) zu Fragen der Inlandsgültigkeit einer
EU-Fahrerlaubnis im Bundesgebiet, deren zugrunde liegende Sachverhalte noch nach der 2. Führerscheinrichtlinie zu beurteilen waren, würde den Rahmen dieses Rechtssprechungsüberblicks
sprengen, kann allerdings der Anm. von Geiger DAR 2011, 386 und dessem Beitrag in DAR 2012, 121 entnommen werden.
Nicht vorenthalten sollen an dieser Stelle jedoch bemerkenswerte Entsch. der (Ober-)Gerichte zu diesem Themengebiet werden. Nach einer Entsch. des OLG Koblenz (Urt.
v. 7.2.2011 – 2 Ss 222/10, NZV 2011, 359) soll es sich dann, wenn das Fahren mit einer ausländischen Fahrerlaubnis auf der irrtümlichen Annahme beruht, im Besitz einer gültigen
Fahrerlaubnis zu sein, um eine bloße Tatsachenunkenntnis und keine Regelunkenntnis handeln, so dass ein Verbotsirrtum gem. § 17
StGB ausscheidet. Das OLG Hamburg (Urt. v. 29.9.2011 – 3 – 44/11, DAR 2011, 647 = NZV 2012, 100 = BA 49 [2012], 39 = VRS 122 [2012], 46) hat kürzlich entschieden, dass auch
dann, wenn ein Betr. dem Entzug der Fahrerlaubnis zuvorkommt, indem er auf seine Fahrerlaubnis verzichtet, eine später erworbene ausländische Fahrerlaubnis nicht anerkannt wird. Ist
eine ausländische Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wegen mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen worden, setzt die Wiedererteilung des Rechts,
von der
Erlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nach Einschätzung des OLG Hamm (Beschl. v. 26.07.2011 – III-5 RVs 32/11, BA 49 [2012], 36) im Übrigen den Nachweis wiedergewonnener
Fahreignung voraus, welcher nicht allein im Wege des Umtausches einer im Inland nicht anerkannten Fahrerlaubnis erbracht werden können soll.
2. StVG § 24 a Führen eines Kfz unter Einwirkung von
a) Alkohol
Das OLG Bamberg (Urt. v. 22.3.2011 – 3 Ss 14/11, DAR 2011, 268 = NZV 2012, 97 = zfs 2011, 350) hat im Anschluss an BVerfG (Beschl. v. 24.2.2011 – 2 BvR 1596/10 = zfs
2011, 287) und OLG Naumburg (Beschl. v. 7.2.2011 – 1 Ss 38/10, VRR 2011, 194) noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die rechtliche Frage nach der Existenz eines
Beweisverwertungsverbots sich
erst dann und nur dann stellt, wenn eine originäre polizeiliche Anordnungszuständigkeit nach § 81 a Abs. 2 StPO entweder schon wegen eines Fehlens der materiellen Eingriffsvoraussetzungen
des § 81 a Abs. 1 StPO oder wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen des § 81 a Abs. 2 StPO nicht bestanden hat und sich die Maßnahmenanordnung der Blutentnahme – wegen des Verstoßes
gegen die Beweiserhebungsvorschrift des § 81 a StPO aufgrund der unberechtigten Annahme von Gefahr im Verzug und damit einer tatsächlich nicht gegebenen
polizeilichen Eilanordnungskompetenz − zusätzlich insbesondere als subjektiv oder objektiv willkürlich oder als gezielte Umgehung oder
Ignorierung des Richtervorbehalts oder als ein gleichgewichtiger sonstiger besonders schwerwiegender Fehler darstellt. Wann von einer gezielten Umgehung oder einem vergleichbaren
erheblichen Fehler gesprochen werden kann, wird von den Gerichten jedoch nach wie vor uneinheitlich beurteilt (vgl. dazu den Überblick bei Himmelreich/Halm NStZ
2011, 446, m. w. Nw., und bei Winkler, in: Himmelreich/Halm a.a.O., Kap. 33, Rn.
45 f, g, sowie zu verteidigungsrelevanten Aspekten rund um den Richtervorbehalt aus § 81 a Abs. 2 StPO bei Drogen- und Trunkenheitsfahrten den Beitrag von Vergho SVR 2011,
201).
Erfolgt eine Blutentnahme ohne richterliche Anordnung, soll diese etwa nach einer Entsch. des OLG München (Beschl. v. 21.2.2011 – 4 StRR 18/11, zfs 2012, 45 = DAR 2012, 89)
dann
rechtswidrig sein, wenn die wegen einer Trunkenheitsfahrt ermittelnden Polizeibeamten über einen Zeitraum von 60 Minuten hinweg keinerlei Maßnahmen ergriffen haben, den richterlichen
Eildienst zu erreichen. Demgegenüber legt das OLG Köln (Beschl. v. 21.12.2010 – 1 RVs 220/10, NZV 2011, 514)
augenscheinlich andere Maßstäbe bei der Beurteilung an; so soll es nach Einschätzung dieses Gerichts kein Verwertungsverbot begründen, wenn der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte
nicht zuvor versucht hat, den zuständigen (Eildienst-) Staatsanwalt zu erreichen. Ein schwerwiegender Verfahrensfehler, der der Verwertung der Blutprobe entgegensteht, soll aber dann
vorliegen, wenn der die Anordnung zu einer Blutentnahme treffende Polizeibeamte im Hinblick auf
eine allgemeine Dienstanweisung keine eigene Bewertung der Frage, ob ggf. die Anordnung der Blutentnahme dem Richter vorbehalten ist, vorgenommen hat, sondern mit Rücksicht auf das
generelle Vorgehen bei Alkohol- und Drogendelikten die Blutprobe angeordnet hatte (so: OLG Köln, Beschl. v. 26.8.2011 – III-1 RBs 201/11, BA 49 [2012], 42 = BeckRS 2011, 22019 =
ADAJUR Dok.Nr. 94746). Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Entsch. des LG Düsseldorf (Urt. v. 10.2.2011 – 29 Ns 19/11, NZV 2011, 458), ausweislich dessen
eine ursprünglich rechtmäßig getroffene Anordnung nicht dadurch nachträglich rechtswidrig werden
soll, dass beim Eintreffen des Arztes der richterliche Eildienst begonnen hat oder sein Beginn nahe ist. Dass diese Thematik der zulässigen Blutprobenverwertung die Gerichte immer noch
nicht "losgelassen" hat, zeigt auch der Umstand, dass das AG Michelstadt sich in einer neueren Entsch.
(Urt. v. 22.11.2011 – 2 OWi 1400 Js 22301/11, NZV 2012, 97) gegen die Einschätzung des AG Frankfurt (NZV 2010, 266) gestellt hat, wonach ein Beweisverwertungsverbot
angenommen werden kann, wenn der Betr. vor der Messung nicht darüber belehrt worden war, dass die Teilnahme an dieser Messung freiwillig und nicht erzwingbar ist. Denn die Teilnahme an der
Messung
der Atemalkoholkonzentration sei – so die Ausführungen des AG Michelstadt – für den Betr. weniger eingriffsintensiv, als die Abnahme einer Blutprobe, welche bei Ablehnung der Messung
zwingend angeordnet werden müsste. Eine wirksame Einwilligung erfordert nach Einschätzung des OLG Jena (Beschl. v. 5.10.2011 – 1 Ss 82/11, BA 49 [2012], 44) im Übrigen,
dass der Betr. – auch ohne geschäftsfähig zu sein – Sinn und Tragweite der Einwilligung erfasst, also ihm der mit der Blutentnahme verbundene körperliche Eingriff und dessen Risiken bewusst
sind.
Trotz der teilweise divergierenden Rechtsprechung zu der Frage, wann Verstöße ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen, besteht zumindest weitestgehend Einigkeit darüber, dass es für
die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes nach § 81 a Abs. 2 StPO erforderlich ist, spätestens bis zum im § 257 Abs. 2 StPO genannten Zeitpunkt in der ersten Tatsacheninstanz
gegen die Verwertung Widerspruch zu erheben und in der Begründung der Verfahrensrüge die maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen. Darauf soll auch nicht verzichtet werden können, wenn in der
ersten Instanz ein Freispruch erfolgte, selbst wenn sich dieser Freispruch auf ein Beweisverwertungsverbot stützt (OLG Koblenz, Beschl. v. 1.9.2010 – 2 Ss 148/10, NZV 2011, 513; vgl.
hierzu auch OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2010 – 3 RVs 85/10, NZV 2011, 210, und Beschl. v. 24.8.2010 – 3 RBs 223/10, NZV 2011, 212).
b) Cannabis
Der Vorwurf schuldhafter Tatbegehung i.S.v. § 24 a Abs. 2 StVG muss sich nach einer Entsch. des OLG Stuttgart (Beschl. v. 10.2.2011 – 1 Ss 616/10, DAR 2011, 218) auf
die Wirkungen des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt beziehen. Für eine fahrlässige Begehungsweise soll dem Betr. nach den Ausführungen des Senats nachgewiesen werden muss, dass er die
fortdauernde Wirkung des berauschenden Mittels entweder erkannt hat oder hätte erkennen müssen, wobei das Bewusstsein einer möglicherweise fortdauernden Rauschwirkung genügen soll (vgl.
zum Fahrlässigkeitsvorwurf bei Fahrten unter Drogeneinfluss auch Himmelreich/Halm NStZ 2011, 440, m. w.
Nw., und Dronkovic, in Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 31 ff., sowie Häcker zfs 2011, 243 undHentschel/König/Dauer StraßenverkehrsR, 41. Aufl. 2011, § 24 a
StVG Rn. 25, m. w. Nw.; vgl. allgemein zur strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Einordnung von Drogenfahrten Haase/Sachs NZV 2011, 584). An der Erkennbarkeit
der Rauschmittelwirkung kann es
fehlen, wenn zwischen Drogenkonsum und Fahrtantritt längere Zeit vergeht. Insbesondere bei nur unerheblicher Überschreitung des Grenzwertes bedarf es daher näherer Ausführungen des
Tatrichters dazu, aufgrund welcher Umstände sich der Fahrzeugführer dennoch Auswirkungen des Konsums hätte bewusst machen müssen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.9.2010 – 3 (7) SsBs
541/10 – AK 189/10, NZV 2011, 413 = VA 2011, 118).
3. StVG § 24 c Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen
Von einer "Wirkung" i.S.d. Vorschrift ist nach einer Entscheidung des AG Langenfeld/Rhld. (Urt. v. 4.4.2011 – 20 OWi 30 Js 1563/11 (42/11), zfs 2011, 472 = VA 2011, 141) erst
bei einer BAK von
0,2 ‰ auszugehen. Sie geht daher mit den Ausführungen des Gesetzgebers konform,
der diese Grenze für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 24 c StVG ausweislich der Gesetzesbegründung gewählt hatte, um Messwertunsicherheiten und endogenen Alkohol auszuschließen.
Gleichwohl kann eine "Wirkung" theoretisch auch bei einer BAK unterhalb
dieser Werte in Betracht kommen, falls der Betr. alkoholbedingte Leistungsausfälle aufweisen sollte (vgl. hierzu Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 24 c StVG, Rn. 2, 11, m. w. Nw.).
4. StVG § 25 Fahrverbot
Die altbekannte obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. etwa OLG Schleswig, DAR
2002, 326), dass von einem Fahrverbot aufgrund entfallender Erziehungsfunktion
abgesehen werden kann, wenn ein Zeitraum von mehr als 2 Jahren seit der Tat
vergangen war, wurde aktuell noch einmal durch das OLG Oldenburg (Beschl. v. 3.8.2011 – 2 SsBs 172/11, NZV 2011, 564 = VRS 121 [2011], 340) bestätigt und im Übrigen
auch
dahingehend präzisiert, dass für die Beurteilung des Zeitraums die Zeit zwischen
Tatbegehung und letzter tatrichterlicher Entscheidung maßgeblich ist (– a.A.
aber OLG Köln, NZV 2004, 422, wonach das Wirksamwerden der Anordnung für die Bemessung des 2-Jahres-Zeitraums entscheidend sein soll).
Noch einen Schritt weiter geht in diesem Zusammenhang das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 25.08.2011 – 1 Ss Bs 24/11, SVR 01/2012, III = DAR 2011, 649, m. Anm. Krumm) in
einer neueren Entscheidung, ausweislich dessen ein Fahrverbot bereits bei einem Zeitraum von einem Jahr und neun Monaten zwischen Tat und Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht
mehr geeignet sein soll, seine Denkzettel- und Warnfunktion zu erfüllen. Ist diese Funktion des Fahrverbots aufgrund Zeitablaufs entfallen, hat auch eine Erhöhung der Geldbuße mit
Rücksicht auf den Wegfall des Fahrverbots zur Erreichung dieses spezialpräventiven Zwecks zu unterbleiben (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.8.2010 – 1 (8) SsRs 382/09 – AK 100/09, zfs
2011, 231 = NZV 2012, 95). Falls zwischen der Tat und deren Ahndung noch kein derart erheblicher Zeitraum verstrichen ist, kann nach einer beachtenswerten, da entgegen der bislang
überwiegenden Rechtsprechung ergangenen Entsch. d. OLG Hamm (Beschl. v. 24.3.2011 – III-3 RBs 70/10, DAR 2011, 409, m. Anm. Fromm; – a. A. OLG Bamberg, NZV 2009,
201 und OLG Düsseldorf NZV 2008, 534) zumindest aber
noch eine Verkürzung des Fahrverbots in Betracht kommen, wenn im Anschluss an die tatrichterliche Entscheidung eine erhebliche Verfahrensverzögerung (hier: Unzulänglichkeiten bei der
Rücksendung der Akte an das OLG für einen Zeitraum von 8 Monaten) eintritt. Derartige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen können nach Einschätzung des Senats nämlich dazu führen,
dass in entsprechender Anwendung der für das Strafverfahren entwickelten Vollstreckungslösung das
angeordnete Fahrverbot (teilweise) als vollstreckt gilt (vgl. hierzu auch BGH NJW 2008, 860). Ansonsten bleibt es aber dabei, dass es grundsätzlich kein „Minifahrverbot“ gibt, bei der
Verhängung eines Fahrverbots das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat nicht unterschritten werden darf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.12.2010 – IV-3 RBs 210/10, VA 2011, 48). – Zum
„Zeitablauf“ vgl.
auch oben unter II 1.
Die Verhängung eines Fahrverbotes kann nach wie vor ausnahmsweise unterbleiben, wenn der Betr. eine außergewöhnliche Härte geltend macht (vgl. allgemein hierzu Dronkovic, in:
Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 118 ff., sowie Krumm DAR 2011, 379 und die Rechtsprechungsübersicht
von Deutscher NZV 2011, 273 bzw. NZV 2012, 105). Nicht ausreichend ist es für ein Absehen vom Fahrverbot bei einem Abstandsverstoß, wenn der die Fahrverbotsanordnung indizierende
untere Tabellengrenzwert nur knapp unterschritten wurde (OLG Bamberg, Beschl. v. 28.12.2011 – 3 Ss 1616/11, DAR 2012, 152, im Anschluss an OLG Köln, Beschl. v. 22.05.2003 –
SS 194/03 B, VRS Bd. 105, 2003, 296). Auch berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbots rechtfertigen nicht grundsätzlich das Absehen von der
Verhängung eines Fahrverbots. Nur wenn besondere Härten hinzukommen – wie der drohende Verlust des Arbeitsplatzes
oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage – kann eine entsprechende Entscheidung
ergehen, die allerdings eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 28.12.2011 – III-3 RBs 337/11, bei: Burhoff online u. JURION, sonst:
unveröff.). Von der Verhängung eines Fahrverbotes kann nach Einschätzung des AG Wuppertal (Urt.
v. 8.4.2011 - 26 OWi 623 Js 1901/10 – 267/10, NZV 2011, 514 = zfs 2011, 709) etwa dann abgesehen werden, wenn der arbeitslose Betr. durch ein Fahrverbot nicht mehr in der Lage wäre, seine
begonnene Existenzgründung voranzutreiben und seine Familie alleine durch das Arbeitslosengeld nicht unterhalten könnte.
Gleiches kann gelten, wenn es sich bei der Betr. um eine Tierärztin mit einer sog. Fahrpraxis (für Pferde) handelt und diese für die Dauer des Fahrverbots ihren Beruf nicht mehr
ausüben könnte (so: AG Walsrode, Urt. v. 23.11.2010 – 5 OWi 345 Js 30073/10 (461/10), DAR 2011, 223). Will das Gericht eine Aufhebung des Fahrverbots mit einer drohenden Kündigung
des Betr. begründen, darf es sich allerdings nicht darauf beschränken, die Einlassung des Betroffenen unkritisch zu übernehmen, sondern muss die Gefährdung des Arbeitsplatzes positiv
feststellen. Drängt sich in diesem Zusammenhang etwa der Verdacht einer Gefälligkeitsbescheinigung des Arbeitgebers auf, kann eine Zeugenvernehmung des Arbeitgebers erforderlich sein
(OLG Bamberg, Beschl. v. 10.03.2011 – 2 Ss OWi 1889/2010, DAR 2011, 401; vgl. dazu auch OLG Bamberg, Beschl. v. 26.1 2011 – 3 Ss OWi 2/2011, DAR 2011, 404, m.
Anm. Heinrich). Kommt zu dem Umstand, dass der Betr. sein Fahrzeug zur Ausübung seiner Tätigkeit benötigt, noch hinzu, dass er sein chronisch erkranktes Kind regelmäßig zur
Physiotherapie fahren muss, so soll nach einem Urteil des AG Borna (v. 28.9.2011 – 6 OWi 151 Js 30642/11, NZV 2012, 99) die Verhängung eines Fahrverbotes jedenfalls
nicht
unbedingt als notwendig erscheinen. Überflüssig sind derartige Erwägungen zu dem Vorliegen eines Ausnahmefalls nach einer Entsch. des AG Leipzig (Beschl. v. 20.10.2010 – 211 OWi 502 Js
40543/10, NZV 2011, 412) bei einer Pflichtverletzung eines Straßenbahnfahrers, da gegen diesen bereits schon
deshalb kein Fahrverbot verhängt werden könnte, da alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbotes § 25 StVG sei und dieser nicht für Straßenbahnführer
gelte.
Will der Tatrichter auf ein Regelfahrverbot erkennen, muss er sich der Möglichkeit, von der Verhängung des Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße gegebenenfalls
absehen zu können, bewusst gewesen sein und dies in den Entscheidungsgründen grundsätzlich erkennen lassen (OLG Schleswig, Beschl. v. 21.12.2010 – 2 Ss OWi 191/10, NZV 2011,
410). Soll ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen Existenzgefährdung mit der Begründung ablehnt werden, der als Alleinunternehmer tätige Betr. könnte während der Dauer des
dreimonatigen Fahrverbots einen Fahrer einstellen, bedarf es in den Urteilsgründen einer eingehenden Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betr.
(so: OLG Jena, Beschl. v. 30.9.2010 – 1 Ss Bs 41/10 (239), DAR 2011, 474 = zfs 2011, 473). In den Urteilsgründen bedarf es nach einer Entsch. des OLG Hamm (Beschl.
v. 1.7.2011 – III – 1 RBs 99/11, NZV 2011, 455 = zfs 2011, 650) allerdings dann keiner ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der Verneinung eines Absehens vom Fahrverbot, wenn es sich
bei der Tat um einen besonders schweren Verstoß handelt.
Nach Einschätzung des OLG Bamberg (Beschl. v. 29.11.2010 – 3 Ss OWi 1756/10, NZV 2011,
208) kann auch das Rechtsbeschwerdegericht selbst auf ein Regelfahrverbot erkennen, auch wenn das Ausgangsgericht zu der Erkenntnis gelangt war, diese Nebenfolge nicht anzuordnen.
Wenngleich diese Möglichkeit des Rechtsbeschwerdegerichts in § 79 Abs. 6 OWiG eine Stütze gefunden hat, ist eine solche "Durchentscheidung" zum Nachteil des Betr. doch eher selten, wurde
zuletzt aber etwa schon einmal vom OLG Frankfurt (SVR 2010, 227) getroffen.
IV. Straßenverkehrsordnung
1. StVO § 3 Geschwindigkeitsüberschreitung
Nachdem das BVerfG mit seiner Entsch. vom 5.7.2010 (2 BvR 759/10, NZV 2010, 582 = SVR 2010, .433) klargestellt hatte, dass § 100 h Abs. 1, 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1
OWiG eine hinreichende Rechtsgrundlage für die verdachtsabhängige fotografische Erfassung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen im Straßenverkehr ist, erscheint es bemerkenswert,
dass das AG Herford (Urt. v. 8.11.2010 – 11 OWi-64 Js 1897/10-711/10, zfs 2011, 528, m. Anm. Bode) im Nachgang dazu
ausdrücklich herausgestellt hatte, dass es für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten,
die auf Bildaufnahmen gestützt werden, keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage sieht, da sich in der Norm des § 100 h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO keinerlei verbindliche Vorschriften finden
würde, aus denen hervorgeht, auf welche Art und Weise im Einzelnen eine Bildaufnahme durchgeführt wird und aus welchem Zweck es zu Bildaufnahmen kommt; da sich die meisten Obergerichte
jedoch bereits vor der oben erwähnten Entscheidung des BVerfG auf diese Rechtsgrundlage gestützt hatten (vgl. Himmelreich/Halm NStZ 2011, 448, m. w. Nw., –
insbesondere zu den einzelnen Messanlagen – und zusätzlich OLG Dresden, Beschl. v. 30.3.2010 – Ss Bs 152/10, DAR 2011, 216), steht nicht zu erwarten, dass sich diese Rechtsauffassung
des AG durchsetzen wird, so dass die gebräuchlichen Messsysteme nach wie vor und zukünftig den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen dürften. Unabhängig
davon hat das BVerfG (Beschl. v. 20.5.2011 – 2 BvR 2072/10, DAR 2011, 457) kürzlich auch klargestellt, dass sich aus dem Beschluss der 2. Kammer des 2. Sen. vom 11.8.2009
(DAR 2009, 577) nicht zwingend die Unverwertbarkeit der ohne Ermächtigungsgrundlage angefertigten Videoaufnahmen ergibt; vielmehr sei, so die Kammer, seinerzeit ausdrücklich
festgestellt worden, dass – ob aus dem Fehlen einer gesetzlichen Befugnis für die Videoaufzeichnung ein Beweisverwertungsverbot folge – das zuständige Fachgericht zu
prüfen habe, so dass kein zwingendes Beweisverwertungsverbot bei rechtsfehlerhafter Videoaufzeichnung angenommen werden muss.
Von einer vorsätzlichen Tatbegehung kann laut einer Entsch. d. OLG Braunschweig (Beschl. v. 7.2.2011 – Ss (OWiZ) 225/10, DAR 2011, 406) nicht ausgegangen werden, wenn die
gefahrene Geschwindigkeit die zugelassene Geschwindigkeit nicht um mindestens 40 % übersteigt und weitere Tatsachen, aus denen Vorsatz geschlossen werden kann, nicht feststellbar sind. Nach
Einschätzung des OLG Zweibrücken (Beschl. v. 14.1.2011 – 1 SsBs 37/10, DAR 2011, 274) kann noch nicht einmal bei einer Überschreitung der vorgegebenen
Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h zwingend von einer vorsätzlichen Begehungsweise ausgegangen werden.
Demgegenüber vermutete das OLG Celle in einer neueren Entsch. (Beschl. v. 9.8.2011 – 322 SsBs 245/11, NZV 2011, 618) bei erheblicher
Geschwindigkeitsüberschreitung (hier um mehr als 45 %) ein vorsätzliches Handeln des Betr., auch wenn er eine größere Limousine gesteuert hatte, da der abweichende Fahreindruck auch von
dem Umwelteindruck bestimmt werde, welcher sich bei höherer Geschwindigkeit maßgeblich verändern würde. Nach einer äußerst bemerkenswerten Entscheidung
des OLG Oldenburg (Beschl. v. 16.9.2011 – 2 SsRs 214/11, SVR 2012, 32 = DAR 2012, 37 = VRS 122 [2012], 41) kann sich auch derjenige, der vor dem Erreichen eines
Parkplatzes ein die Höchstgeschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen passiert, nach dem Verlassen des Parkplatzes und Weiterfahrt in die ursprüngliche Richtung nicht damit entlasten, dass
sich nicht unmittelbar nach der Ausfahrt des Parkplatzes erneut ein entsprechendes Verkehrszeichen befunden und er die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung mittlerweile vergessen
hatte (vgl. zu Rechtfertigungsgründen bei Verkehrsstraftaten und Verkehrsordnungswidrigkeiten Blum NZV 2011, 378).
Eine Geschwindigkeitsmessung soll bei nicht aufklärbarer Überschreitung der Höchsthöhe des Auswerterahmens um 11 cm unzulässig sein (AG Karlsruhe, Urt. v. 12.7.2011 – 7 OWi 460 Js
14650/11, DAR 2011, 651). Nicht per se zur Unzulässigkeit der Messung führt aber ein Reifenwechsel beim Messfahrzeug ohne anschließende Neueichung; nach Auffassung
des OLG Hamm (Beschl.
v. 7.6.2011 – III – 1 RBs 75/11, DAR 2011, 538 = zfs 2011, 591 = VA 2011, 156; vgl. zu diesem Problemkreis auch OLG Celle, NZV 1997, 188) muss bei einem Wechsel von Sommer- auf
Winterreifen nämlich keine Neueichung des Messgeräts „ProViDa 2000“ vorgenommen werden, wenn es sich um Reifen der gleichen Dimension handelt. Die Einschaltung Privater zur
Geschwindigkeitsmessung soll nur dann zulässig sein, wenn dem privaten Mitarbeiter die erforderlichen technischen Kenntnisse geläufig sind und sich der Gemeindevollzugsbeamte in
unmittelbarer Nähe aufhält sowie seinerseits die Aufsicht über den privaten Mitarbeiter führen kann; allerdings muss der Gemeindevollzugsbeamte mit der Rechtslage und der Bedienung des
Messgerätes vertraut sein (AG Karlsuhe, Urt. v. 22.11.2010 – 15 OWi 351 Js 46163/09, DAR 2011, 337 = DAR 2011, 221, m. Anm. Grunert). Das OLG Stuttgart (Beschl. v.
4.7.2011 – 4 Ss 261/11, DAR 2011, 599 = NZV 2012, 96 = VRS 121 [2011], 149) hat mittlerweile seine Rechtsprechung
aufgegeben, wonach in Baden-Württemberg einer Messung kurz vor dem Ende einer
Geschwindigkeitsbegrenzung eine Verwaltungsvorschrift entgegensteht. Was in anderen
Bundesländern, die teils ähnliche Regelungen haben, gilt, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt (vgl. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.7.2011 – 311 SsRs 114/11, DAR 2011,
597, m. Anm. Deutscher = VRS 121 [2011], 342).
Werden Geschwindigkeitsmessungen mittels standardisierten Messverfahren (vgl. zum Begriff und zur Bedeutung von standardisierten Messverfahren Krumm DAR-Extra 2011, 738)
durchgeführt, entbindet dies den Tatrichter nicht von einer ausführlichen Urteilsbegründung. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Tendenz in der Rechtsprechung, die notwendigen
Feststellungen im Bußgeldurteil bei standardisierten Messverfahren näher zu präzisieren und zu verfeinern (vgl.
hierzu auch Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 3 StVO, Rn. 56 b, m. w. Nw.) hat das OLG Jena (Beschl. v. 22.8.2011 – 1 Ss Rs 68/11, SVR 2012, 68, m.
Anm. Krenberger = VA 2011, 207; ähnlich auch OLG Celle, Beschl. v. 10.6.2010 – 322 SsBs 161/10, NZV 2011, 411) etwa entschieden, dass im Falle einer Verurteilung
wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit
Hilfe der Videoverkehrsüberwachungsanlage "ProViDa 2000" festgestellt worden ist, sich dem tatrichterlichen Urteil entnehmen lassen muss, in welcher Weise diese Messmethode zum Einsatz
gekommen war (etwa erfolgte Messung aus stehendem, fahrenden bzw. nachfahrenden Fahrzeug). Das OLG Bamberg (Beschl. v. 1.9.2011 – 2 Ss OWi 1063/2011, DAR 2011, 596) hält bei der
Geschwindigkeits- und Abstandsmessung mit dem Video-Abstands-Messverfahren "VAMA" für erforderlich, dass der Tatrichter zur Überprüfung der vorgenommenen Berechnung der Geschwindigkeit und
des Abstands im Urteil zumindest die ermittelten Zeitwerte mitzuteilen hat, da die Feststellungen zur Geschwindigkeit des überwachten Fahrzeuges und zu dessen Abstand zum
vorausfahrenden Fahrzeug nicht auf einem standardisierten Messverfahren beruhen.
Nach Einschätzung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 25.2.2011 – 1 RBs 12/11 5 Ss-OWi 230/10, VA 2011, 87) ist es auch bei einem standardisierten Messverfahren
erforderlich, dass das Messverfahren und – abhängig vom Messverfahren – auch der berücksichtigte Toleranzwert im Urteil mitgeteilt
wird. Zu den in den Urteilsgründen niederzulegenden Mindestangaben zählt laut einer Entsch. d. OLG Bamberg (Beschl. v. 25.10.2011 – 3 Ss 1194/11, DAR 2012, 154) beim Einsatz des
"ProVida"-Systems zur Geschwindigkeitsmessung grundsätzlich auch die Mitteilung, welche der nach diesem System mögliche Betriebsart bzw. Messmethode konkret angewandt und welcher
Toleranzwert demgemäß zugrunde gelegt wurde.
Stützt das Gericht seine Überzeugung bei einer Verurteilung auf ein Lichtbild und war dieses nicht Gegenstand der Hauptverhandlung, konnte sich der Betr. gegenüber dem erkennenden Gericht
also nicht abschließend äußern, dann verstößt das Verfahren gegen § 261 StPO und gegen Art. 103 GG (OLGZweibrücken, Beschl. v. 4.1.2012 – 1 Ss Rs 48/11, zfs 2012, 170).
Dem Verteidiger des Betr. ist nach Ansicht des AG Gelnhausen (Beschl. v. 14.9.2010 –
44 OWi – 2945 Js 13 251/10, NZV 2011, 362 = DAR 2011, 421) im Rahmen des
Bußgeldverfahrens ein Recht auf Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung eines
Geschwindigkeitsmessgerätes nur in den Räumen der Verwaltungsbehörde zu gewähren. Der Fertigung von Kopien stünden urheberrechtliche Bestimmungen zum Schutz dieser Aufzeichnungen entgegen.
Im Gegensatz dazu gehen das AG Ellwangen (Beschl. v. 25.10.2010 – 5 OWi 146/10, NZV 2011, 363, und Beschl. v. 14.12.2009 – 1 Qs 166/09 = DAR 2011, 418, m. Anm. Bölck) und
das LG
Lübeck (Beschl. v. 25.7.2011 – 760 Js OWi 6991/11, DAR 2011, 713) nicht davon aus, dass der Verteidiger auf eine Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung in den Räumen der
Polizeidienststelle verwiesen werden kann (vgl. hierzu ebenso die Rechtssprechungsübersicht zum Umfang der Akteneinsicht von Bock DAR 2011, 606). Auch
das AG Lüdinghausen (Beschl. v. 9.2.2012 – 19 OWi
19/12 [b], DAR 2012, 156, m. Anm. Goecke) lässt urheberrechtliche Bedenken im OWi-Verfahren zurückstehen und gewährt Akteneinsicht im Wege der Übersendung einer Kopie der
Bedienungsanleitung zumindest dann, wenn dem Verteidiger wegen der weiten Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Ort der Aufbewahrung der Akten eine Reise an den Aufbewahrungsort
nicht zugemutet werden kann, was jedenfalls bei einer Entfernung von 70 km und einer Fahrtzeit
von einer Stunde der Fall sein soll.
Zum Umfang des Akteneinsichtsrechts zählt nach Einschätzung des AG Heidelberg (Beschl. v. 5.1.2012 – 3 OWi 731/11, zfs 2012, 172) die Akte, die dem Gericht gem. § 199 Abs. 2
StPO
vorzulegen ist. Dazu gehören, wenn der Betr. Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung äußert, die Bedienungsanleitung und mangels Existenz einer offiziellen Lebensakte im engeren Sinn
auch eine Mitteilung über Reparaturen, zusätzliche Wartungen oder eine vorgezogene Neueichung an dem verfahrensgegenständlichen Messgerät in dem verfahrensgegenständlichen
Eichzeitraum.
2. StVO § 4 Abstandsmessung
Eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Nichteinhaltung des Mindestabstandes setzt eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen voraus und kann in der Regel
nicht allein mit dem Ausmaß der Abstandsunterschreitung begründet werden. Ab einer gewissen Gefährdungsgrenze wird aber zumindest ein bedingt vorsätzliches Verhalten nahe liegen
(OLG Bamberg, Beschl. v. 20.10.2010 – 3 Ss OWi 1704/10, VA 2011, 49; vgl. zum OWi-Tatbestand
der Abstandsunterschreitung auch Dronkovic, in: Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 9 ff.).
V. Ordnungswidrigkeitengesetz
1. OWiG § 33 Unterbrechung der Verfolgungsverjährung
Das OLG Bamberg betont in seinem Beschl. v. 14.1.2011 (3 Ss OWi 2062/10, DAR 2012, 33 = VA
2012, 11), dass die Verfolgungsverjährung durch die gerichtliche Anordnung der Übersendung eines (anthropologischen) Sachverständigengutachtens zur Klärung der Fahrereigenschaft des Betr.
an den Verteidiger zur Stellungnahme unterbrochen wird (vgl. allgemein zur Verjährungs- unterbrechung Dronkovic, in: Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 189 ff.).
2. OWiG § 71 Hauptverhandlung
Es bedarf grundsätzlich keines richterlichen Hinweises in der Hauptverhandlung, wenn das Gericht die im Bußgeldbescheid festgesetzte Regelgeldbuße erheblich erhöhen will (hier: Verdopplung
des Regelsatzes), es sei denn, es wurde im Einzelfall gegenüber dem Betr. ein Vertrauenstatbestand geschaffen (OLG Bamberg, Beschl. v. 11.10.2010 – 3 Ss OWi 1380/10, DAR 2011, 214
=
zfs 2011, 410).
3. OWiG § 73 Befreiung von der Erscheinungspflicht
Hat der Betr. seine Fahreigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung in
der Regel entbehrlich (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.8.2010 – 1 (8) SsRs 366/09AK 92/09, zfs 2011, 411). Die Anwesenheit eines Betr. in der Hauptverhandlung kann jedenfalls nicht
allein mit dem Ziel erzwungen werden, diesen in der Hauptverhandlung schulmeisterhaft zu belehren (OLG Frankfurt a.M., Beschl. 27.7.2011 – 2 Ss OWi 375/11, NZV 2011, 561 = VA
2011, 195). Ebenso wenig genügt die theoretische Möglichkeit, der Betr. werde seinen Entschluss zum Schweigen in der Hauptverhandlung überdenken, um ihm die Befreiung von
der Hauptverhandlung zu verweigern (KG Berlin, Beschl. v. 10.3.2011 – 3 Ws (B) 78/11, NZV 2011, 620 = DAR 2012, 31).
Das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 4.8.2011 – 1 SsBs 26/10, zfs 2011, 708) lässt es zur Stellung des Antrags, den Betr. von der Verpflichtung zum Erscheinen in der
Hauptverhandlung zu entbinden, genügen, wenn dieser erst in der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache gestellt wird –
sofern der zur Hauptverhandlung erschienene Verteidiger über die schriftliche Vertretungsmacht i.S.v. § 73 Abs. 3 OWiG verfügt.
4. § 74 OWiG Verfahren bei Abwesenheit
Liegen die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG vor, muss der Richter den Einspruch des Betr. ohne Verhandlung zur Sache Urteil verwerfen. Es besteht daher keine richterliche Befugnis, eine Sachentscheidung zu treffen bzw. von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen (OLG Hamm, Beschl. v. 22.8.2011 – III-1 RBs 139/11, zfs 2012, 51 = VRS 121 [2011], 335). Übersieht das AG, dass es den Betr. vom persönlichen Erscheinen entbunden hatte und verwirft es den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG, ist der Betr. in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 GG verletzt (OLG Hamm, Beschl. v. 25.2.2011 – III-2 RBs 146/10, zfs 2011, 411). Zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es dann im Übrigen keiner Darlegung dazu, welcher Sachvortrag infolge der Verwerfung des Einspruchs nicht berücksichtigt worden ist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.8.2011 – 2 SsRs 192/11, DAR 2012, 37; – a. A. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.4.2011 – IV-3 RBs 52/11, SVR 2011, 343).
Das OLG Celle (Beschl. v. 14.11.2011 – 311 SsBs 152/11, NZV 2012, 44 = SVR 2012, 66, m. Anm. Weide = VRS 122 [2012], 153) hält die Verwerfung des Einspruchs nach
§ 74 Abs. 2 OWiG auch bei vorangegangener Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch für zulässig und legt die Sache – aufgrund entgegenstehender anderslautender obergerichtlicher
Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm,
Beschl. v. 2.11.2006 – 4 Ss OWi 742/06, VRS 112 [2007], 49) – dem BGH zur Entscheidung der Rechtsfrage
vor.
* www.himmelreich-dr.de
und www.halmcollegen.de - Veröff. in NStZ 2012, Heft 9, S. 486.
Im Anschluss an NStZ 2011, 440.
7. Überblick über neue Entscheidungen in
Verkehrsstraf- und
-bußgeldsachen1
Von Rechtsanwälten Dr. Klaus Himmelreich, Rösrath, und Wolfgang Halm, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Köln*
– Überblick 1.4.2012 - 31.3.2013 –
1. StGB §§ 20,
21, 49 Verminderte Schuldfähigkeit und Strafrahmenbestimmung sowie
Schuldunfähigkeit.
Der BGH (Beschl. v.
29.5.2012 − 1 StR 59/12,
NStZ 2012, 560 = NJW 2012, 2672, m. Anm. Schliemann,
S. 2675 = NJW-Spezial 2012, 536 = DAR 2013, 160 (LS) = ADAJUR Dok.-Nr. 99156 = BeckRS
2012, 15992 = JURION Newsletter Flat v. 9.8.2012, S. 2 f. = JURION News Flat v.
6.9.2012, S. 3) geht auf die geringe Bedeutung der BAK für die Schuldfähigkeit
ein und betont, dass bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit der BAK umso geringere Bedeutung zukomme, je
mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen zur Verfügung
stehen (vgl. dazu auch OLG Köln
v. 4.9.2012, unten unter I 8 c, bb).
Zur
Berücksichtigung von aufgrund von Trinkmengenangaben errechneten BAK-Werten und
zur Verminderung des Steuerungsvermögens (§ 21 StGB) vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2012 − 5 StR 545/11, DAR 2012, 392 =
ADAJUR-Archiv Dok.-Nr. 97897.
Auch
das OLG Köln (Beschl. v. 1.3.2013 −
III-1 RVS 36/13 – 81 Ss 12/13, DAR 2013, m. Anm. Staub – unter Aufhebung d. Urt. d. AG Köln, 210 Ds 284/12, v. 27.11.12) betont: „Bei einer BAK ab etwa
2 ‰ liegt … die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB nahe. … (Sie dürfte) ohne Anhörung eines SV regelmäßig
nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen sein (vgl. OLG Naumburg
DAR 2001, 379). … (Es sind auch) weitere Umstände festzustellen, die geeignet
sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen … insbesondere die
Umstände der Alkoholaufnahme … sowie der Anlass und die Gegebenheiten der
Fahrt“.
Das OLG Köln (Beschl. v.
13.11.2012 − III-1
RVs 228/12, DAR 2013, 35 = LSK 2013, 070773 = BeckRs 2013, 01693 = JURION News
Flat Strafrecht v. 11.4.2013) verlangt, dass bei einem festgestellten
BAK-Entnahmewert von 2,59 ‰ die Urteils-Feststellungen zum Schuldspruch eine
Auseinandersetzung des Tatgerichts mit einem etwaigen Ausschluss der
Schuldfähigkeit erkennen lassen muss. Selbst bei geringeren Werten als 3 ‰
könne die Schuldfähigkeit ausgeschlossen sein.
Das KG Berlin (Beschl.
v. 12.3.2012 − 4-121 Ss 27/12 - 42/12, NStZ-RR 2012, 354 = BeckRS 2012, 18278) weist darauf hin, dass Urteils-Gründe dann nicht die Überprüfung ermöglichen (ob das Tatgericht die
Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zutreffend beurteilt hat), wenn konkrete Feststellungen zu den für die Steuerungsfähigkeit maßgeblichen Tatsachen
fehlen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sich den Gründen Beginn und
Ende des Konsums, dessen Verlauf, der Gehalt des getrunkenen Alkohols, die
konsumierten Mengen sowie Körpergewicht und etwaige Nahrungsaufnahme nicht entnehmen
lassen.
Zur Strafrahmen-Milderung
gem. §§ 21, 49 StGB betont der BGH (Beschl. v.
2.8.2012 − 3 StR 216/12, NStZ 2012, 687 = JURION Newsletter „Strafrecht“ v.
27.9.2012, S. 10), dass ein die Steuerungsfähigkeit erheblich
beeinträchtigender Alkoholrausch dann nicht uneingeschränkt vor-verschuldet
sei, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich sei. Eine
Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld
erhöhender Umstand zu werten gewesen war, liege regelmäßig vor, wenn der Täter
den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden
Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum
zu widerstehen, einschränke.
2. StGB §§ 69, 69 a Fahrerlaubnis-Entzug und Sperre − Nachtatverhalten
a) Vorzeitiger Wegfall von Entziehung und Sperre und Rückgabe des
Führerscheins oder vorzeitige Aufhebung oder Reduzierung der
Fahrerlaubnis-Sperre
aa) aufgrund extern überprüfter und kontrollierter, mithin qualifizierter Verkehrs-Therapien und Nachschulungen
α) bei Trunkenheitsdelikten gem. §§ 315 c, 316 StGB
Das LG Aachen (Urt. v. 24.2.2011 − 71 Ns-601 Js 638/10-226/10, BA Bd. 49 (2012), 109) bestätigte das Urt. und die Rückgabe des Führerscheins durch d. AG Aachen (am 11.10.2010), das zurecht bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m. 1,44 ‰ (eines Rückfalltäters m. Tr.-Vorstrafe v. 6.6.02 m. 1,11 ‰) und eines vorl. F.-Entzugs v. 4,5 Mon. sowie der Teilnahme an der Verkehrstherapie IVT-Hö aufgrund der durch dieses Nachtatverhalten gegebenen Widerlegung des Regelfalls keine Ungeeignetheit mehr festgestellt hatte; das LG nimmt dazu detailliert Bezug auf die ausf. Rsprgs.-Wiedergabe bei Himmelreich/Halm (in NStZ) und auf Himmelreich/Karbach SVR 2009, Es wurde auch das dekl. Fahrverbot v. 3 Mon. bestätigt.
Auch das AG
Düsseldorf (Urt. v. 20.7.2011−125 Cs 51 Js 128/11-99/11, BeckRs 2012, 04994 = Burhoff online = DAR 2012, 40 (dort mit unzutreffendem Verkündungs-Datum vom 28.7.2011)
= ADAJUR Dok.-Nr. 96887 u. 95952) hat in einem Regelfall gem. §§ 316, 69 Abs. 2, Nr. 2 StGB bei einer fahrlässigen Trunkenheits-Fahrt der relativen Fahruntüchtigkeit
von einem weiteren Fahrerlaubnisentzug abgesehen und nur noch ein dekl. Fahrverbot von 3 Monaten verhängt: „Zwar liegt ein Regelfall vor, jedoch hat das
Gericht auch berücksichtigt, dass der Führerschein bereits seit dem 8.1.2011 sich (also für 6 ½ Monate) in amtlicher Verwahrung befindet, dass lediglich eine relative Fahruntüchtigkeit
mit einem BAK-Wert von 0,59 ‰ vorliegt und dass die
Angeklagte ein entsprechendes Seminar für im Verkehr durch Alkohol aufgefallene Verkehrsteilnehmer besucht hat.“
Das AG Duisburg (Beschl.
v. 19.1.2012 − 25 Cs-185 Js 176/11-268/11; unveröff.) hat bei einer fahrl. Trunkenheitsfahrt v. 17.3.11 m. 0,93 ‰ gem. 315 c StGB in Tateinheit mit einer fahrl. Körperverletzung und
einer Verkehrsunfallflucht gem. § 142 StGB m. e. Sachschaden v. 3.150 € die Sperre vorzeitig aufgehoben: „Der Verurteilte hat durch Vorlage einer entspr.
Bescheinigung nachgewiesen, dass er vom 05.04.2011 (also ca. 3 Wochen nach der
Tat) an einer aus 24 Einzelstunden bestehenden individualpsychologischen Verkehrstherapie des Instituts IVT-Hö teilgenommen hat. … Die Gesamtwürdigung aller Tatsachen rechtfertigt die
Annahme, dass der Verurteilte wieder als geeignet … anzusehen ist.“
Vom AG Köln (Urt. v.
14.5.2012 – 715 Ds 49/12; unveröff.) wurde aufgrund der Therapie
„starthilfe“, Köln, die F.-Sperre bei einer Trunkenheits-Fahrt mit 2,19 ‰ um 2 Mon. reduziert.
Das AG Gummersbach (Urt.
v. 6.6.2012 – 83 Js 76/12 – 178/12; n.rkr.; unveröff.; später u.a. hinsichtlich der „Vorsatz-Annahme“ aufgehoben durch das OLG Köln, s. unten unter I, 8, c, bb) gab aufgrund
der „starthilfe“-Therapie, Köln, bei einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316
StGB m. über 2 ‰ einen „Rabatt“ bei der Fahrerlaubnis-Sperre von 3 Monaten.
Auch das AG Köln
(Urt. v. 19.6.2012 – 714 Ds 376/11; unveröff.) räumte bei einer Trunkenheits-Fahrt gem. § 315c StGB m. 2,38 ‰ aufgrund der „starthilfe“-Therapie,
Köln, einen „Rabatt“ von 2 Monaten ein und gab nach gut 8 Mon. vorl.
F.-Entzug den Führerschein im Gerichts-Termin zurück; es wurde nur ein 3-monatiges dekl. Fahrverbot verhängt.
Das AG Tiergarten, Berlin (Urt. v. 3.7.2012 − 300
Cs-3034 Js 1500/12-99/12; unveröff.) nahm bei einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB mit einer BAK von 0,88 ‰ (m. Fahrfehler) aufgrund der
Verkehrstherapie IVT-Hö Berlin/Brandenburg/Bayern nach 4,5 Monaten vorl. F.-Entzug von einer endgültigen Fahrerlaubnis-Entziehung Abstand, verhängte
allerdings noch ein (nicht-dekl.) Fahrverbot von 3 Monaten, so dass die Vorenthaltung der
Fahrerlaubnis insgesamt nur 7,5 Monate dauerte. – Das AG Tiergarten (Urt. v. 1.2.2013 − 297 Cs – 3042 Js 7496/12 – 233/12; unveröff.) hat aufgrund der Verkehrstherapie
IVT-Hö Berlin/Brandenburg/Bayern − die im Urteil sehr ausführlich erwähnt ist, folglich mit „Bindungswirkung“ (also ohne MPU) im Verwaltungsrecht − bei einer Tr.-Fahrt m. 1,63 ‰ gem. §
316 StGB eines Rückfall-Täters (m. Tr.-Vorstrafe v. 8.3.2011 m.
1,06 ‰ u. LZA-Missachtung) den
F.-Schein im Ger.-Termin bereits nach 5,5 Monaten vorl. F.-Entzug herausgegeben. Im Strafbefehl v. 19.10.2012 war dagegen die hier
notw. Mindestsperre v. 1 Jahr ausgesprochen worden. Damit wurden nun zugleich auch mehr als 8,5 Mon. Sperre eingespart.
Vom AG Bernau (Urt. v. 24.7.12 − 2 Cs 200 Js 2811/12 – 342/12; unveröff.) wurde m. ausführl. Begr. d. Fortfalls d. Nichteignung und ausf. Anerkennung der Verkehrstherapie der IVT-Hö Berlin/Brandenburg/Bayern nach einer fahrlässigen Trunkenheits-Fahrt m. Unfall gem. § 315c StGB mit 1,34 ‰ nach gut 4 Monaten vorl. F.-Entziehung kein F.-Entzug mehr ausgesprochen und der F.-Schein im Gerichts-Termin zurückgegeben; es wurde nur ein dekl. Fahrverbot von 3 Monaten verhängt. Damit dauerte die Vorenthaltung der Fahrerlaubnis über 10 Monate weniger als vorher im Strafbefehl.
Das AG Frankfurt/Oder
(Urt. v. 29.8.2012 − 4.10 Ds 283 Js 2864/12 (136/12); unveröff.) ging
bei einer (nun) fahrlässigen Trunkenheits-Fahrt vom 11.1.2012 m. 1,6 ‰ gem. § 316 StGB aufgrund einer 6,5-monatigen Verkehrstherapie der IVT-Hö
Berlin/Brandenburg/Bayern m. Abstinenznachweis und vorl. Fahrerlaubnis-Entzug von 7,5 Monaten davon aus, dass „der A.
ausnahmsweise nicht mehr als … ungeeignet anzusehen“ sei; der Führerschein
wurde im Gerichtstermin zurückgegeben. Es wurde nur ein dekl. Fahrverbot von 3 Monaten verhängt. Aufgrund der Bindungswirkung entfällt eine
MPU im Verwaltungsrecht.
Bei einer
Trunkenheits-Fahrt m. Unfall gem. § 315c StGB m. 2,1 ‰ gab das AG Köln
(Urt. v. 3.9.2012 − 704 Ds 100/12 – 26 Js 860/12; unveröff.) aufgrund der „starthilfe“-Therapie, Köln, im Hinblick auf die Fahrerlaubnis-Sperre einen „Rabatt“ von 2
Monaten.
Das AG Königs
Wusterhausen (Urt. v. 13.9.2012 − 2.2 Ds - 458 Js 33194/12-231/12, BeckRS 2013, 03130 = ADAJUR Dok.-Nr. 100211 (LS) = bei Burhoff online = JURION News Flat
„Verkehrsrecht“ v. 22.11.2012, S. 9 f.) hat bei einer fahrlässigen Trunkenheits-Fahrt gem.
§ 316 StGB m. 1,51 ‰ sogar schon nach 10 Wochen vorläufigem Fahrerlaubnis-Entzug mit ausführlicher Begründung aufgrund einer glaubhaften Abstinenz sowie
„einer Rehabilitationsmaßnahme des Instituts IVT-Hö Berlin/Brandenburg/Bayern für mit Alkoholdelikten auffällig gewordene Kraftfahrer … im Rahmen eines KBS-Kurses … vom 3.7. –
5.9.2012 sowie einem bereits laufenden 5-monatigen therapeutischen IVT-Hö-Nachsorgeprogramm ... von der Entziehung der Fahrerlaubnis … trotz
Verwirklichung des
Regelfalls … abgesehen. … (Die) Feststellungen rechtfertigen zur Überzeugung des Gerichts bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Annahme, dass vom A. neue Straftaten
(solcher Art) nicht (mehr) zu erwarten sind“. Der Führerschein wurde im Gerichtstermin zurückgegeben; es wurde nur ein dekl. Fahrverbot von 2 Monaten
verhängt.
Ferner gab das AG Köln (Urt. v. 27.11.2012 – 710 Ds 284/12; unveröff.) aufgrund der „starthilfe“-Therapie, Köln, bei einer Trunkenheits-Fahrt m. Unfall gem. § 315c StGB m. 1,49 ‰ einen „Rabatt“ von 2 Monaten bei der F.-Sperre.
Ebenso hat das AG
Brühl (55 Ds 290/12 − Urt. v. 4.12.2012; unveröff.) bei einer fahrl. Trunkenheits-Fahrt gem. § 316 StGB m. 1,49 ‰ aufgrund einer „ABV“-Nachschulung
nach dem Modell „Mainz 77“ einen Sperre-„Rabatt“ von 2 Monaten eingeräumt.
Das LG Berlin (Urt. v.
16.1.2013 − [569] 225 AR 873/12 [140/12]) hat bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m. 1,49 ‰ (u. OWi v. 25.6.2011 m. AAK 0,54 mg/l) das Urt. d. AG Tiergarten v.
6.9.2012, das 3 Mon. Sperre ausgesprochen hatte, dahingehend abgeändert, dass es nunmehr die Ungeeignetheit als widerlegt ansah; es wurde nur noch ein
dekl. Fahrverbot von 3 Mon. ausgesprochen mit der Begr., dass der Angeklagte „seit dem Sommer 2012 alkoholabstinent lebt (und) bis zum 15. Januar 2013 eine … Alkoholtherapie“ durchgeführt
hat.
Das LG Dortmund (Urt. v. 6.2.2013 − 220 Js 992/12 - 45 Ns 10/13; unveröff.) hat aufgrund einer IVT-Hö-Verkehrstherapie bei einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m. 1,63 ‰ die Entsch. d. AG Dortmund v. 14.11.2012 bestätigt, dass die Fahrerlaubnis nach einem vorl. F.-Entzug von gut 6 Monaten bereits nicht mehr zu entziehen sondern der Führerschein herauszugeben war.
Ähnlich LG Duisburg (Urt. v. 4.2.2014 - 64 Ns 312 Js 1973/13-58/14; unveröfrf.), m. ausführl. Begründung; 8 Mon. vorl. F.entzug, bei Trunkenheitsfahrt m. 2.03 ‰ und 15 St. Grupp.th. u. 2 Einzelst. IVT-Hö-Verkehrstherapie und Besch. v. DEKRA Dresden betr. Abstinenz.
Das AG Oberhausen (Urt.
v. 6.2.2013 − 26 Cs 371 Js 7210/12-777/12; unveröff.) vermochte bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB vom 29.4.2012 m. 1,73 ‰ aufgrund freiwilliger „kostenintensiven
Schulungen (und der Dauer der bereits erfolgten vorläufigen
Sicherstellung des Führerscheins von gut 9 Mon.) eine charakterliche Ungeeignetheit … nicht mehr festzustellen“. Es wurde nur noch ein dekl. Fahrverbot v. 3 Mon. verhängt u. der F.schein
ausgehändigt. Damit wurden gegenüber dem Strafbefehl v. 5.11.2012 (m. 9 Mon. Sperre) auch zusätzlich noch 8 Mon. Sperre gespart.
Das AG Tiergarten, Berlin (Urt. v. 14.3.2013 – 323 Cs 303/12) verkürzte bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gem. § 315c StGB die Sperre um knapp 4 Monate aufgrund einer „selbständig unternommenen verkehrspsychologischen Therapie zur Aufarbeitung der Alkoholproblematik“.
Vgl. w. Nw. zur Verkürzung
oder Nicht-Verhängung einer Fahrerlaubnis-Entziehung bei:
Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486 f.; Fischer, StGB, Komm., 60. Aufl. 2013, §
69, Rn. 46 ff.
ß) bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB
Auch im Rahmen einer Verkehrsunfallflucht hat das AG Köln (Urt. v. 15.11.2012 − 706 Ds 168/12-39 Js 460/12; unveröff.) gem. §§ 142, 69 Abs. 2, Nr. 3 StGB mit einem Fremdschaden von 15.300 € aufgrund der „starthilfe“-Therapie, Köln, einen „Rabatt“ bei der Fahrerlaubnis-Sperre von 2 Monaten eingeräumt.
bb) ohne Nachschulung/Therapie
α) bei Verkehrsunfallflucht gem. § 142 StGB
Das LG Kaiserslautern (Beschl. v. 25.6.2012 − 5 Qs 72/12, ADAJUR Dok.-Nr.
98676, LS = b. Burhoff online) hat bei einem Vorwurf der Verkehrsunfallflucht em. § 142 StGB bei einem Fremdschaden von 2.445 € den Antrag d.
StA auf Erlass eines 111a-Beschlusses abgelehnt, da die B. nicht von einem „bedeutenden“ Fremd-Sach-Schaden ausging und auch „der den Unfall aufnehmende Polizist … den
Führerschein am Unfallort nicht sichergestellt hat,
da ihm die Schadenshöhe nicht so hoch erschien“.
Das LG Dortmund (Urt. v. 21.9.2012 − 45 Ns-206 Js 2293/11-173/12, VA
2013, 29 = BeckRS 2013, 04426 = VRR 2013, 34 = ADAJUR Dok.-Nr. 100384 (LS) = JURION Newsletter
„Verkehrsrecht“ v. 6.12.12, S. 8 = b. Burhoff online) sah bei einer Verkehrsunfallflucht
gem. § 142 StGB durch folgende Umstände die Regel-Vermutung (§ 69, Abs. 2, Nr. 3 StGB) bei einem Fremdschaden von 2.600 € als widerlegt an:
„Der A. ist trotz seines
fortgeschrittenen Alters (57 Jahre) bisher noch gänzlich
unbestraft und weist auch keinerlei Eintragungen … auf, obwohl er täglich zu
seiner Arbeitsstelle von Do. nach Dü. mit dem Pkw unterwegs ist. … durchaus
eine von Verantwortungsbewusstsein geprägte Persönlichkeit … sich auch sehr
zeitnah im Anschluss an das Unfallgeschehen der Polizei gestellt (hat und der)
…Schaden … vollständig reguliert (wurde. Eine) Entziehung (ist daher) nicht
(erforderlich)“. Ein 2-monatiges (nicht-deklaratorisches) Fahrverbot wurde
allerdings verhängt.
ß) bei Ausnahme-Charakter der Tat
Das LG Aurich (Beschl.
v. 6.7.2012 −3 12 Qs 81/12, BeckRS 2012, 15154 = NStZ-RR 2012, 349, LS, = NZV 2013, 53, LS = ADAJUR Dok.-Nr. 98675. LS = LSK 2012, 440069, LS) sah bei einer
Verkehrsunfallflucht gem. § 142 StGB bei einem Fremdschaden von 5.636,01 € von einer Fahrerlaubnis-Entziehung
ab, da trotz der Erfüllung des Tatbestandes das Verhalten des nicht Vorbelasteten hier aus dem Rahmen der typischen
Begehungsweise fiel (vgl. zu einem solchen Ausnahmecharakter auch: OLG Köln v. 4.9.2012, unten unter I, 8, c, bb): Der Täter „verließ die
Unfallstelle, (suchte) seinen Freund auf und fuhr mit ihm sein Fahrzeug zu einer Werkstatt. Ca. 40 Minuten nach Anzeige des Unfalls durch eine Zeugin meldete (er) sich persönlich auf
der örtlichen Polizeidienststelle und gab (den Unfall) an. … (Hier) fällt die
vorliegende Tat selbst trotz Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale so sehr aus dem Rahmen der typischen Begehungsweise heraus, dass sie nicht mehr als der Regelfall anzusehen ist, dem der
Gesetzgeber durch die Vorwegnahme der Prognose eine den Eignungsmangel indizierende Wirkung im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB beilegen wollte“. – Vgl. dazu auch: Burhoff
in JURION Strafrecht Blog; Krumm in blog.beck.de; S/S/Stree/Kinzig, StGB, § 69, Rn. 42.
γ) bei relativer Fahruntüchtigkeit
Das AG Düsseldorf
(Beschl. v. 14.11.2012 − 152 Gs 1611/12; unveröff.) hat eine relative Fahruntüchtigkeit bei einer Trunkenheits-Fahrt mit Unfall m. 0,99 ‰
verneint und den Antrag
der StA auf Erlass eines 111-a-Beschlusses abgelehnt, da nicht sicher festgestellt werden könne, dass der Unfall auf die Wirkung des Alkohols zurückzuführen sei; der LKW 01 ist links am
wartenden LKW 02 vorbeigefahren und habe dabei mit lautem Knall mit seinem rechten Außenspiegel den linken Außenspiegel des 02 touchiert, diesen mit Gestänge nach vorne gedrückt
(Plastikteile lagen auf der Straße) und dieses auch bemerkt; am Außenspiegel des 02 seien Kratzspuren sichtbar gewesen.
Das AG Bonn (Urt. v.
31.1.2013 − 804 Ds-227 Js 824/12-292/12; unveröff.; s. dazu den entspr. pos. Beschl. d. LG Bonn v. 5.9.2012 − 24 Qs-227 Js 824/12-64/12, DAR 2013, 38, s. unten unter I, 8, c, aa)
hat bei einer Trunkenheits-Fahrt m. 0,6 ‰ (Abbiegen nach links trotz „grün“ f. d. Geradeausverkehr f. beide Fahrtrichtungen) wegen Ablenkung keine
relative
Fahruntüchtigkeit angenommen, sondern ist nur von einem OWi-Delikt gem. § 24a StVG m. 500 € Geldbuße u. 1 Monat Fahrverbot ausgegangen.
b) Zum „Ausnahme-Charakter“ einer Straftat (Widerlegung der gesetzlichen
Regelvermutung der Ungeeignetheit und damit kein Fahrerlaubnis-Entzug) – was von den Verteidigern kaum beachtet wird – vgl. hinsichtlich einer
Trunkenheitsfahrt die OLG-Köln-Entscheidung vom 4.9.2012 (unten unter I, 8, c, bb) und im Hinblick auf eine Verkehrsunfallflucht
LG-Aurich (oben unter I, 2, a, bb, α) sowie LG Dortmund (Urt. v. 21.9.2012 − 45 Ns-206 Js 2293/11, BeckRS 2013, 04426
= FD-StrafR 2013, 344259); vgl. auch OLG Köln v. 1.3.2013, s. nächsten Absatz. – Vgl. u.a. dazu ferner: Fischer, StGB, Komm., 60. Aufl. 2013, § 69, Rn. 30 u. 35;
Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, Komm., 22. Aufl. 2012, § 69 StGB, Rn. 21f.; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013, Rn.
412.
c) Zur Ungeeignetheit i. S. v. § 69 Abs. 1 StGB weist das
OLG Köln (Beschl. v. 1.3.2013 − III-1 RVs 36/13, – DAR 2013, m. Anm. Staub – unter Aufhebung d. Urt. d. AG Köln, 710 Ds 284/12, v. 27.11.12) darauf hin, dass
diese „noch im Zeitpunkt des Urteils gegeben sein (muss). …
Eine ausdrückliche Erörterung dieses Gesichtspunktes ist geboten, wenn entweder schon die – vor allem erstmalige – Tat selbst von Besonderheiten
gekennzeichnet ist, die gegen einen künftigen Missbrauch der Fahrerlaubnis sprechen können, oder wenn hierfür nach der Tat eingetretene
Umstände sprechen. … Eine Ungeeignetheit kann im Einzelfall nicht
mehr festgestellt werden, wenn der A. erfolgversprechende psychologische Hilfe in Anspruch genommen hätte und ein nach den Grundsätzen der Begutachtungsrichtlinien erstelltes
medizinisch-psychologisches Gutachten zu dem Ergebnis gekommen ist, dass zukünftig das Führen eines Kfz unter Alkoholeinfluss nicht zu erwarten ist. … Die Teilnahme an
einer
verkehrstherapeutischen Maßnahme kann daher Anlass zu weiterer Sachaufklärung in dieser Hinsicht geben.“
d) Zum Grenzwert des „bedeutenden“ Fremd-Sach-Schadens (§ 69, Abs. 2, Nr. 3 StGB) vgl. unten unter I, 3, c.
e) Literatur: Müller, Fahreignung, Praxisleitfaden, 2013 (m. Besprg. in: DV 2013, 30).
3. StGB § 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort im Straßenverkehr
a) Zum Nicht-Entzug d. Fahrerlaubnis bei „bedeutendem“ Fremd-Sach-Schaden (§ 69a, Abs. 2,
Nr. 3 StGB) vgl. oben zu I, 2, a, aa, ß (mit Therapie) und unter I, 2, a,
bb, α (ohne Therapie).
b) Vorsatz
Das KG Berlin (Beschl. v. 21.12.2011 − 3-1 Ss 389/11 - 127/11,
DAR 2012, 393 = NZV 2012, 497 = ADAJUR Archiv Dok.-Nr. 98135) stellt zutreffend auf das „Vorstellungsbild“ der A. ab: Hier „belegen die getroffenen Feststellungen
nicht, dass sie … bemerkt oder zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hat, einen nicht nur belanglosen Fremdschaden verursacht zu haben. Soweit (man) … auf die Lautstärke des
Anpralls, dessen Wucht und den Umfang der Schäden abstellt, handelt es sich um äußere Umstände, die zwar eine gewisse Indizwirkung entfalten, jedoch für sich allein nicht ausreichen, um …
auf den erforderlichen Vorsatz … zu schließen.
… entscheidend ist, welche Vorstellung sie von dem Umfang des entstandenen Schadens hatte, als sie die Unfallstelle verließ. … (Erforderlich ist ein) sicherer Schluss auf das
Vorstellungsbild d. A. vom Umfang des Fremdschadens. Die Wucht des Anstoßes, dessen Geräuschentwicklung und ihre 'irritierte' und 'hektische' Reaktion tragen zwar die Annahme, die A. habe
die Anstöße bemerkt, erlauben jedoch keine sicheren Schlüsse darauf, dass sie sich
in dem Bewusstsein entfernt hat, ein – möglicherweise – nicht unerheblich beschädigtes
Fahrzeug zurückzulassen.“ – Zu diesem Thema vgl. ausführlich m. Rsprg.-Angaben:
Himmelreich/Krumm/Staub, 6. Aufl. 2013, Rn. 334 ff. u. 341 ff.
c) Grenzwert für bedeutenden Fremd-Sach-Schaden gem. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB
In einer „mutigen“ Entscheidung
meint das LG Landshut (Beschl. v. 24.9.2012 − 6 Qs
242/12, VA 2013, 69), wegen der Preissteigerung in den letzten Jahren die Grenze bei 2.500 € ziehen zu müssen.
d) Literatur:
Schmedding, In jedem Fall Unfallflucht ? (Hinweis d. Verf.: Aufs. beinhaltet Ausführungen
zur Wahrnehmbarkeit eines Unfalls bei Bagatellkollisionen), DAR 2012, 728; Himmelreich/Mettlach, Keine „Bemerkbarkeit“, zumindest kein „bedeutender“
Fremd-Sachschaden, bei Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB) – abgesichert durch „versierte“ Gutachter, DAR 2012, 427; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013 (mit
überall neu bezifferten Rn.); Ahlgrimm/Höckendorf/Roßkopf, Fahrerflucht – Vorsatz oder nicht ?, 1. Aufl. 2012; Matt/Renzinkowski, StGB, Komm., 1. Aufl. 2013.
4. §§ 223, 224 StGB Körperverletzung
Der BGH (Urt. v. 6.12.2012 − 4 StR 369/12, NStZ 2013, 231 = DAR 2013, 88,
m. Anm. Foth S. 276 = BeckRS 2013, 00587 = KSK 2013, 080726 = JURION News Flat v. 31.1.2013, S. 4 f.) weist hinsichtlich einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 223 StGB
darauf hin, dass „nicht
darauf abzustellen ist, ob der alkoholbedingt fahruntüchtige Fahrer in nüchternem Zustand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte
vermeiden können. Vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringen Geschwindigkeit er – abgesehen davon, dass er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte
– noch seiner durch den Alkoholeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser
Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen gekommen wäre“.
Im Hinblick auf § 224 StGB betont der BGH (Beschl. v. 20.12.2012 – 4 StR
292/12, BeckRS 2013, 03156 = FD-StrVR 2013, 343726), dass ein gezieltes Anfahren eines Motorrollers mit
einem PKW als Körperverletzung mittels eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs
anzusehen ist, wenn die erlittenen Verletzungen unmittelbar durch den Anstoß und nicht erst durch den anschließenden Sturz verursacht wurden.
5. StGB § 240 Verkehrs-Nötigung
Literatur:
Magnus, Der Gewaltbegriff der Nötigung (§ 240 StGB) im Lichte der
neuesten
BVerfG-Rechtsprechung, NStZ 2012, 538.
6. StGB § 315 b Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Hierzu betont der
BGH (Beschl. v. 5.10.2011 − 4 StR 401/11, NStZ-RR 2012, 185 = NZV 2012,
394 = DAR 2012, 389 = StV 2012, 218 = VRR 2012, 32 = BeckRS 2011, 27172 =
openJur.de 2011, 117771 = JURION Strafrecht News v. 4.1.2013), dass sich die
Sicherheit des Straßenverkehrs als geschütztes Rechtsgut von § 315 b StGB nur
auf den öffentlichen Verkehrsraum beziehe; die im Vergleich zu einem vorgelagerten Kundenparkplatz einer Autovermietung erhöhten Betontreppenstufen, die bereits zum Eingangsbereich eines
Bürogebäudes gehören, seien nicht mehr diesem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen.
Literatur:
Geppert,
Zur Anwendbarkeit von § 315 b StGB in Fällen, in
denen der Schadens- oder Gefährdungserfolg außerhalb des öffentlichen
Verkehrsraums eintritt, DAR 2012, 372.
7. StGB § 315 c Abs. 1 u. 3 Fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs – Konkrete Gefahr
Der
BGH (Beschl. v. 22.3.2012 − 4 StR 558/11, NStZ 2012, 384 = NJW 2012, 1524 = BeckRs 2012, 07957 = FD-StrafR 2012, 331318 = JR 2012, 474 = StV 2012, 658 = JZ 2013, 205 = VA 2012,
100) betont, die Tathandlung i. S. d. § 315 c StGB müsse über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der die Sicherheit einer
bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht.
Der
BGH (Beschl. v. 16.4.2012 − 3 StR 45/12, = NStZ 2012, 7014 = NStZ-RR 2012, 252 = NZV 2012, 448 = VA 2012, 119 = JURION-NEWS Telegramm Nr. 107 v. 24.5.2012 = HRRS 2012, Nr. 482)
geht hier auf die Gefährdung (§ 315 c, Abs. 1, Nr. 1 a, Abs. 3 StGB) der Beifahrerin ein; er erwähnt zwei Aspekte: Das vom A. geführte Kfz spiele keine Rolle. Die konkrete
Gefahr müsse zwar auch für einen Mitfahrer hervorgerufen werden; allerdings müsse der dann überhaupt vom Schutzbereich der Vorschrift erfasst sein; für einen an der Tat beteiligten Insassen
sei das zu verneinen. – Ähnlich: BGH, Beschl. v. 4.12.2012 − 4 StR 435/12, VA 2013, 46 = BeckRS 2013, 00985.
Das OLG Celle (Beschl. v. 3.1.2013 − 31 Ss 50/12, DAR 2013, 215/216 = BeckRS 2013, 01158 = NdsRpfl 2013, 86 = JURION Newsletter v. 24.1.2013, S. 5 = auch b. JURIS, Das Rechtsportal v. 22.1.2013, S. 1 = Burhoff online) betont, dass eine Straftat auch dann vorliegen kann, wenn der A. an einer Straßeneinmündung (unter Beurteilung der konkreten Verkehrssituation) zu schnell gefahren ist (§ 315 c Abs. 1, Nr. 2 d StGB) und dadurch eine Gefahr für einen Anderen geschaffen hat, die im inneren Zusammenhang mit den Risiken einer Straßeneinmündung steht.
8. StGB §§ 315 c, 316 Fahrten unter Alkoholeinfluss und Drogen
a) Zur Nicht-Entziehung der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrten vgl. oben unter I, 2, a, aa, α.
b) Zum verwaltungsrechtl. Fahrverbot für einen Fahrradfahrer (m. MPU-Anordnung) bei
einer Trunkenheitsfahrt m. 2,44 ‰ vgl.: OVG Koblenz, zfs 2012, 716/717 = DAR 2012, 601 = NJW 2012, 3388 = NZV 2013, 103 = SVR 2012, 478 = LSK 2012, 410567 = Verkehrsjurist 2013,
24; vgl. dazu auch: Geiger ZVS 2013, 120; OVG Weimar, DAR 2012, 721 = FD-StrVR
2012, 335728; VGH Mannheim, NJW 2012, 3321; OVG Thüringen, Beschl. v. 9.5.2012 − 2 SO 596/11, DÖV 2013, 123 = JURION News Flat v. 13.12.2012, S. 4;
Rebler, SVR 2012, 401. − Zum Nicht-Entzug der Fahrerlaubnis im Verwaltungsrecht bei einem betrunkenen Fußgänger wegen Nichtbefolgung einer MPU-Anordnung vgl.
VG Neustadt/Weinstr., Beschl. v. 18.12.2012 − 1 L 986/12.NW, zfs 2013, 178 = VA 2013, 50, LS = JURIS-Newsletter „Verkehrsrecht“ v. 5.2.2013, S. 3 = JURIS, Das Rechtsportal v.
7.2.2013, S. 1. − Das VG Aachen (Urt. v. 9.5.2012 − 3 K 1042/12, BeckRS 2012, 51074 = FD-StrafR 2012, 333610 = JURION Newsletter v. 12.7.2012, S. 1) meint, dass hier kein
ausnahmsweise exzessiver Alkoholkonsum bei einer BAK von 3 ‰ eines Fußgängers vorläge, wenn gleichzeitig entspr.
massive Ausfallerscheinungen fehlen; es läge vielmehr eine erhebliche Alkoholtoleranz vor. − Zur Kraftfahreignung älterer Menschen vgl.: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl.
v. 2.5.2012 − 1 S 25.12, zfs 2012, 657 = VD 2012, 234 = BeckRS 2012, 50861 = NJW-Spezial 2012, 427 = JURIS, Das Rechtsportal v. 29.10.2012, S. 1;Weber SVR 2012, 441. –
Zum Fahrerlaubnisrecht (generell im Verw.r.) vgl. Geiger DAR 2013, 61. – Zur Bindungswirkung strafgerichtl. Entsch. gegenüber d. Verwaltungsbehörde (§ 3 Abs.
3 StVG) vgl.: BVerwG DAR 2012, 483; DAR 2012, 595 = zfs 2012, 422 = JURIS, Das Rechtsportal v. 28.6.2012, S. 1= NJW 2012, 3669; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl.
v. 13.4.2012 − 3 M 47/12, BA, Bd.
49 (2012), 327;OVG Münster, Urt. v. 25.6.2012 − 16 B 711/12, zfs 2012, 539 = SVR 2012, 473 = BeckRS 2012, 53006;OVG Münster, Beschl. v. 13.9.2012 − 16 B 870/12,
BeckRS 2012, 57390;Koehl, Entziehung der Fahrerlaubnis: Konkurrenzen zwischen Strafgericht und Fahrerlaubnisbehörde, DAR 2012, 682. – Zum verw.r. F.-Entzug außerhalb d.
Straßenverkehrs m. 3 ‰ bei randalierendem Festzelt-Besucher vgl. VG Mainz, Beschl., v. 10.7.2012 −3 L 823/12.MZ, JURIS, Das Rechtsportal v. 2.8.2012, S. 1 = JURION Newsletter v.
12.7.2012, S. 2. – Zur erneuten MPU im Verwaltungsrecht nach einem sog. privat
veranlassten „positiven MPU-Gutachten“ für das Strafrecht bei einer Pkw-Trunkenheitsfahrt
m. 1,79 ‰ vgl. VG Oldenburg, Beschl. v. 15.6.2012 – 7 B 3641/12, DAR 2012, 533, m. Anm. Hillmann III u. Gegenmeinung v. Geiger DAR 2013, 231 = ADAJUR-Archiv
Dok.-Nr. 98662; zur Verwertung sog. privater MPU-Gutachten im Strafrecht vgl. erneut Hillmann III, DAR 2013, 119; w. Nw. bei: Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486,
487, li. Sp. – Zur
Reformbedürftigkeit der MPU vgl. Hillmann III zfs 2012, 421 u. Geiger SVR 2012, 447.
c) Fahrt unter Alkoholeinfluss
aa) Relative Fahrunsicherheit
Das
LG Bonn (Beschl. v. 5.9.2012 − 24 Qs-227 Js 824/12-64/12), DAR 2012, 38, m. Anm. Krumm), betont bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt mit 0,6 ‰: „Die Annahme
relativer Fahruntüchtigkeit erfordert stets, dass neben der BAK jedenfalls auch eine − wie auch immer
geartete − alkoholbedingte Ausfallerscheinung festgestellt ist. … Gibt die Beschuldigte hier als Unfallursache an, dass sie irrtümlich von einer (für sie dann insoweit zuständigen 'grünen')
Linksabbiegerampel ausgegangen sei, zudem auf Grund eines Gesprächs mit dem Beifahrer abgelenkt war und hat sie die 'Grundübungen (Gang, plötzliche Kehrtwendung, Finger-Finger-Probe,
Finger-Nase-Probe)' bei der Blutentnahme sicher absolviert, so kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen ausgegangen werden.“ Es
blieb also bei einem OWi-Delikt; vgl. dazu das hierzu (!) später ergangene Urteil des AG Bonn: OWi-Delikt mit Nicht-Entzug d. Fahrerlaubnis, oben unter , 2, a,
bb,ß. – Vgl. auch (m.w.Nw.): Fischer, StGB, Komm., 60. Aufl. 2013,
§ 316, Rn. 35 ff.
bb) Vorsatz
Das
OLG Köln (Beschl. v. 4.9.2012 − III-1 RVs 154/12, DAR 2012, 649 (nicht „Urteil“, wie dort abgedruckt, sondern „Beschluss“), m. Anm. Krumm = JURION Newsletter
„Verkehrsrecht“ v.
6.12.12) weist (unter Aufhebung des Urteils des AG Gummersbach v. .6.2012 – 83 Js 76/12 – 178/12, s. dazu oben unter I, 2, a, aa, ɑ) darauf hin, dass in den
Urteils-Gründen konkrete und vollständige Feststellungen getroffen werden müssen, welche den Vorsatz tatsächlich belegen; insbesondere sind die Bewusstseinslage
(das Vorstellungsbild) d. Angekl. zum Zeitpunkt des Fahrtantritts sowie die ordnungsgemäße Rückrechnung d. max. BAK (durch Hinzuziehung eines rechtsmedizinischen SV) bei
Fahrtantritt zwischen 2.15 und 3 Uhr (Unfall: ca. 3.30 Uhr; BAK über 2 ‰; BAK um 6.09 Uhr: 1,79 ‰) genau zu erörtern. Der BAK-Wert verliere bei einem langen Rückrechnungs-Zeitraum
an Beweiswert; daneben würden die
psycho-diagnostischen Beweisanzeichen an Bedeutung gewinnen (vgl. dazu auch BGH v. 29.5.2012, oben unter I, 1). Es sei auch näher darauf einzugehen, dass gewisse Erwägungen
mehrere Stunden vor Fahrtantritt angestellt wurden, als d. A. erst gering alkoholisiert war; es sei auch zu erörtern, ob die in (mehr oder weniger) nüchternem Zustand angestellten
Überle-gungen noch Rückschlüsse auf die Bewusstseinslage und die kognitiven Fähigkeiten
des – inzwischen deutlich stärker alkoholisierten – A. bei späterem Fahrtantritt zulassen. Die U.-Gründe hätten sich auch damit zu befassen, ob ein anderes Motiv als das Bewusstsein der
alkohol. Fahruntüchtigkeit (z.B. Übermüdung) bestimmend gewesen sein könnte. Hinsichtlich der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 StGB sei auch zu erörtern, ob der Tat aufgrund ihrer
Begleitumstände Ausnahmecharakter (kein Fahrerlaubnis-Entzug dann) beizumessen
ist (vgl. dazu auch LG Aurich v. 6.7.2012, oben unter I, 2, a bb, α), so dass ein Fahrerlaubnis-Entzug entfällt. – Vgl. (m.w.Nw.) dazu ferner: Fischer, StGB, 60.
Aufl. 2013, § 316, Rn.
44 ff., u. zur „Ausnahme“ § 69, Rn. 30 u. 35. – Zur Beweiswürdigung des Tatrichters siehe unten unter II, 2, b.
Zu einer Trunkenheitsfahrt mit fehlendem Vorsatz gem. § 316 StGB m. 1,82 ‰, m. d. Fahrrad v. Stadtfest kommend, vgl. auch das LG Dessau-Roßlau (Urt. v. 22.3.2011 − 7 Ns 593 Js 1502/10, BA Bd. 48 (2011), 364 = VRR 2012, 69 = ADAJUR Dok.-Nr. 95226 = BeckRS 2011, 21019 = Burhoff online).
Zu einer vorsatzlosen Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB m. 2,39
‰ vgl. ebenso das OLG Hamm (Beschl. v. 16.2.2012 − III-3 RVs 8/12), BA Bd. 49 (2012) = SVR 2012, 351 = VA 2012, 102, LS = LSK 2012, 390109 = BeckRS 2012, 07644 = b.
Burhoff online = 123recht.net =
openJur 2012, 85142 = JURION Strafrecht Mai 2012): „Die Strafkammer hat sich …
rechtsfehlerhaft nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit d. A. aufgrund ihrer
fortgeschrittenen Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Fahrtantritts so weit herabgesetzt war, dass sie ihre Fahruntüchtigkeit tatsächlich nicht mehr erkannt hat“.
cc) Zur „BAK-Rückrechnung“ vgl. einerseits die OLG-Köln-Entscheidung vom 4.9.2012 (oben unter I, 8, c,
bb); andererseits betont das OLG Köln
(Beschl. v. 1.3.2013 − III-1 RVs
36/13, DAR 2013, m. Anm. Staub) – unter Aufhebung des Urt. d. AG Köln, 710 Ds 284/12 v. 27.11.12): „Zur Ermittlung der Fahrtüchtigkeit im Wege der
Rückrechnung ist zugunsten des Täters (geringstmögliche BAK) von einem stündlichen Abbau von 0,1 ‰ auszugehen;
jedoch sind, um bei längerer Resorptionsdauer jede Benachteiligung des Täters
auszuschließen, die ersten beiden Stunden nach Trinkende grundsätzlich von der
Rückrechnung auszunehmen (vgl. OLG Koblenz DAR 2000, 371, 372; BayObLG zfs 2001, 517 = DAR 2002, 80; OLG Hamm zfs 2002, 306 = NZV 2002, 279; SenE v.
23.03.2010 – III-1 RVs 49/10). (Hier) bedarf es darüber hinaus der Mitteilung des Trinkendes, des Endes der Resorptionsphase und des Abbauwertes. … Bei Bemessung der zur Tatzeit
höchstmöglichen BAK zur Schuldfähigkeit sind dagegen zugunsten des A. Abbauwerte von 0,2 ‰ pro Stunde sowie ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰
zugrundezulegen. Ferner ist zugunsten des A. davon auszugehen, dass die Resorption zur Tatzeit bereits abgeschlossen war, so dass sich die Rückrechnung auch auf die Zeit nach Trinkende
erstreckt.“ − Vgl. dazu auch: KG Berlin (12.4.2012 − 4-121 Ss 57/12-86/12, VA
2012, 177 = BeckRS 2012, 18314 = JURION Newsletter „Strafrecht“ v. 16.8.2012, S. 2): „Die Berechnung der BAK ist regelmäßig nur dann nachvollziehbar, wenn die angewandte Methode
dargelegt worden ist, wobei auch die Anknüpfungstatsachen wie Körpergewicht, Trinkbeginn und -ende, Mengenangaben und Alkoholgehalt sowie die der Berechnung zugrunde liegenden (Rück-)
Rechnungswerte wie Resorptionsdefizit, Reduktionsfaktor und
Abbaugeschwindigkeit mitzuteilen sind. … Macht der A. Angaben zu Art und Menge
des vor der Tat konsumierten Alkohols, so ist der Tatrichter nicht gezwungen, diese Trinkmengenangaben schlechthin hinzunehmen.“ – Vgl. dazu ebenso das OLG München, Beschl. v. 8.6.2012
− 4 StR 97/12, VA 2012, 138 = Burhoff online = JURION News Flat v. 13.9.2012, S. 4, sowie das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 6.11.2012 − III-3 RVs 15/12-2 Ss
232/12, unveröff.).
dd) Zur Anordnung einer Alkohol-Abstinenz für die Dauer einer Führungs-Aufsicht
vgl. OLG Köln, Beschl. v. 22.11.2012 − 2 Ws 776/12, BeckRS 2013, 01472 = JURION Newsletter „Strafrecht“ v. 14.2.2013, S. 1 ff.
ee) Öffentlicher Verkehrsraum
Der BGH (Beschl. v. 30.1.2013 − 4 StR 527/12, JURION News Flat v. 21.3.2013, S. 4 = JURIS) weist im Hinblick auf einen öffentlichen Verkehrsraum darauf hin, dass „eine Verkehrsfläche … zeitweilig „öffentlich“ und zu anderen Zeiten „nicht-öffentlich“ sein (kann; … Letzteres) ist beim Schließen der Zufahrt eines Parkplatzes durch das Herablassen einer Schranke der Fall“.
e) Fahrt unter Drogen
Das LG Waldshut-Tiengen (Beschl. v. 4.6.2012 − 4 Qs 12/12, BA, Bd. 49 (2012), 222 = VA 2012, 155, LS) betont, dass die Rsprg. für die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nach Konsum von Drogen (hier: Amphetamin und Cannabis) Wirkstoffgrenzen wie beim Konsum von Alkohol bislang nicht entwickelt habe. Der Beschl. d. AG werde deshalb aufgehoben, da der Besch. bei seiner ärztl. Untersuchung vor der Blutentnahme überhaupt keine Ausfaller-scheinungen gezeigt habe; die Umstände, dass dem kontrollierenden Polizeibeamten ein starkes Lidflattern sowie eine fehlende Pupillenreaktion aufgefallen sei, seien keine ausreichender Belege für eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit. ─ Der BGH (Beschl. v. 21.12.2011 − 4 StR 477/11, NStZ 2012, 324) hatte schon früh darauf hingewiesen, dass anders als bei Alkohol der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit auch weiterhin nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden kann. Das hier mitgeteilte Erscheinungsbild d. A. (“leicht beeinflusst“) reiche nicht aus.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 21.12.2012 − 2 RBs 83/12, JURION News Flat „Verkehrsrecht“
v. 14.2.2013) weist darauf hin, dass bei einer fahrlässigen Fahrt unter Dogeneinfluss auch die Einlassung d. Betr. zu berücksichtigen sei, er habe 3 Tage vor dem in Rede stehenden Vorfall
„gekifft“; es müsse mit Hilfe eines Gutachters geklärt werden, ob angesichts der noch über dem Grenzwert von 1 ng/ml liegenden THC-Konzentration von 1,7 ng/ml dessen letzter
Cannabis-Konsum bereits 3 Tage vorher erfolgt sein könne.
9. Weitere Literatur im Verkehrsrecht:
König/Seitz, Aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung zum
Verkehrsstraf− und –ordnungswidrigkeitenrecht, DAR 2012, 361; Ernemann, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldverfahren, DAR 2012, 677;
Gieg, Die strafprozessuale Verfahrensrüge in Straßenverkehrssachen, DAR 2012, 624; Schimmelpfennig,
Bedeutung der Unfallrekonstruktion für die Rechtsfindung; Axel, Die Erörterung der Vorstrafen von Zeugen, NStZ 2012, 359; Madea/Mußhoff/Berghaus, Verkehrsmedizin,
Fahreignung, Fahrsicherheit, Unfallrekonstruktion, (s. dort zum Strafrecht unter A 3, Recht: Hörle/Hentschel), 2. Aufl. 2012; Burhoff, Handbuch für das
straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl. 2012; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. 2012; Graf, StPO, Komm., 2. Aufl. 2012;
Fischer, StGB, Komm., 60. Aufl. 2013; Gercke/Julius/Temming/Zöller;
Strafprozessordnung, Komm., 5. Aufl. 2013; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, Handkomm., 1. Aufl. 2013; Buck/Krumbholz, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und
Strafrecht, 2. Aufl. 2013.
II. Strafprozessordnung
Das LG Frankfurt a.
M. (Beschl. v. 23.1.2012 − 5/9a Qs 11/12-535 Js 16737, DAR
2012, 275 = ADAJUR-Archiv Dok.-Nr. 97422, LS) hält eine vorläufige Fahrerlaubnis-Entziehung grundsätzlich für unverhältnismäßig, wenn seit dem Tattag bis zum Erlass des
Beschlusses mehr als 6 Monate vergangen sind. – Ähnlich: LG Stuttgart, Beschl. v. 13.3.2013 − 18 Qs 14/13, JURION News Flat Verkehrsrecht v. 28.3.2013, S. 6. - Das AG
Montabaur, Beschl. v. 24.2.2012 − 2020 Js 12711/11 42 Cs, VA 2012, 105, hält dies bei 14 Monaten für nicht mehr vertretbar. – Literatur hierzu: Burhoff VA 2012,
142.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 4.9.2012 − 1 Ws 464/12, DAR 2013, 160, 161 = ADAJUR Dok.-Nr. 99494) betont: „Allerdings kann der Zeitablauf seit der Tat dazu führen, dass der Eignungs-mangel nicht mehr festgestellt werden kann, so dass eine Aufhebung der Maßnahme dann geboten sein kann, wenn die endgültige Entziehung wegen Zeitablaufs unwahrscheinlich wird (OLG Düsseldorf NZV 2001, 354; OLG Hamm NStZ-RR 2007, 351; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 111a, Rn.11). … Eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung, die womöglich ebenfalls die Aufhebung der Maßnahme begründen könnte (OLG Düsseldorf NZV 1988, 194), ist (hier) nicht ersichtlich“.
2. StPO §§ 261, 267 Wiedererkennen/Täteridentifizierung, sequentielle Wahllichtbildvorlage, anthropologisches und morphologisches Gutachten im OWi-Verfahren – Beweiswürdigung des Tatrichters
a) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 4.1.2012 − 1 Ss Rs 48.11, DAR 2012, 403 = ADAJUR Archiv Dok.-Nr. 97570, LS (Lichtbild
wegen Handyverstoß); OLG Bamberg, Urt. v. 22.2.2012 − 2 Ss
OWi 143/12, DV 2012, 80 = JURION News Flat v. 22.11.2012, S. 2 (ungenüg.
Sicherheitsabstand); OLG Koblenz, Beschl. v. 21.9.2012 − 2 SsBs 54/12, zfs 2012, 714 = BeckRS 2012, 25493 = VA 2012, 212 (Überschreitung d. Höchstgeschw.keit); OLG
Brandenburg, Beschl. v. 15.10.2012 − (1 B) 53 Ss OWi-607/12 (308/12), NZV
2013, 49 = BeckRS 2013, 01403 (erhebliche Ähnlichkeit zweier Brüder); AG Plön,
Beschl. v. 23.1.2013, 4 OWi 10/12, VA 2013, 70 (zum Antrag auf Ausdruck eines
Messfotos auf Hochglanzpapier).
b) Der BGH Beschl. v. 15.01.2013 – 2 StR 488/12, JurionRS 2013, 10736 = JURIS) weist
hinsichtlich der Beweiswürdigung des Tatrichters darauf hin, dass „die zur richterlichen Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit des Richters objektive
Grundlagen voraussetzt. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig
einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung
erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag.“
Auch das
OLG Köln (Beschl. v. 1.3.2013 – III-1 RVs 36/13-81 Ss 12/13, demnächst in DAR 2013, m. Anm. Staub) hat unter Aufhebung des Urteils des AG Köln (710 Ds
284/12 v. 27.11.12) sehr ausführlich zu diesem Thema Stellung bezogen: Vom Tatrichter „ist
anzugeben, inwieweit der A. die Tat eingeräumt hat und inwieweit dieser Einlassung zu folgen ist … nicht hinreichend deutlich (wird auch), wo im Einzelnen sich die Feststellungen des
Gerichts von der Einlassung des A. unterscheiden und auf welche Beweismittel es diese abweichenden oder weitergehenden Feststellungen stützt. Zudem bleibt offen, aus welchen Gründen die …
Angaben des A., die von den getroffenen Feststellungen abweichen, als nicht glaubhaft angesehen worden sind“.
Falls das Tatgericht seine Verurteilung auf ein eingeholtes anthropologisches Vergleichsgutachten
stützt, soll es nach einer Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 6.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47) bei der Urteilsabfassung nicht gehalten sein, konkrete Angaben zu der
Merkmalshäufigkeit zu machen (ebenso: OLG Oldenburg, NZV 2009, 52). Das OLG Bamberg (Beschl. v. 22.2.2012 – 2 Ss OWi 143/12, NZV 2012, 250 = DAR 2012, 215) verlangt
zumindest in Fällen, in denen sich mit einem bei einem Verkehrsverstoß gefertigten Frontfoto ein Betr.
nicht uneingeschränkt identifizieren lässt und der Tatrichter den Betr. dennoch schuldig spricht, in der Begründung die Benennung und Beschreibung der auf dem Foto erkennbaren
charakteristischen Merkmale des Betr., die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren. Auch das OLG Koblenz (Beschl. v. 21.9.2012 – 2 SsBs 54/12, zfs 2012,
714) meint, dass die Urteilsgründe jedenfalls so gefasst sein müssen, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Beweisfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung der
Person
zu ermöglichen (vgl. zur Täteridentifizierung und Bezugnahme auf Videos und
Lichtbilder in den Urteilsgründen auch Krumm NZV 2012, 267 und zur
Fahrer-Identifizierung anhand von Messfotos Huckenbeck/Gabriel NZV 2012,
201).
Zur Beweiswürdigung hinsichtlich eines morphologischen SV-Gutachten („nachvollziehbare Darstellung“) vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2012 – 1 RBs 166/12, BeckRS 2013, 01733 = SVR 2012, H. 3, S. III.
c) Literatur:
Rösing/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im
morphologischen
Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548; vgl. dazu auch: OLG Celle, Beschl. v. 6.11.2012
− 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47 = BeckRS 2012, 23920. – Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. 2012.
3. StPO § 318 Berufungs-Beschränkung auf den Rechtsfolgen-Ausspruch
Vgl. dazu bei
Fahren ohne Fahrerlaubnis : OLG Koblenz, Urt. v. 18.3.2013 – 2 Ss
150/12, JURION Newsletter Strafrecht v. 9.5.2013, S. 2.
III. Straßenverkehrsgesetz
1. StVG § 21 Fahren ohne Fahrerlaubnis
Die im letzten Berichtszeitraum (vgl. Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486) an dieser Stelle im Zusammenhang mit dem „Führerscheintourismus“ bereits
erwähnte grundlegende Entscheidung des EuGH (Urt. v. 26.4.2012 – C-419/10 – Hofmann-Fall) zu der verwaltungsrechtlichen
Streitfrage, inwieweit eine im EU-Ausland ab dem 19.1.2009 ausgestellte Fahrerlaubnis gültig ist, wenn dem Betr. früher in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen worden war, ist nunmehr in
zahlreichen Fachzeitschriften veröffentlicht und eingehend besprochen worden (vgl. etwa SVR 2012, 273 m. Anm. Koehl, DAR 2012, 319 m. Anm. Geiger, zfs 2012, 351 m.
Anm. Haus sowie NZV 2012, 453; eingehend zur Entwicklung des europäischen Fahrerlaubnisrechts bis zur Hofmann-Entscheidung des EuGH vom 26.4.2012 etwa Haase,
SVR 2012, 281 und Winkler, Himmelreich/Halm, Handbuch
des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl., 2012, Kap. 33, Rn. 233 f).
Nach der Entscheidung des EuGH vom 26.4.2012 haben die Fachgerichte nun (weiterhin) zu prüfen, ob eine Person, die sich auf die Gültigkeit ihrer
in einem Mitgliedstaat erworbenen EU-Fahrerlaubnis beruft, zum Zeitpunkt des Erwerbs dort ihren ordentlichen Wohnsitz hatte (vgl. zu den Konsequenzen der Rechtsprechung des EuGH
zur dritten EU-Führerscheinrichtlinie für verwaltungsbehördliche und gerichtliche Verfahren generell auch Koehl DAR 2012, 446). Beschränkt sich der Tatrichter dabei lediglich
auf Feststellungen zum Ausstellungsort und zu den Daten eines EU-Führerscheins sowie zum Wohnsitz des Angeklagten zum Zeitpunkt der angeklagten Fahrt, ohne Feststellungen dazu zu treffen,
welchen Wohnsitz der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ausstellung des EU-Führerscheins hatte und ob vor Ausstellung des EU-Führerscheins die Voraussetzungen eines ordentlichen Wohnsitzes
im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedsstaates eingehalten wurden, reichen die getroffenen Feststellungen nach einer Entscheidung des OLG München (Beschl. v. 22.6.2012 –
4 StRR 069/12, NZV 2012, 553) weder für eine Verurteilung noch für einen Freispruch des Angeklagten aus. Anders beurteilt dies jedoch das OLG Hamm (Urt. v. 26.9.2012 − III-3 RVs
46/12, DAR 2012, 712), welches Feststellungen zu den Ausnahmetatbeständen des § 28 IV FeV − wenn sie im Ergebnis nicht angenommen werden und deshalb ein Freispruch vom Vorwurf des
Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfolgt − nur dann für notwendig hält, wenn konkrete Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind. Macht ein Angeklagter in einem Strafverfahren auf freiwilliger
Basis Angaben zum fehlenden ordentlichen Wohnsitz, betrachtet das OLG München (Beschl. v. 5.4.2012 – 4 St RR 30/12, NZV 2013, 154 = DAR 2012, 342 und Urt. v. 30.3.2012 − 4
StRR 032/12, DAR 2012, 341) diese Angaben im Übrigen mindestens als gleichwertig zu Behördeninformationen, da letztlich nur der Angeklagte selbst mit Bestimmtheit wissen könne, ob er
das für die Ausstellung eines EU-Führerscheins
erforderliche Wohnsitzerfordernis mit einem Aufenthalt von mindestens 180 Tagen erfüllt. Aus der oben erwähnten Rechtsprechung des EuGH vom 26.4.2012 folgt nach Einschätzung des
OLG Hamm (Urt. v. 26.9.2012 – III-3 RVs 46/12, DAR 2012, 712) aber nicht, dass die Anerkennung eines EU-Führerscheins verweigert werden kann, wenn bei der Entziehung einer
Fahrerlaubnis keine Sperrfrist verhängt worden ist. Dagegen spreche nicht nur der Wortlaut des Tenors, sondern auch die Begründung des EuGH für die Anerkennungspflicht, wenn
der Führerschein außerhalb der Sperrfrist erworben wurde.
Auch weitere Obergerichte haben sich im Berichtszeitraum mit der Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen zu befassen gehabt (vgl. hierzu auch die Übersicht in
DAR 5/2012, IV). Für das OLG Celle (Beschl. v. 10.5.2012 – 32 Ss 59/12, NZV 2012, 495 = DAR 2012, 396) soll beispielsweise eine in einem anderen EU-Staat vor dem
Inkrafttreten der 3. EG-Führerscheinrichtlinie erteilte Fahrerlaubnis dann nicht zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigen, wenn dem Inhaber
zuvor die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik bestandskräftig versagt worden war und die übrigen Voraussetzungen des § 28 IV FeV erfüllt
sind. Nach Auffassung des OLG Oldenburg (Urt. v. 19.9.2011 – 1 Ss 116/11, NZV 2012, 255) soll eine britische „driving license“ keine in Deutschland anzuerkennende Erteilung einer
Fahrerlaubnis eines EU-Staates darstellen, wenn sie lediglich im Wege des Umtausches eines deutschen
Führerscheins ausgestellt wurde. Für das OLG München (Urt. v. 4.7.2012 – 4 St RR 95/12, NZV 2013, 96, 154) macht sich derjenige nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar, der
einen gefälschten belgischen Führerschein in Polen umschreiben lässt und dann auf Grund des umgeschriebenen polnischen Führerscheins Fahrzeuge im Bundesgebiet führt.
2. StVG § 24 a Führen eines Kfz unter Einwirkung von
a) Alkohol
Für die Bestimmung der nach § 24 a Abs. 1 StVG vorwerfbaren Atemalkoholkonzentration (AAK) mit dem Messgerät Dräger Alcotest 7110 Evidential sind die für
den maßgeblichen Mittelwert bereits abgerundeten beiden Einzelmesswerte mit jeweils drei Dezimalstellen zu Grunde zu legen (OLG
Bamberg, Beschl. v. 24.5.2012 – 3 Ss OWi 480/12, zfs 2012, 529).
Fraglich ist jedoch weiterhin grundsätzlich, unter welchen Voraussetzungen eine entnommene
Blutprobe zulässiger Weise überhaupt verwertet werden darf (vgl. zur Problematik des Beweisverwertungsverbotes bereits Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486 und
Winkler,
Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 33, Rn. 45f, g). Nach einer Entscheidung des AG Nördlingen (Urt. v.
28.12.2011 – 5 OWi 605 Js 109117/11, DAR 2012, 410) ist die Annahme einer ständigen und andauernden Umgehung des Richtervorbehaltes schwerlich von der Hand zu weisen, wenn
ein
Polizeibeamter pauschal annimmt, im Falle eines Verdachts von Alkohol- und Drogendelikten generell zur Anordnung einer Blutprobenentnahme berechtigt zu sein, und ein Beweisverwertungsverbot
dann anzunehmen, wenn eine solche Praxis auf der Anweisung der Dienstvorgesetzten der Polizeibeamten beruht, da ansonsten der Richtervorbehalt ausgehebelt werden könnte. Ebenso schwer wie
die
willkürliche Umgehung des Richtervorbehaltes wiegt es nach dem AG Kempten (Urt. v. 14.8.2012 – 25 OWi 144 Js 4384/12, DAR 2012, 593), wenn die Anordnung der
Blutprobenentnahme auf einer
groben Verkennung der Zuständigkeitsvorschriften beruht, so dass ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen ist. Uneinigkeit besteht unter den Gerichten nach wie vor darüber, ob ein
Beweis-verwertungsverbot angenommen werden kann, wenn der Betr. vor der Messung nicht darüber belehrt worden war, dass die Teilnahme an der Messung der Atemalkoholkonzentration freiwillig
und nicht erzwingbar ist sowie welche Voraussetzungen an eine wirksame Einwilligung
gestellt werden müssen (vgl. hierzu etwa die Nachweise bei Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486 und den Aufsatz von Cierniak/Herb (NZV 2012, 409) über die Pflicht zur
Belehrung über die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Atemalkoholmessung). Das OLG Hamm (Beschl. v. 20.2.2011 – 3 RVs
104/10, NZV 2012, 308) hat jetzt zumindest klargestellt, dass es auch bei alkoholischen Beeinflussungen oberhalb von 2 Promille BAK zumindest möglich ist, dass der Beschuldigte den Sinn und
die Tragweite der Einwilligung in die Blutprobeentnahme nach § 81 a StPO erkennt.
b) Cannabis
Fahrlässig handelt bei § 24a Abs. 2 StVG, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis
konsumiert hat und sich dennoch an das Steuer seines Fahrzeuges setzt, obwohl er erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht
vollständig abgebaut ist (OLG Hamm, Urt. v. 15.6.2012 – III-2 RBs 50/12, VA 2012, 155; vgl. zum Fahrlässigkeitsvorwurf bei Fahrten unter Drogeneinfluss auch
Dronkovic,
Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl. 2012, Kap.
34, Rn. 31 ff).
Bedient sich das Tatgericht zum Nachweis der fahrlässigen Begehung eines Fahrens unter Betäubungsmitteleinfluss gem. § 24a StVG eines
Sachverständigengutachtens, so hat es zu beachten, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach gegenwärtigen Stand der
Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert,
die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt zu bestimmen (KG Berlin, Beschl. v. 21.3.2012 – 3 Ws (B) 116/12 - 122 Ss 31/12, SVR 2012, 235 = NJW-Spezial 2012, 427)
Eine Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit ist nach dem BGH (Beschl. v 8.6.2011 - 4 StR 209/11, DAR 2012, 390) jedenfalls ausgeschlossen, sofern zwischen einem Besitz von erworbenen Betäubungsmitteln und der Fahrt, die nach dem Kokainkonsum durchgeführt wird, eine unlösbare innere Verknüpfung, die über die bloße Gleichzeitigkeit der Ausführung der Tathandlungen hinausgeht, besteht, weil die “Drogenfahrt” dazu dient, die Betäubungsmittel zum Wohnort zu verbringen. Es liege dann nämlich eine Tateinheit vor.
3. StVG § 25 Fahrverbot
Ob ein Fahrverbot vom Tatrichter angeordnet wird, hängt nicht selten auch von zeitlichen Komponenten ab. So hält das OLG mberg (Beschl. v.
23.11.2012 − 3 Ss OWi 1576/12, DAR 2013, 213) an seiner Rechtsprechung fest, dass bei der Bewertung eines mit einem Fahrverbot
außerhalb eines Regelfalls zu ahndenden Pflichtenverstoßes als „beharrlich“ i.S.v. § 25 Abs. 1 S 1 StVG dem Zeitmoment entscheidende Bedeutung zukommt. Das AG Borna (Urt. v.
5.10.2011 – 6 OWi 151 Js 35213/11, NZV 2012, 306) hat entschieden, dass trotz Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S 2 BKatV und 3 Voreintragungen im Verkehrszentralregister
wegen
Geschwindigkeitsüberschreitungen bei Anhebung der Regelgeldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, wenn seit den Tatbegehungen der Voreintragungen lange Zeiträume
vergangen sind. In der Rechtsprechung thematisiert wird auch weiterhin die Frage, ob von einem Fahrverbot aufgrund entfallener Entziehungsfunktion abgesehen werden kann, wenn ein
Zeitraum von mehr als 2 Jahren seit der Tat vergangen war (vgl. hierzu etwa Himmelreich/Halm
NStZ 2012, 486). Das OLG Hamm (Beschl. v. 24.1.2012 − III-3 RBs 364/11, DAR 2012, 340 = NZV 2012, 409) hat hierzu nun entschieden, dass ein Fahrverbot auch nach
Ablauf des
„2-Jahres-Zeitraum“ noch möglich ist.
Wie gehabt, kommt ein Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße in Betracht, wenn ein Fahrverbot für den Betr. existenzvernichtend wäre und das
Fahrverbot eine unverhältnismäßige Folge zu einer einmaligen Tat darstellen würde (vgl. allgemein hierzu Dronkovic, Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 118 ff. sowie zur
Entwicklung des straßenverkehrsrechtlichen Fahrverbots im Jahr 2012 Deutscher, NZV 2013, 111). Das AG Gießen (Urt. v. 4.6.2012 – 5202 OWi 107 Js 11 549/12, NZV
2013, 52) hat in diesem Zusammenhang etwa bei einem alleinigen Betreiber einer Kfz-Werkstatt, der regelmäßige Probefahrten nach erfolgter Reparatur vorzunehmen hat, auf die
Verhängung eines Fahrverbotes verzichtet. Ungünstige öffentliche Verkehrsanbindungen rechtfertigen ein Absehen vom Fahrverbot aber grundsätzlich nicht. Die mit der Nutzung öffentlicher
Verkehrsmittel zur Nachtzeit einhergehenden Unbequemlichkeiten sind vielmehr typische Folgen eines Fahrverbots, die von dem Betr. hinzunehmen sind (AG
Lüdinghausen, Urt. v. 5.3.2012 – 19 OWi-89 Js 102/12-12/12, NZV 2012, 603 = SVR 2012, 431 = zfs 2012, 590). Bei einem Fliesenleger, der ständig und durchgehend Aufträge
im gesamten Bundesgebiet wahrzunehmen hat und Arbeits- und Baumaterial transportieren muss, ist ein Verweis auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach dem
AG Strausberg (Urt. v. 30.5.2012 – 14 OWi 282 Js-OWi 3933/11 - 113/11, VA 2012, 137) aber wohl ausgeschlossen. Für das OLG Bamberg (Beschl. v. 6.6.2012 − 2 Ss OWi
563/12, DAR 2012, 475) kann es dann geboten sein, ein Regelfahrverbot entfallen zu lassen, wenn ein Betr. deshalb eine Geschwindigkeitsübertretung begeht, weil er irrtümlich annimmt, dass
sich ein
Zusatzzeichen (hier: 1049-13 – Geltung nur für Lkw, Kraftomnibusse und Pkw mit Anhänger) auf beide darüber befindliche Verkehrszeichen bezieht. Eine Ausnahme von einem an sich verwirkten
Regelfahrverbot auf Grund besonderer Tatumstände, insbesondere die Anerkennung eines privilegierenden sog. Augenblicksversagens, scheidet nach dem OLG Bamberg (Beschl. v.
17.7.2012 – 3 Ss OWi 944/12, NZV 2013, 52 = SVR 2013, 31 = DAR 2012, 528 = zfs 2012, 648 = VA 2012,
156) aber regelmäßig aus, wenn der Betr. geltend macht, aufgrund einer Probefahrt mit einem ihm unbekannten und ungewohnten Fahrzeug eine innerörtliche Beschränkung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit übersehen zu haben. Vielmehr hätte die Situation (Fahrt mit einem unbekannten Fahrzeug) nach Einschätzung des Gerichts sogar in besonderem Maße die Aufmerksamkeit des
Betr. für das Verkehrsgeschehen erfordert. Eine Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist vom Tatrichter jedenfalls eingehend zu begründen und mit ausreichenden
Tatsachen zu belegen. Es muss aus den Urteilsgründen hervorgehen, warum dem Betr., insbesondere bei einer Kombination möglicher Ausgleichsmaßnahmen, ein Ausgleich etwaiger beruflicher
Härten nicht möglich oder zumutbar wäre (OLG Hamm, Beschl. v. 28.3.2012 − III- 3 RBs 19/12, DAR 2012, 477 = VA 2012, 137; ebenso: OLG Köln, Beschl. v.
7.9.2012 – 1 RBs 242/12, JURION
Newsletter Flat v. 31.1.2013, S. 6). Auch bei einem Krankenhausoberarzt mit regelmäßiger Rufbereitschaft soll es nach dem OLG Hamm (Beschl. v. 21.12.2011 – III-3 RBs
326/11, VA 2012, 101) einer eingehenden Begründung unter Beachtung der Möglichkeiten zur anderweitigen Abwendung der Folgen des Fahrverbotes bedürfen, um ein Absehen vom Fahrverbot zu
rechtfertigen. Nach Auffassung des OLG Bamberg (Beschl. v. 17.7.2012 – 3 Ss OWi 944/12, NZV 2013, 52 = SVR 2013, 31 = DAR 2012, 528) kann der Tatrichter von einem
Regelfahrverbot wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ohne Weiteres mit der Begründung absehen, dass die Messstelle entgegen der landespolizeilichen
Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden
Ortstafel (Zeichen 311) errichtet wurde. Es sind, so der erkennende Senat, in diesem Fall vielmehr weitere Feststellungen dazu unabdingbar, ob die Messstelle bzw. die Überwachungsstrecke
nicht aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, zB als Unfallbrennpunkt bzw. Unfallgefahrenpunkt oder aufgrund sonstiger besonderer Verkehrsverhältnisse oder anderer gefahrerhöhender Umstände,
sachlich gerechtfertigt ist und damit ermessensfehlerfrei ausgewählt wurde.
1. StVO § 3 Geschwindigkeitsüberschreitung
Die einzelnen Messverfahren beschäftigen weiterhin die Gerichte (vgl. bereits Himmelreich/Halm NStZ 2012, 486) − und zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten.
Bezüglich einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl FG 21-P hat das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 13.9.2012 − IV-2 RBs
129/12, DAR 2012, 646; ebenso: OLG Hamm BeckRS 2012, 18144 u. 18145; − anders: AG Sigmaringen BeckRS 2010, 14721) nun etwa entschieden, dass
ein Vier-Augen-Prinzip“, nach dem eine Geschwindigkeitsmessung zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden kann, wenn der vom Messgerät angezeigte Messwert und die
Übertragung dieses Messwertes in das Messprotokoll von einem zweiten Polizeibeamten kontrolliert worden sind, nicht existiert. Vielmehr ist das Messergebnis bei Fehlen einer von dem
technischen Messsystem selbst hergestellten fotografisch-schriftlichen Dokumentation unter Heranziehung der hierfür im jeweiligen Einzelfall vorhandenen Beweismittel nach dem
Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu klären. Bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist die Länge der notwendigen Mindestmessstrecke, um von einem gerichtsverwertbaren
Verstoß auszugehen, von der gefahrenen Geschwindigkeit des verfolgten Fahrzeuges abhängig (AG Mettmann, Urt. v. 7.5.2012 − 32
OWi-623 Js 21/12-7/12), DAR 2013, 220, vgl. insbesondere zu Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren eines Motorradfahrers zur Nachtzeit den Aufsatz von Staub/Krumm DAR 2013,
233). Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem System ESO ES 3.0 soll es nach dem AG Lüdinghausen (Urt.
v. 5.3.2012 – 19 OWi-89 Js 102/12-/12, SVR 2012, 431 = zfs 2012, 590) keiner Dokumentation
einer durch zwei Punkte definierten Fotolinie bedürfen. Eine Markierung reicht (vgl. zu Problemen bei den mehrzieligen Geschwindigkeitsmessverfahren ESO ES 3.0 und Vitronic PoliScan Speed
auch Löhle DAR 2012, 421). Bei diesem Verfahren soll die Rüge des Verteidigers, es sei aufgrund mehrerer
Datenkopiervorgänge die Authentizität der in die Hauptverhandlung eingeführten Messfotodaten nicht gewährleistet, weder zu weiteren Beweiserhebungen noch einer Unverwertbarkeit des
Messfotos führen, wenn keine Hinweise auf Veränderungen an den Dateien festgestellt werden können (AG Lüdinghausen, Urt. v. 18.6.2012 - 19 OWi-89 Js 506/12-65/12, DAR
2012, 713). Vom AG Meißen
(Urt. v. 10.1.2011 – 213 OWi 703 Js 24787/10, SVR 2013, 69) wird bezweifelt, dass eine Geschwindigkeitsmessung durch eine Einseitensensormessanlage der Firma ESO Typ 3.0 mit der
Softwareversion 1.001 fehlerfrei erfolgt und sichere Geschwindigkeitswerte ermittelt werden können.
Thematisiert wird in der Rechtsprechung weiterhin auch die Frage, wann ein standardisiertes Messverfahren (vgl. zum Begriff sowie der Bedeutung von
standardisierten Messverfahren: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 3 StVO, Rn. 56 b, und zu den Konsequenzen der Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren:
Fromm NZV 2013, 17) vorliegt. Ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH soll nach dem OLG Stuttgart (Beschl. v.
29.2.2012 – 4 Ss 39/12, NZV 2012, 605 = DAR 2012, 274) auch dann zu bejahen sein, wenn feststeht, dass die Bauartzulassung des Messgerätes erfolgen wird, der Zulassungsschein hierüber aber
nicht am Tag der Eichung, sondern erst eine Woche danach ausgestellt wird. Geklärt schien, dass es sich bei dem PoliScan-Speed-Verfahren um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der
Rechtsprechung des BGH handelt (vgl. nur KG Berlin, SVR 2010, 274; OLG Düsseldorf, VRR 2010, 116; OLG Stuttgart, NZV 2012, 605). Nach
einer bemerkenswerten Entscheidung des AG Aachen (Urt. v. 10.12.2012 – 444 OWi 606 Js 31/12 - 93/12, DAR 2013, 218) soll diese (obergerichtliche)
Einschätzung aber unzutreffend sein. Denn, so das Amtsgericht, solange der Hersteller des Messgerätes nicht sämtliche Messdaten des Gerätes zur Verfügung stellt, sei eine Überprüfung des
Messergebnisses durch den vom Gericht bestellten Sachverständigen nicht möglich, was dem Betr. nicht zugemutet werden könne. Sei eine Überprüfung aber nicht möglich, so sei eine
Geschwindigkeitsmessung im Bußgeldverfahren nicht verwertbar, der Betr. also freizusprechen (mit dem gleichen Ergebnis, aber anderer Begründung: AG Herford, Urt.
v. 24.1.2013 – 11 OWi 502 Js 2650/12-982/12, noch unveröff.). Auch das AG Groß-Gerau (Urt. v. 5.3.2012 − 30 OWi - 1439 Js 51481/10, DAR 2012, 406) sieht im Einzelfall konkrete
Bedenken gegen die Verwendbarkeit eines Messwertes, die ein Freisprechen des Betr. nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ rechtfertigen
können, wenn gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen seitens des Herstellers des Messgerätes die zur Überprüfung des Messwertes erforderlichen Angaben nicht gemacht werden
(anders aber: OLG Frankfurt DAR 2010, 216). Auf der Ebene der Amtsgerichte regt sich ferner Widerstand gegen das Messverfahren ESO 3.0. Das AG
Kaiserslautern (Urt. v. 14.3.2012 – 6270 Js 9747/11.1 OWi, zfs 2012, 407) und das AG Landstuhl Urt. v. 3.5.2012 – 4286 Js 12300/10, zfs 2012, 408 = VA 2012,
136) zweifelten in vergangenen Entscheidungen die Verwertbarkeit der Ergebnisse
einer Geschwindigkeitsmessung mittels dieses Gerätes an. Diesbezüglich hat aber das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 19.10.2012 – 1 SsBs 12/12, zfs 2013, 51) bereits
klargestellt, dass mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes ESO ES 3.0, dass eine Bauartzulassung von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
erhalten hat, keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses begründet.
Einigkeit herrscht insoweit, dass der Tatrichter trotz standardisiertem Messverfahren gewisse Mindestausführungen in den Urteilsgründen vorzunehmen hat.
Nach Einschätzung des OLG Celle (Beschl. v. 21.9.2011 – 322 SsRs 328/11, SVR 2012, 190) muss das Urteil in diesen Fällen
zumindest das angewandte Messverfahren, den berücksichtigten Toleranzabzug sowie die Mitteilung enthalten, dass die Bedingungen des Messverfahrens eingehalten wurden, also insbesondere die
Beachtung der Bedienungsvorschriften sowie die erforderliche Eichung des Geräts. Das OLG Koblenz
(Beschl. v. 31.1.2013 – 2 SsBs 2/13, DAR 2013, 217 = NZV 2013, 202) verlangt ebenso zumindest Ausführungen in den Urteilsgründen zu angewandtem Messverfahren und berücksichtigtem
Toleranzwert, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen. Stellt der Tatrichter bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem System VKS 3.0 – Softwareversion
3.1 – einen Eingabefehler bei der manuellen Auswertung fest (hier: Eingabe eines offensichtlich
falschen Datums), so müssen die Urteilsgründe nach Einschätzung des OLG Celle (Beschl. v. 10.1.2013 – 322 SsBs 356/12, NZV 2013, 201) erkennen lassen, warum der Tatrichter
dennoch von der Richtigkeit des Messergebnisses überzeugt ist.
Das „Gefecht“ um das Akteneinsichtsgesuch (vgl. hierzu etwa die Übersicht bei Quarch SVR 2013, 15 sowie bei Himmelreich/Halm NStZ 2012,
486) geht allerdings weiter, wobei nun erstmals auch obergerichtliche Entscheidungen zu Umfang sowie Art und Weise der Einsicht ergangen sind. Nach Einschätzung des OLG
Celle (Beschl. v. 13.1.2011 − 322 SsRs 420/11, DAR 2012, 216 = VA 2012, 121) ist Akteneinsicht hinsichtlich des gesamten – vom ersten Zugriff an – gesammelten Beweismaterials, also
auch bezüglich einer Videoaufzeichnung des Betr. bzw. seines Fahrzeuges, zu gewähren. Nach einer Entscheidung des AG Hagen (Beschl. v. 28.6.2012 – 97 OWi 5/12 [b], zfs
2012, 532 = VA 2012, 157) ist dem Verteidiger im Bußgeldverfahren Einsicht in die Lebensakte
und Reparaturnachweise für das genutzte Geschwindigkeitsmessgerät zu gewähren und für den Fall, dass eine Lebensakte nicht existieren sollte, auch Auskunft über Reparaturen, Wartungen,
vorgezogene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgerätes berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben, zu erteilen. Kommt die
Verwaltungsbehörde dem Antrag des Verteidigers auf Einsicht in die Lebensakte des genutzten
Geschwindigkeitsmessgerätes nicht nach, kann dies nach Auffassung des AG Schwerte (Urt. v. 19.7.2012 – 10 OWi 872/12-58/12, zfs 2012, 533 = VA 2012, 157) eine Erhöhung des
Toleranzabzuges von der gemessenen Geschwindigkeit um 10 % rechtfertigen.
Für das LG Aurich (Beschl. v. 25.1.2012 – 12 Qs 21/12, NZV 2012, 304) beinhaltet das Akteneinsichtsrecht nicht die Übermittlung von Falldateien
im sog. Tuff-Format. Ein Anspruch auf
Akteneinsicht bestehe, so das Landgericht, nur in Bezug auf solche Teile der Aufzeichnungen, die den Verkehrsverstoß selbst dokumentieren. Das Akteneinsichtsrecht im Bußgeldverfahren
umfasst nach dem KG Berlin (Beschl. v. 7.1.2013 − 3 Ws (B) 596/12-162 Ss 178/12, DAR 2013, 211) aber
jedenfalls die Einsicht in die dem Messverfahren zugrunde liegende Bedienungsanleitung, die dafür im Original oder in Kopie zu den Gerichtsakten zu nehmen sei. Das AG
Parchim (Beschl. v. 8.10.2012 – 5 OWiG 407/12, zfs 2012, 716) sieht ebenso keine urheberrechtlichen Bedenken, die einer Vervielfältigung der bei der Verwaltungsbehörde
vorhandenen Bedienungsanleitung zu einem Messgerät entgegenstehen könnten. Auch das AG Osnabrück (Beschl. v. 22.5.2012 – 241 OWi 11/12, zfs 2012, 533) lässt Einsicht
in die Bedienungsanleitung durch Übersendung einer entsprechenden
Ablichtung oder eines Datenträgers (CD) gewähren. Nach Auffassung des OLG Celle (Beschl. v. 11.9.2012 − 311 SsRs 124/12, DAR 2013, 214) kann ein Gehörverstoß auf ein
unterlassenes Beiziehen einer Anleitung aber dann nicht erfolgreich gestützt werden, wenn das Gericht eine Einsichtnahme im Bußgeldverfahren in eine Bedienungsanleitung eines
standardisierten Messgerätes
in den Räumen der Bußgeldbehörde angeboten hat. Nach teilweise amtsgerichtlicher Auffassung erfolgt bei Verteidigern, die ihren Kanzleisitz nicht am Sitz der Verwaltungsbehörde haben, die
Einsicht in die Bedienungsanleitung dann aber durch Übersendung in die Kanzleiräume (AG Oldenburg, Beschl. v. 29.8.2012 – 29b OWi 18/12, zfs 2012, 652 und AG
Lüdinghausen, Beschl. v. 9.2.2012 – 19 OWi 19/12 [b], zfs 2012, 411).
2.StVO § 4 Abstandsmessung
Das OLG Bamberg (Beschl. v. 22.2.2012 − 3 Ss OWi 100/02), DAR 2012, 268 = VA 2012, 101) stellt klar, dass die Kriterien für die Einordnung als
qualifiziertes Messverfahren im Hinblick auf Abstandsmessungen derzeit nur von dem „Brückenabstandsverfahren VAMA mit Charaktergenerator CG-P 50 E“, dem „Brückenabstandsmessverfahren
ViBrAM-BRAMAS“ und dem „Abstands- und
Geschwindigkeitskontrollsystem VKS 3.1“ erfüllt werden.
Ein Grenzfall des § 4 Abs. 3 StVO, der eine Herabsetzung der Regelgeldbuße ermöglicht, kann laut einer Entscheidung des AG Lüdinghausen (Urt.
v. 4.2.2013 – 19 OWi-89 Js 1877/12-239/12, NZV 2013, 203) dann gegeben sein, wenn ein LKW den Abstand bei einer Geschwindigkeit von knapp über 50 km/h (hier: 59 km/h) unterschritten
hat und gleichzeitig der für PKW laut BKat maßgebliche
„Halbe-Tacho-Abstand“ eingehalten worden ist.
3. StVO § 23 Benutzung eines Mobiltelefons
Das Merkmal „Benutzen“ i.S. des § 23 Abs. 1 a StVO hat durch zahlreiche Entscheidungen
mittlerweile deutliche Konturen erhalten (vgl. hierzu etwa Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 23 StVO, Rn. 32, sowie die Übersicht der Entscheidungen zum Telefonverbot nach §
23 Abs. 1a StVO bei: Beck SVR 2012, 335 und Dronkovic, Himmelreich/Halm, a.a.O., Kap. 34, Rn. 54f). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde überdies nun
klargestellt, dass auch das Zurückweisen („Wegdrücken“) eines ankommenden Anrufs (OLG Köln, Beschl. v. 9.2.2011 − III-1 RBs 39/12, DAR 2012, 220 = NZV 2012, 450) und
die Nutzung als Navigationsgerät (OLG Hamm, Beschl. v. 18.2.2013 (III-5 RBs
11/13, DAR 2013, 217) vom Begriff der Benutzung eines Mobiltelefons umfasst sind.
Bemerkenswert ist darüber hinaus noch, dass der Fahrlehrer nach Auffassung des AG Herne-Wanne
(Urt. v. 24.11.2011 – 21 OWi-64 Js 891/11-264/11, VA 2012, 120) nur dann „Führer“ eines Kraftfahrzeuges i.S des StVG ist, wenn sein Einwirken auf den Fahrschüler über die bloße Überwachung
der Fahrt hinausgeht, nur dann bei Benutzung eines Mobiltelefons eine Ordnungswidrigkeit nach § 23 Abs. 1a StVO in Betracht kommt.
In prozessualer Hinsicht beachtlich ist die Entscheidung des OLG Zweibrücken (Beschl. v. 4.1.2012 − 1 Ss Rs 48.11, DAR 2012, 403), ausweislich
dessen dann, wenn nach den Urteilsgründen die Feststellungen zur verbotswidrigen Benutzung des Mobiltelefons, die der Betr. in Abrede stellt, ausschließlich auf dem in der Akte
befindlichen Lichtbild beruhen und an keiner Stelle des Hauptverhandlungsprotokolls die Inaugenscheinnahme des Lichtbildes aufgeführt wird, in der Verwertung des Lichtbildes ein Verstoß
gegen § 261 StPO liegt, der mit der Rechtsbeschwerde
erfolgreich geltend gemacht werden kann.
4. StVO § 37 Rotlichtverstoß
In der Praxis nimmt der Beweis eines Rotlichtverstoßes weiterhin eine zentrale Rolle ein (vgl. zur Feststellung eines Rotlichtverstoßes etwa
Hentschel/König/Dauer, a.a.O., 37 StVO, Rn. 44 ff., und zur Rechtsprechung im Ordnungswidrigkeitenrecht in Zusammenhang mit Rotlichtverstößen generell die Übersicht in
DAR 2013, H. 3, S. IV). Das OLG Köln (Beschl. v. 20.3.2012 − III-1 RBs 65/12, DAR 2012, 271 = zfs 2012, 292) führt in diesem Zusammenhang in einer aktuelleren Entscheidung aus,
dass dann, wenn das Tatgericht seine Überzeugung vom Vorliegen eines qualifizierten
Rotlichtverstoßes (hier: länger als 1 Sekunde Rot) auf die Entfernungsschätzungen von Zeugen (hier: Polizeibeamte) stützt, es in der Regel einer wertenden Auseinandersetzung mit Grundlagen
und Beweiswert dieser Schätzung bedarf. Nimmt ein Zeuge zunächst das Grünlicht einer Fußgängerampel
und erst im Anschluss daran das von links kommende Fahrzeug des Betr. beim Überfahren der Haltelinie wahr, ist die Beiziehung eines Ampelschaltplans zur Feststellung des Rotlichtverstoßes
nach dem OLG Celle (Beschl. v. 1.11.2011 – 311 SsBs 109/11, NZV 2012, 403) entbehrlich, wenn keine Anhaltspunkte für eine Fehlschaltung der Ampelanlage bestehen.
1.OWiG § 33 Unterbrechung der Verfolgungsverjährung
Auch wenn im Rubrum einer Verteidigervollmacht lediglich der Name der Anwaltskanzlei bzw. Anwaltssozietät als solcher aufgeführt ist, erfasst die Vollmacht grundsätzlich alle Rechtsanwälte, die der Kanzlei bzw. Sozietät angehören. Sofern der Betroffene eine solche Vollmacht unterzeichnet hat und sich im Verfahren höchstens drei dieser Anwälte zum Verteidiger bestellt haben, können Zustellungen wirksam und mit verjährungsunterbrechender Wirkung an die Anwaltskanzlei bzw. Sozietät als solche adressiert werden (OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2012 – III-3 RBs 386/11, NZV 2013, 153; ebenso: OLGe Köln, Beschl. v. 22.05.2003 – Ss 169/03 – juris und Stuttgart, Beschl. v. 30.1.2002 – 4 b Ss 431/01 – juris; − a.A.: AG Stadthagen, Beschl. v. 13.08.2008 – 11 OWi 507 Js 4839/08 - 236/08, BeckRS 2009, 06724).
2.OWiG § 73 Befreiung von der Erscheinungspflicht
Räumt ein Betr. die Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ein und erklärt, dass er bei persönlicher Anwesenheit im Hauptverhandlungstermin „absolut schweigen“
werde, so muss er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden werden (OLG Bamberg, Beschl. v. 29.8.2012 – 3 SS OWi 1092/12, NZV 2013,
204 = DAR 2013, 90). Eine
rein spekulative Erwägung, der Betr. werde in der Hauptverhandlung vielleicht doch Angaben machen, kann eine Aufklärungserwartung und damit die Ablehnung des Entpflichtungsantrages nicht
begründen (OLG Köln, Beschl. v. 16.10.2012 – III-1 RBs 265/12, NZV 2013, 50). Wenn von der Anwesenheit des Betr. ein Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung nicht zu
erwarten ist, ist der Betr. vielmehr von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 20.1.2012 – 2 Ss OWi 774/11, NZV 2012, 192).
Nach dem OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 9.3.2012 – 2 Ss OWi 181/12, NZV 2012, 307 = zfs 2012, 291) vermag dann auch der Umstand,
dass der Betr. zur Tatzeit Heranwachsender war, keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Heranwachsende werden im Bußgeldverfahren sanktionsrechtlich nämlich wie Erwachsene behandelt.
Im Widerspruch zu diesen aktuellen obergerichtlichen Entscheidungen steht der Beschluss des OLG Jena vom 10.10.2012 (1 Ss Bs 40/12
[173], zfs 2013, 174, m. Anm. Krenberger), ausweislich dessen der Senat aus dem Umstand, dass der Betr. sich vor der Hauptverhandlung auf ein schuldminderndes
„Augenblicksversagen“ zur Vermeidung eines Fahrverbotes berufen hatte trotz der zusätzlichen Weigerung, weitere Angaben zur Sache zu machen, folgerte, dass es keineswegs ausgeschlossen,
vielmehr zu vermuten sei, dass er im eigenen Interesse hierzu nähere Angaben in der
Hauptverhandlung machen würde, falls ihm das Gericht die Notwendigkeit hierfür verdeutlichen würde.
3. § 74 OWiG Verfahren bei Abwesenheit
Entschieden wurde bereits, dass der Einspruch dann, wenn die Voraussetzungen des § 74 Abs.
2 OWiG vorliegen, zwingend verworfen werden muss, ein Absehen vom Fahrverbot dann nicht ausgeurteilt werden kann (vgl. etwa OLG Hamm, Beschl. v. 22.8.2011 – III-1 RBs
139/11, NZV 2012, 354). Der BGH (Beschl. v. 18.7.2012 – 4 StR 603/11, NZV 2013, 199 = DAR 2012, 590 = zfs 2013, 109, m. Anm. Krenberger) hat nun auf den
Vorlagebeschluss des OLG Celle (Beschl. v. 14.11.2011 − 311 SsBs 152/11, DAR 2012, 270) hin klargestellt, dass das Amtsgericht den Einspruch des nicht vom persönlichen Erscheinen
in der Hauptverhandlung entbundenen und unentschuldigt ausgebliebenen Betr. auch dann nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen hat, wenn das vorausgegangene Sachurteil
vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen worden war.
Erscheint auf Seiten des Betr. in der Hauptverhandlung überraschend niemand, ist das Gericht zunächst gehalten, eine gewisse Zeit zuzuwarten. Maßgeblich für
die Berechnung der Wartepflicht des Gerichts − üblicherweise 15 Minuten (OLG Jena (Beschl. v. 29.8.2011 – 1 Ss Rs 86/11, zfs 2012, 349) − ist die
angesetzte Terminstunde und nicht der Beginn der Hauptverhandlung (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.2.2012 – 2 Ss OWi 21/12, NZV 2012, 605 = DAR 2012, 477).
Das KG Berlin (Beschl. v. 23.2.2011 − 3 Ws (B) 6/11-2 Ss 391/10, DAR 2012, 394) hat entschieden, dass der
Tatrichter aufgrund seiner Fürsorge und Aufklärungspflicht (darüber hinaus) gehalten ist, vor der Verwerfung des Einspruchs auf der Geschäftsstelle nachzufragen, ob Schriftsätze oder Anrufe
eingegangen sind, die eine Mitteilung über die Verhinderung oder etwaige andere Erklärungen enthalten, wenn der Betr. und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung überraschend ausbleiben
(vgl. ergänzend speziell zum krankheitsbedingten Fernbleiben des Betr. in der Hauptverhandlung den Aufsatz von Fromm DAR 2013, 172, und zur Rechtsprechung zum
Abwesenheitsverfahren im Bußgeldrecht generell die Übersicht bei Krenberger zfs 2012, 424).
4. § 77 OWiG Umfang der Beweisaufnahme
Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 S 1 OWiG gehalten,
die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Behauptet der Betroffene in einem Beweisantrag auf zeugenschaftliche Vernehmung seines Bruders, dieser habe das gemessene Fahrzeug zur Tatzeit
gesteuert und gleiche dem Betr. „wie ein Ei dem anderen“, darf das Amtsgericht deshalb den Beweisantrag nicht ohne weiteres ablehnen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.10.2012 –
[1 B] 53 Ss - OWi 607/12 [308/12], NZV 2013, 49). Das Gericht ist letztlich nur dann befugt, unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG
zurückzuweisen, wenn es seine nach § 77 Abs. 1 S. 1 OWiG prinzipiell fortbestehende Aufklärungspflicht nicht
verletzt. Verletzt ist diese dann, wenn sich dem Gericht eine Beweiserhebung aufdrängen musste oder diese nahe lag (OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.6.12 – [2 B] 53
Ss-OWi 237/12 [155/12], VA 2012, 158).
* www.himmelreich-dr.de und www.halmcollegen.de – Veröff. in NStZ 2013, Heft 8, S. 440, und Heft 9, S. 486.
1 Im Anschluss an NStZ 2012, H. 9, S. 486.